Es könnte die Aufnahme eines Klassentreffens sein. Für die Mitglieder der Zeugen-Jehovas-Gemeinde von Silver Spring im US-Bundesstaat Maryland fühlte es sich ähnlich an, als sie Aufstellung für ein Foto des "Religion News Service" nahmen.
Es illustriert eine Geschichte über die Rückkehr der Missionare der Glaubensgemeinschaft ins Straßenbild und sendet die Botschaft aus: "Schaut her, wir ziehen wieder los."
Nachdem die Missionierung zweieinhalb Jahre ruhte, sind seit dem 1. September in den USA wieder die Zweierteams im Einsatz. Chris und Aisha Sees berichten von positiven Erfahrungen. Wie auch andere, die nach Jahren des Lockdowns in der Pandemie Redebedarf feststellen. Sie haben den Eindruck, die Menschen seien empfänglicher für Gott und die Zeugen Jehovas geworden.
"Korrekt gekleidet"
Ein Markenzeichen der Missionare ist, dass sie stets "korrekt gekleidet" auftreten. Die Frauen in langen Röcken, die Männer mit geschlossenem Hemdkragen und Krawatte. Ein konservatives Outfit, das zu ihrem Image als weltfremde Frömmler mit dubiosen sektenartigen und autoritären Strukturen beigetragen hat.
Auch deshalb sind Gottes "Streetworker" nicht überall willkommen. Zugeschlagene Haustüren, Beschimpfungen oder schlichtes Ignorieren ist nicht neu für Jean Hockma, die mit ihrem Mann schon seit einem halben Jahrhundert in Silver Spring missioniert. "Wir nehmen es nicht persönlich."
Der nationale Sprecher der Zeugen Jehovas, Robert Hendricks, erklärt die persönliche Präsenz als Auftrag des Glaubens. "Für uns ist der Gang von Tür zu Tür ein Ausdruck der Unparteilichkeit unseres Gottes." Bei Hausbesuchen sei die Ansprache direkter, bestätigt Jonathan Gomas im öffentlichen Radio NPR aus seiner Erfahrung in Milwaukee. Dort ging er schon als Knirps mit seinen Eltern von Tür zu Tür. "Auf der Straße haben Sie die Hand am Puls der Zeit."
Die Missionare bleiben auch bei brüsken Zurückweisungen höflich. Sie bedanken sich und gehen weiter. Oft genug sei es trotz anfänglicher Ressentiments möglich, die Menschen in Gespräche zu verwickeln.
Die Sprecherin der Glaubensgemeinschaft in der Region Mittlerer Atlantik, Kelly Osborn, betont, es habe einen Wert für sich, mit Leuten zu sprechen, "die anderer Meinung sind als man selbst". Insgesamt habe es beim Neustart an den Haustüren seltener brüske Abweisungen gegeben als in der Vergangenheit.
Minderheit unter den christlichen Glaubensgemeinschaften
Die Zeugen Jehovas stellen eine Minderheit unter den christlichen Glaubensgemeinschaften, die rund um den Erdball präsent ist. Zuletzt gab es auch bei ihnen Skandale um sexuellen Missbrauch. Ihre Weltzentrale sitzt in Warwick im US-Bundesstaat New York.
Religionsexperten zählen die acht Millionen Mitglieder große Konfession zu den sogenannten Endzeitsekten. Die wiederholten Vorhersagen eines bevorstehenden Untergangs der Welt sind bisher nicht eingetreten.
Ihren Anfang nahm die Gemeinschaft in den späten 1870er-Jahren, als der Bibellehrer Charles Taze Russell aus Pennsylvania traditionelle Ansichten des Christentums infrage stellte. Ein wesentlicher Unterschied ist die Ablehnung der Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Dafür gebe es keine ausdrücklichen Hinweise in der Bibel, heißt es. Für Jehovas Zeugen ist das ein unantastbares Dogma.
Ostern aus ihrer Sicht heidnischen Ursprungs
Sie glauben weder an die Unsterblichkeit der Seele noch die ewige Verdammnis in der Hölle. Militärdienst kommt für Angehörige der Glaubensgemeinschaft ebenso wenig infrage wie Bluttransfusionen.
Weihnachten und Ostern sind aus ihrer Sicht heidnischen Ursprungs. Jesus ist nach ihrem Verständnis nicht mit Gott gleichzusetzen, den sie Jehova nennen.
Der Zwangsverzicht auf den Direktkontakt während der Pandemie auf den Straßen machte den Anhängern zu schaffen. Denn anders als die missionarisch nicht minder aktiven Mormonen verzichten die Zeugen Jehovas auf den Einsatz von Computern, Internet und anderen elektronischen Medien. Sie kommunizieren bevorzugt über ihre Zeitschrift "Wachtturm" und andere Traktate.
Die Mitglieder der Zeugen Jehovas kommen bereits seit April wieder persönlich in ihren rund 13.000 US-Gemeinden zusammen. Im Frühsommer kehrten die "Streetworker" mit dem "Wachtturm" in der Hand auch zurück an die Zebrastreifen und in die Fußgängerzonen der Städte. Die direkte Ansprache an der Haustür ist nun der letzte Schritt zurück zur Normalität.