Der Aufruf der EU-Bischofskommission zu den Europawahlen

Mitbestimmung - Mäßigung - Blick auf die Armen

Die EU-Bischofskommission COMECE hat einen eigenen Wahlaufruf für die Europawahlen Ende Mai vorgelegt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert noch einmal den Appell zur Stimmabgabe in der offiziellen deutschen Übersetzung.

Europawahl (dpa)
Europawahl / ( dpa )

Erklärung der Bischöfe der COMECE: Die Europawahlen 2014

Vom 22. bis zum 25. Mai 2014 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Das Ergebnis wird die Gesetzgebung der nächsten fünf Jahre prägen durch die Personen, die in den nächsten Jahren in der Union Verantwortung tragen.

Es ist entscheidend, dass sich die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union (EU) am demokratischen Prozess beteiligen und am Wahltag ihre Stimme abgeben. Je höher die Wahlbeteiligung, desto größer die Legitimität des neuen Parlaments. Vor der Wahl bietet sich die Gelegenheit, in der ganzen europäischen Gesellschaft jene wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Fragen zu erörtern, die die Union in den kommenden Jahren beschäftigen werden.

Als Bischöfe der COMECE fühlen wir uns verpflichtet, den Wählerinnen und Wählern in der EU Orientierungen zur Bildung ihrer eigenen Meinung anzubieten, indem wir einige zentrale Themen herausstellen und vom Standpunkt der Katholischen Soziallehre aus bewerten.

Dabei wenden wir uns zunächst an die katholischen Bürgerinnen und Bürger der EU. Wir hoffen jedoch, dass unsere Erklärung auch bei allen Männern und Frauen guten Willens wohlwollendes Gehör findet, die sich um den Erfolg der europäischen Einigung sorgen. Wir hoffen, dass unsere Stimme auch von jenen gehört wird, die ein Abgeordnetenmandat im europäischen Parlament anstreben. An den Anfang möchten wir einige allgemeine Überlegungen stellen:

1. Zu wählen ist das Recht und die Pflicht aller stimmberechtigten Bürger der EU. Viele Millionen junger Menschen werden zum ersten Mal ihre Stimme abgeben. Ein Teil von ihnen ist noch in der Ausbildung, andere haben bereits einen Arbeitsplatz, viele sind aber leider arbeitslos. Wir rufen die jungen Menschen auf, sich hörbar an der politischen Debatte zu beteiligen und vor allem zur Wahl zu gehen.

2. Es ist wichtig, dass die Folgen der seit 2008 währenden Finanz- und Bankenkrise allen bewusst sind, die sich erstmals um einen Sitz im Europäischen Parlament bewerben oder die ins Europäische Parlament zurückkehren möchten. Papst Franziskus hat die Aufmerksamkeit auf das Los der Armen und Wehrlosen, der Jugend und der Behinderten gelenkt, nicht zu vergessen diejenigen Menschen, die durch die Krise neu in Armut geraten sind. Die Zahl der "neuen Armen" wächst in einem gefährlichen Ausmaß.

3. Die christliche Botschaft ist eine Botschaft der Hoffnung. Es ist unsere Überzeugung, dass das "europäische Projekt" von einem positiven Menschenbild inspiriert ist. Die einzelnen Bürger, Gemeinschaften und Staaten müssen in der Lage sein, auf der Suche nach dem Gemeinwohl ihre Eigeninteressen beiseite zu stellen. Das von Johannes Paul II. im Jahr 2003 veröffentlichte Schreiben Ecclesia in Europa ist von dieser Hoffnung durchzogen. Die Kirche nimmt sich im festen Glauben an eine bessere Zukunft der europäischen Herausforderungen an.

4. Mäßigung ist eine der Kardinaltugenden und gehört zum Kern christlicher Spiritualität. Die Soziale Markwirtschaft und die Umweltpolitik müssen deshalb von einer Kultur des Maßes geprägt sein. Wir müssen lernen, mit weniger auszukommen, und gleichzeitig darauf bedacht sein, dass jene, die in großer Armut leben, einen gerechteren Anteil an Gütern bekommen. Wir möchten die Aufmerksamkeit der Bürgerinnen und Bürger auch auf einige besondere Felder der EU-Politik lenken:

1. Das Subsidiaritätsprinzip, eine tragende Säule der einzigartigen Familie von Nationalstaaten, die die EU bildet, darf unter dem wachsenden Drang zur Einheitlichkeit nicht aufgegeben werden. Lange währende Traditionen in so vielen Mitgliedstaaten dürfen keinen Schaden nehmen.

