Halle und Hanau zeigen: Rechtsextremismus und Antisemitismus vergiften zunehmend das gesellschaftliche Klima in Deutschland. Zu Dietrich Bonhoeffers Zeit war es der Nationalsozialismus, dessen Gefahr er schon früh erkannte.
Im April 1933, als die Verfolgung der Juden begann, formulierte er im Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage" die unbedingte Verpflichtung der Kirche gegenüber allen Opfern jeder Gesellschaftsordnung - auch wenn sie keine Christen sind.
1944, im Gefängnishof Tegel, wurde Bonhoeffer von einem Mitgefangenen gefragt, wie er es als Christ und Theologe verantworten könne, aktiven Widerstand gegen Hitler zu leisten.
Unbequemer Außenseiter
Er antwortete im Beisein der Aufseher mit einem Bild: Wenn ein betrunkener Autofahrer mit hoher Geschwindigkeit den Kurfürstendamm herunterrase, könne es nicht nur die Aufgabe des Pfarrers sein, die Opfer des Wahnsinnigen zu beerdigen und deren Angehörige zu trösten; es sei wichtiger, dem Betrunkenen das Steuerrad zu entreißen.
Bonhoeffer hat nicht nur mit der Teilnahme an der Widerstandsbewegung versucht, dem Rad in die Speichen zu fallen. "Er blieb ein unbequemer Außenseiter", schrieb Eberhard Bethge 1970 über seinen Freund Dietrich, dessen Gefängnisaufzeichnungen er 1951 unter dem Titel "Widerstand und Ergebung" herausgegeben hatte.
Wie wurde Bonhoeffer zum unbequemen Außenseiter? 1906 als sechstes von acht Kindern in Breslau in einem Professorenhaus geboren, ab 1912 in Berlin aufgewachsen, begann er 1923 mit dem Theologiestudium.
Diese Entscheidung ging auf die tiefe Betroffenheit nach dem Tod seines älteren Bruders Walter zurück, der 1918 mit 18 Jahren im Ersten Weltkrieg gefallen war. Es folgte eine akademische Blitzkarriere: Promotion mit 21, Habilitation mit 24 Jahren.
Die Bergpredigt öffnete Bonhoeffer den Blick für den Umgang mit Verfolgten, besonders mit den Juden: "Eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland muss die Verstoßung Christi nach sich ziehen; denn Jesus Christus war Jude." In den Nazis sah Bonhoeffer schon sehr früh eine Gefahr für Deutschland. Bereits zwei Tage nach Hitlers Machtübernahme 1933 warnte er in einer Rundfunkrede davor, dass der "Führer" zum "Verführer" werden könne.
In die USA und zurück
1935 übernahm er die Ausbildung junger Theologen in einem sogenannten Predigerseminar der "Bekennenden Kirche". Seine Studenten erinnern sich an einen erregten Ausruf Bonhoeffers: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen!" 1937 wurde das Predigerseminar von der Gestapo verboten und arbeitete weiter im Untergrund.
1939 bekam Bonhoeffer die Möglichkeit, in die USA zu emigrieren. Doch er kehrte bald zurück: "Ich muss diese schwierige Periode unserer Geschichte mit den Christen in Deutschland durchleben." Es begann ein riskantes Doppelleben: Ab 1940 arbeitet er für den militärischen Geheimdienst, wo sein Schwager Hans von Dohnanyi und andere für den Widerstand tätig waren. Im Januar 1943 verlobte sich Bonhoeffer, wurde aber schon am 5. April verhaftet.
Im KZ Flossenbürg hingerichtet
Als das Attentat des 20. Juli 1944 scheiterte, zeigte sich das Ausmaß der Verschwörung, in die Dietrich, sein Bruder Klaus und sein Schwager verstrickt waren. Das bedeutet für alle Inhaftierten den sicheren Tod.
Tags darauf schrieb Bonhoeffer an seinen Freund Eberhard einen Brief, der fast ein geistliches Vermächtnis ist: "Ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet, aus sich selbst etwas zu machen - ... - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist metanoia (Umkehr) und so wird man ein Mensch, ein Christ."
Am 9. April 1945 wurde Bonhoeffer im KZ Flossenbürg auf Befehl Hitlers erhängt. Seine letzte schriftliche Notiz lautete: "Ich sterbe als stummer Zeuge Christi unter seinen Brüdern", sein letzter Satz: "Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens."