"Gehen Sie zügig, folgen Sie den Anweisungen der Soldaten, die Sie begleiten. Das ist kein Spaziergang", mahnt der diensthabende Offizier in der Altstadt von Aleppo. Sein Büro ist ein Hauseingang in einem zerschossenen Gebäude, ein Tisch, Stühle. Einige der Soldaten sind seit vier Jahren hier im Einsatz und haben ihre Familien seitdem nicht gesehen.
Raschen Schrittes geht ein Soldat voran durch enge Gassen, steigt durch zerbrochene Wände, eine Treppe hinauf, eine hinunter, um Ecken, durch Höfe, vorbei an einem vertrockneten Brunnen, in dem sich der Schutt Holzpfähle und Fensterläden über Teilen von Schaufensterpuppen stapeln.
Basar von Aleppo in Trümmern
Früher seien hier die Geschäfte gewesen, um die Ecke der Baumwollmarkt, der Markt für die schwarzen Schleier der Frauen, der Goldmarkt, sagt der Soldat. Jahrtausende zog der Basar von Aleppo, ein magischer Ort, Händler und Kunden an. Heute liegt er in Trümmern.
Manche der kleinen Läden haben Familien über Generationen ernährt. Schachteln mit Knöpfen, Garnrollen; wild verstreut Schneidereizubehör. Geschützt durch ein hohes, mit großen Tüchern bespanntes Gerüst im Laufschritt über die Straße. Die Tücher schützen vor Scharfschützen, wie der Soldat erklärt. Auf der anderen Seite des Gerüsts, nur wenige hundert Meter entfernt, liegt die Große Omayyaden-Moschee, im Gebiet der bewaffneten Gruppen.
Unterhalb der mächtigen Zitadelle, vor den Trümmern des ehemaligen Carlton Hotels: Im Mai 2014 wurde es von Kämpfern der Islamischen Front mit einer riesigen Explosion komplett zerstört. Nur 30 Prozent der historischen Altstadt seien - wie die Zitadelle - unter Kontrolle der syrischen Armee, sagt der Soldat. Im restlichen Teil werden mehr als 4.000 Kämpfer vermutet, "von den extremistischsten".
Waffenstillstand ohne Bedeutung
Der Anfang September von Russland und den USA vereinbarte Waffenstillstand für Syrien hat für diese Kämpfer keine Bedeutung.
Nur 500 Meter von der von bewaffneten Gruppen kontrollierten Altstadt liegt Suleymaniye. Hier durchschlug am vierten Tag der Waffenruhe in den frühen Morgenstunden eine Rakete das Dach eines Wohnhauses der syrisch-katholischen Kirche und verwüstete ein Gästezimmer.
Der Geistliche Mounir Saccal glaubt nicht, dass Christen gezielt angegriffen würden. Auch muslimische Familien aus der Nachbarschaft seien betroffen. "Nicht Muslime sind für uns ein Problem, sondern Terroristen, die bewaffnet sind und extremistische wahhabitische Ideen vertreten." Und ein Nachbar fügt hinzu: "Unser Problem sind auch die Staaten, die ihnen Waffen liefern." Mounir nickt: "Ja, Europa soll damit aufhören und uns in Frieden lassen. Wir Syrer wissen, wie wir miteinander leben können."
Christliche Gemeinschaft klein geworden
Die christliche Gemeinschaft in Aleppo sei klein geworden, sagt der Franziskanerbischof von Aleppo, Georges Abu Khazen, Leiter des sogenannten Lateinischen Vikariates. Im östlichen Teil der Altstadt seien die Kirchen zerstört, die Christen von dort geflohen. "Die jungen Leute nehmen ihre Kinder und lassen die Eltern zurück."
Im "Haus der Freude" direkt neben dem Lateinischen Vikariat werden 52 hilfsbedürftige Senioren von Schwestern des Mutter-Teresa-Ordens versorgt. Sie kommen aus Indien und Bangladesch, um den alten Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags eine Stütze zu sein. Am späten Nachmittag haben sich die Männer auf dem Hof versammelt.
Manche spazieren, andere sitzen in ihren Stühlen und unterhalten sich leise. "Von wo kommen Sie?", fragt ein alter Herr freundlich und in gutem Englisch. "Herzlich willkommen. Kommen sie wieder!"
Neben dem Seniorenheim und dem "Hospital Al Rajaa" (Krankenhaus der Hoffnung) haben die Franziskaner in einer ihrer früheren Schulen einen großen Wohn- und Freizeitkomplex eingerichtet. Der Unterricht wurde christlichen Gemeinden 1967 in Syrien untersagt, doch die Gebäude und Grundstücke wurden ihnen gelassen.
Krieg verletzt innerlich und äußerlich
An diesem Spätsommerabend haben sich Hunderte Menschen auf der "Terra Santa" versammelt, einem rund 700 Meter hohen Hügel. Alt und Jung sitzen unter Bäumen und essen, singen, tanzen. Eine Pfadfindergruppe hat Feuer entzündet, die Stimmung ist ausgelassen. In einem neu angelegten Hof um einen Swimmingpool sitzen Dutzende alter Menschen und verfolgen ein vorbereitetes Programm.
Im Mai war eines der Gebäude von einer Rakete getroffen worden, sagt der Franziskaner Firas Lutfi. Sie schlug in einem Aufenthaltsraum ein, in dem Senioren zusammensaßen, deren Heim in einem anderen Teil der Stadt zerstört worden war. Eine Frau überlebte den Angriff nicht.
Der Krieg zerstöre und verletze die Menschen äußerlich und innerlich, sagt Firas Lutfi. Die Menschen seien depressiv, einsam. Selbst junge Leute versuchten, sich das Leben zu nehmen, weil sie keinen Ausweg mehr sähen. "Es muss endlich Frieden geben", sagt der Ordensmann.
Der junge Architekt Elias Fannoun hat die internationale Kampagne "Frieden ist möglich" aufgegriffen. 100 Olivenbäume sollen als Zeichen dafür auf "Terra Santa" gepflanzt werden. Die Kampagne habe noch eine andere Botschaft, sagt Jamil Hammami, ein junger Unternehmer. "Jeder Baum wird einem Menschen aus Aleppo gewidmet, der die Stadt - freiwillig oder gezwungenermaßen - verlassen hat", erklärt er. "Jeder Aleppiner soll wissen: Egal, wo du heute lebst: deine Wurzeln sind in Aleppo."