DOMRADIO.DE: Warum rät Ihr Bischof an, auf die Werktagsgottesdienste zu verzichten?
Klaus Pfeffer (Generalvikar im Bistum Essen): Er hat insgesamt dazu geraten, alles zu tun damit wir die Kontakte im kirchlichen Bereich reduzieren. Das betrifft Werktagsgottesdienste genauso wie viele andere Veranstaltungen wo Menschen zusammenkommen. Damit wir von unserer Seite einen klaren Beitrag dazu leisten, alles zu tun, damit Kontakte runtergefahren werden. Auch, weil wir uns bewusst sind, dass die Möglichkeit, dass wir noch weiter Gottesdienste feiern können, natürlich sehr kritisch gesehen wird von vielen in unserer Gesellschaft.
Wir stehen da sehr unter Druck und unter Beschuss. Von daher ist es wichtig, sehr sorgsam mit umzugehen. Auch bei Werktagsgottesdiensten sorgen wir ja immer wieder dafür, dass Menschen unterwegs sind, auch unsere Mitarbeitenden, Küster, Priester. Das führt eben immer wieder zu Kontakten. Da setzen wir, glaube ich, ein wichtiges Zeichen, einfach deutlich zu machen, wir sind da sehr, sehr maßvoll und vorsichtig.
DOMRADIO.DE: Könnten Werktagsgottesdienste nicht auch eine Art Entlastung für die vor uns liegenden Festtage sein?
Pfeffer: Niemand von den Menschen, die zu Heiligabend oder Weihnachten einen Gottesdienst besuchen, sagt: Dann gehe ich jetzt eben am 22. Dezember. Das ist ja ein spezifisches "Publikum", die ganz bewusst zu Weihnachten in den Gottesdienst gehen. Das merken wir auch in den Kirchengemeinden, die diese Gottesdienste anbieten. Man muss sich ja anmelden. Die sind nach wie vor schnell ausgebucht, die Nachfrage ist groß. Die werden nicht auf die Werktagsgottesdienste ausweichen. Es geht vor allem um den Heiligen Abend.
DOMRADIO.DE: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Rainer Haseloff, hat angekündigt, dass er an Weihnachten selbst keinen Gottesdienst besuchen will und an einem Werktag in der Weihnachtszeit mit seiner Frau einen Gottesdienst besuchen würde. Würde er dann im Bistum Essen vor einer verschlossenen Türe stehen?
Pfeffer: Ich habe jetzt nicht den Überblick, wie die einzelnen Pfarreien darauf reagieren. Einige haben signalisiert, dass sie auf die Werktagsgottesdienste verzichten. Es gibt heute auch schon die ersten Pfarreien die insgesamt auf Gottesdienste in dieser Zeit verzichten. In unserem Dom bieten wir nach wie vor im Moment täglich einen Werktagsgottesdienst an. Aber es wird natürlich weniger sein, das ist so.
Wir erleben im Moment eine sehr kontroverse Diskussion auch innerhalb unseres Bistums, in allen Diözesen, in allen Pfarreien. Man ringt darum, wie man mit dieser Situation umgeht, weil natürlich alle wahrnehmen: Das Infektionsgeschehen ist dramatisch hoch. Viele tun sich sehr, sehr schwer. Auch Krankenhausseelsorger, die erleben was in den Kliniken los ist und die das Gefühl haben, das ist schon eine schwierige Situation in der wir jetzt ganz, ganz viele Menschen zu Weihnachten zusammenholen. Gleichzeitig gibt es aber diejenigen die sagen: Gottesdienste haben für uns eine existentielle Bedeutung. Es ist ein Dilemma.
Viele rufen jetzt nach klaren Entscheidungen und klaren Weisungen. Ich glaube, wir fahren im Moment den Kurs, dass wir darauf setzen, dass vor Ort die Verantwortlichen für sich gut entscheiden und abwägen können, ob es angemessen ist oder nicht. Weil die Inzidenzzahlen auch noch mal bei uns von Stadt zu Stadt verschieden sind.
DOMRADIO.DE: Haben Sie schon Feedback bekommen von Menschen, die den Verzicht auf Werktagsgottesdienste bedauern?
