Auch heute sei er als "Vorbild der Menschlichkeit aus dem Geist Christi" präsent, erklärte der frühere Präfekt der Glaubenskongregation auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag in Rom. Bonhoeffer war als Vertreter der Bekennenden Kirche am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet worden. Müller schrieb seine Dissertation über Bonhoeffer.
Ökumenische Bedeutung
Zur ökumenischen Bedeutung Bonhoeffers sagte Müller, unter der "antichristlichen Verfolgung" der Kirche durch den Nationalsozialismus hätten katholische und evangelische Laien und Geistliche im Zeugnis der Wahrheit und der im Glauben begründeten Menschenwürde zusammengefunden. Wie Bonhoeffer in der katholischen Kirche, würden umgekehrt auch in den evangelischen Kirchen katholische Märtyrer geehrt. Müller nannte als Beispiele Bernhard Lichtenberg (1875-1943), Alfred Delp (1907-1945) und Franz Jägerstätter (1907-1943).
Auf die Frage nach einer Botschaft Bonhoeffers für Europa heute antwortete Müller, Bonhoeffer komme ins Spiel, wenn die Demokratie durch unmenschliche Ideologien, nationale Egoismen, imperialistische Pläne oder die Aushöhlung der Justiz gefährdet werde. Eine Indienstnahme Bonhoeffers gegen einzelne Regierungen lehnte der Kardinal jedoch ab.
"Märtyrer Christi"
Es habe lange gedauert, bis man in Kirche und Gesellschaft Bonhoeffer "als Märtyrer Christi und seiner Kirche anerkannt" habe. Zuvor habe man ihn als ausschließlich politisches Opfer der NS-Diktatur sozusagen "neutralisieren" wollen.
Bonhoeffer habe sich gegen Übergriffe des Staates auf die Kirche zur Wehr gesetzt, so Müller. In dem Zusammenhang warnte der Kardinal vor einer "Gesinnungsdiktatur", die sich in Europa zu etablieren beginne. So werde wegen Diskriminierung Homosexueller bestraft, wer für die Ehe zwischen Mann und Frau eintrete. Andererseits dürfe man "die Geistlichkeit insgesamt als Kinderschänderbande kollektiv diskriminieren, wenn eine Einzelperson sich gegen die kirchliche Moral versündigt und gegen das Strafgesetz verstoßen hat".
Bonhoeffer habe sein geistliches Amt nicht benutzt, um Parteipolitik zu machen, betonte Müller. Die Kirche sei "ihrer Natur nach kein Staat, aber auch kein Staat im Staat". Ihr Kampf im Dritten Reich habe sich gegen "moralisch total entwurzelte Jahrtausendverbrecher" gerichtet, die "aus dem Schlund der Hölle emporgestiegen" seien, so Müller. "Wo das Böse alle unsere menschliche Fassungskraft übersteigt, beginnt das Reich des Teufels. Dagegen ist Dietrich Bonhoeffer in unserem christlichen Gedächtnis gegenwärtig als Vorbild der Menschlichkeit aus dem Geist Christi."