2. Eine weitere Säule der Union ist die Solidarität die auch ein Grundprinzip der Katholischen Soziallehre ist. Dieses Prinzip sollte die Politik auf allen Ebenen der EU leiten, ebenso zwischen Nationen, Regionen und Bevölkerungsgruppen. Wir brauchen ein Europa der gelebten Solidarität.

3. Es ist entscheidend, ein auf der unverletzlichen Menschenwürde beruhendes Menschenbild als Grundlage aller Dimensionen der Wirtschafts- und Sozialpolitik in Erinnerung zu rufen. Das menschliche Leben muss geschützt werden vom Augenblick der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Auch die Familie als Grundbaustein der Gesellschaft muss den erforderlichen Schutz genießen.

4. Der Kontinent Europa ist in Bewegung: Migration - in und nach Europa - wirkt sich auf das Leben der einzelnen Personen und der Gesellschaft aus. Die EU hat eine gemeinsame Außengrenze. Die Belastungen der Aufnahme und Eingliederung von Migranten und Asylsuchenden müssen proportional unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt werden. Eine menschenwürdige Behandlung von Migranten bei ihrer Einreise ist unverzichtbar. Ihre Menschenrechte müssen unbedingt geachtet werden. Schließlich müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um eine erfolgreiche Integration in die aufnehmenden Gesellschaften in der EU sicher zu stellen. Als Kirche wollen wir dabei unseren Beitrag leisten.

5. Wir sind Sachwalter der Schöpfung. Wir müssen entschlossener sein, die CO2-Emissionsziele zu erreichen, international das Bewusstsein für den Klimawandel zu fördern, uns zu einer ökologischeren Sicht- und Lebensweise zu verpflichten und darauf zu bestehen, dass Nachhaltigkeit ein grundlegendes Element aller Wachstums- und Entwicklungspolitik ist.

6. Religionsfreiheit ist ein Kernelement einer toleranten und offenen Gesellschaft. Diese Freiheit beinhaltet das Recht, seinen Glauben auch öffentlich zu bekennen. Wir begrüßen die Empfehlungen der EU zur weltweiten Förderung und zum Schutz der Glaubens- und Religionsfreiheit, und wir hoffen, dass das neue Europäische Parlament seine Arbeit in dieser wichtigen Angelegenheit verstärkt.

7. Wir unterstützen alle Maßnahmen zum Schutz des Sonntags als einen allen gemeinsamen wöchentlichen Ruhetag.

8. In den nächsten fünf Jahren wird auch der demografische Wandel eine tiefgehende Wirkung auf das Leben in der EU haben. Bei der Pflege unserer ältesten Bürger bitten wir dringend um ein Niveau und eine Qualität, die ihnen zusteht. Wir treten aber auch für eine Politik ein, die den jungen Menschen Chancen eröffnet.

Die Europäische Union ist an einem Wendepunkt angekommen. Die durch den Zusammenbruch von Banken ausgelöste Finanz- und Staatsschuldenkrise seit 2008 hat die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten belastet. Sie ist eine Herausforderung für das der Union zugrundeliegende Prinzip der Solidarität und hat in der Folge viele Bürgerinnen und Bürger in größere Armut gebracht. Durch diese Krise wurden die Zukunftshoffnungen vieler junger Menschen vereitelt. Die Lage ist dramatisch, für viele sogar tragisch.

Wir katholischen Bischöfe plädieren dafür, das "europäische Projekt" unter dem gegenwärtigen Druck nicht aufs Spiel zu setzen oder gar aufzugeben. Es ist unerlässlich, dass wir alle - Politiker, Kandidatinnen und Kandidaten für das Parlament, alle Akteure - konstruktiv zur Gestaltung der Zukunft Europas beitragen. Wir würden zu viel verlieren, sollte das "europäische Projekt" scheitern.

Es ist also entscheidend, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger vom 22. bis 25. Mai zur Wahl gehen. Wir Bischöfe bitten besonders die Gläubigen der Kirche darum, sich zu informieren und aus dem Geist christlichen Glaubens ihre Stimme abzugeben.