Pfeffer: Vereinzelt, aber wirklich sehr vereinzelt. Im Großen und Ganzen nehmen wir eher wahr, dass der Druck steigt, von uns als Kirchen zu erwarten, dass wir eher zurückhaltend agieren. Es gibt bei vielen Menschen, die vielleicht auch nicht so eine Nähe zur Kirche haben, eher ein Gefühl irgendwie ist das ungerecht und unpassend.
Die ganze Gesellschaft wird in den Lockdown versetzt und die Kirchen haben dann eine solche Sonderstellung. Das ist eine ganz schwierige Situation in der wir uns da im Moment befinden. Für nichtreligiöse Menschen ist es schwer vermittelbar, was ein Gottesdienst für religiös-geprägte Menschen bedeutet. Ich würde es aber jetzt nicht an diesen Werktagsgottesdiensten festmachen.
Man muss auch da die Kirche sozusagen im Dorf lassen. So viele Werktagsgottesdienste gibt es in manchen Pfarreien auch nicht und so groß ist die Zahl derer auch nicht, die sie besuchen. Ich hab bislang nicht wahrgenommen, dass Leute jetzt vom Sonntag auf den Werktag ausweichen, weil für manche halt der Sonntagsgottesdienst oder - es geht ja jetzt um Weihnachten - der Weihnachtsgottesdienst zentral ist. Da ist der alternative Besuch an einem Werktag für einzelne eine Alternative, aber nicht für das Gros.
DOMRADIO.DE: Manche Kirchen und Städte drehen den Spieß um. Die Evangelische Kirche von Westfalen empfiehlt zum Beispiel jetzt den Verzicht auf öffentliche Gottesdienste an den Feiertagen. Ist auch diese Variante im Bistum Essen durchdacht worden?
Pfeffer: Klar wird die durchdacht. Ich habe heute schon mehrere Mails bekommen, von Mitarbeitenden und von Vertretern aus Pfarreien, die sagen, müsste es nicht eigentlich jetzt mal ein klares Wort des Bischofs dazu geben, der eben dazu aufruft. Ich finde es bemerkenswert, dass auf der einen Seite immer kritisiert wird, wenn Bischöfe klare Entscheidungen geben oder appelliert wird an die Eigenverantwortung vor Ort - und in dieser Situation dann erwartet wird, jetzt müsste der Bischof aber mal klar sagen, woran sich alle halten sollten, wo wir in einer solchen Dilemma-Situation sind. Das finde ich immer sehr schwierig.
Deswegen sind wir im Moment noch auf dem Standpunkt, dass wir unsere Pfarreien dazu auffordern, sehr sensibel abzuwägen was sie tun. Wir überlassen es auch ihrer Verantwortung gegebenenfalls zu entscheiden, dass sie aufgrund ihrer Situation vor Ort von Gottesdiensten Abstand nehmen. Aber wir empfehlen es nicht insgesamt allgemein. Nach wie vor gibt es ja die Möglichkeit, Weihnachtsgottesdienst zu feiern. Sie haben eine hohe Bedeutung und sie stehen ja auch unter dem Schutz der wirklich sehr strengen Hygieneregeln die wir haben, die jetzt noch mal verschärft worden sind. Und wo wir in all unseren Kirchengemeinden auch eine gute, bewährte Praxis haben.
Aber ich gebe auch zu, wir befinden uns in einer sehr dynamischen Situation. Die Diskussion läuft. Und es ist überhaupt nicht abzusehen, was jetzt in den Tagen bis Weihnachten noch geschieht, wie sich die Diskussion weiterentwickelt. Es hängt auch viel davon ab, wie sich die Infektionslage entwickelt und die Lage in unseren Kliniken. Das höre ich eben auch, dass mir Krankenhausseelsorger vermitteln, dass die Situation in den Kliniken absolut an der Grenze ist, fast schon darüber hinaus. Und dass es da auch Zeichen von Solidarität braucht und auch ein Zeichen der Kirchen, dass wir alles, wirklich alles tun, um die Infektionszahlen runter zu bekommen.
Das Interview führte Dagmar Peters.