Der ehemalige Radio-Vatikan-Chef 30 Jahre nach dem Papstattentat

"Großes Gottvertrauen"

Als Pater Eberhard von Gemmingen nach Rom kam, lag das Attentat auf Johannes Paul II. bereits ein Jahr zurück. Der Türke Ali Agca hatte am 13. Mai 1981 die beinahe tödlichen Schüsse abgegeben. Dass der Papst in den folgenden Jahren seine Mission um die Welt dennoch fortsetzte, zeuge von "großem Mut und Gottvertrauen", sagt Gemmingen nun im domradio.de-Interview.

Pater Eberhard von Gemmingen (KNA)
Pater Eberhard von Gemmingen / ( KNA )

domradio.de: Sie kamen erst im Jahr nach dem Attentat, 1982, nach Rom. Beschäftigte Sie und Radio Vatikan das Thema zu der Zeit noch?

Gemmingen: Es war eine wichtige Episode, auf die man auch 1982 noch zurückschaute. Und dann vor allen Dingen, als der Papst den Attentäter im Gefängnis besuchte. Denn man hat ja nicht erfahren, über was sie gesprochen haben. Aber es gab das berühmte Foto, wo der Papst auf einem einfachen Stuhl Ali Agca gegenübersitzt und sich fast freundschaftlich vorbeugt. Das war dann wirklich schon sehr aufregend.



domradio.de: Das Treffen war 1984. Kam es überraschend?

Gemmingen: Nach meiner Erinnerung schon, es hatte sich nicht unmittelbar vorher angekündigt. Gerade für Italien war das Treffen noch bewegender als für den Rest der Welt: Es war eine Geste, die die Medien im Land als etwas ganz Großes würdigten.



domradio.de: Nach dem Attentat beschäftigte die Medien aber erst mal vor allem die Suche nach den Hintergründen...

Gemmingen: Tatsächlich war das die Frage: Von wem war Ali Agca beauftragt? Von wem wurde er bezahlt? Es war ja noch die Zeit des Kalten Krieges. Vor dem Attentat war Ali Agca viel gereist. Und bei seinem Verhör machte er dann seltsame Angaben. Wirklich viel Stoff für die Medien.



domradio.de: Rechnen Sie damit, dass das Mordkomplott eines Tages aufgelöst wird?

Gemmingen: Ich schließe es nicht aus. Aber das wird schon noch lange dauern. Viele Archive sind ja 50 Jahre lang geschlossen. Es könnte schon sein, dass hier noch etwas herauskommt. Ali Agca lebt ja außerdem noch, er erzählt ja immer wieder alle möglichen Sachen. Aber womöglich nur, um die Menschen auf eine falsche Spur zu bringen. Oder um einfach interessant zu erscheinen.



domradio.de: Hat das Attentat den Papst verändert?

Gemmingen: Nein, ich glaube nicht. Und man muss bedenken, dass ein ähnliches Attentat jederzeit wieder hätte vorkommen konnte! Die Sicherheitskräfte haben sicher getan, was sie tun konnten. Aber Johannes Paul II. ist durch die Welt gereist und war dabei in unendlich vielen Stadien. Er musste sich ständig fragen: Schießt wieder jemand auf mich? Er musste großen Mut und großes Gottvertrauen haben, dass er weiter durch die Welt gereist ist, wie wenn nichts gewesen wäre.



Zur Person: Der Jesuiten-Pater Eberhard von Gemmingen war von 1982 bis 2009 Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan.



Das Gespräch führte Michael Borgers.