Täter, Mitläufer oder unschuldig in das System geraten? Seit Jahrzehnten versuchen Gerichte, das Unmögliche herauszufinden. Sie wollen die Organisatoren des Holocaust hinter Gitter bringen und haben jahrzehntelang mühsam versucht zu ermitteln, wer welche Taten begangen hat. Mittlerweile hat sich der Grundsatz durchgesetzt, dass sich schuldig gemacht hat, wer Teil des mörderischen Systems der Konzentrationslager war.
Interessant in diesem Kontext ist die Geschichte von Johanna Langefeld. Sie war Oberaufseherin im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und für kurze Zeit in Auschwitz; dennoch wurde sie nie verurteilt. Sie steckte Frauen Lebensmittel zu und setzte sogar Todesurteile aus. Frauen, denen sie dadurch im KZ das Leben rettete, halfen ihr daraufhin 1946, aus einem Krakauer Gefängnis zu entkommen, wo sie auf ihren Prozess und ihre mutmaßliche Hinrichtung wartete.
Von ihrem Leben und der ungewöhnlichen Aktion der Polinnen erzählt der Dokumentarfilm "Die Aufseherin - Der Fall Johanna Langefeld" von Gerburg Rohde-Dahl und Wladek Jurkow. Das Erste strahlt den Film am 29. Juli um 22.45 Uhr aus.
KZ-Aufseherin war Überzeugungstäterin
Die Autoren beleuchten den Lebensweg der 1900 geborenen Langefeld, die sich freiwillig für die Arbeit in Ravensbrück meldete. Sie war - daran lassen die Filmemacher auf Grund der vorliegenden Dokumente keinen Zweifel - alles andere als eine Gegnerin des Systems. Sie stellte nicht in Frage, warum Frauen aus dem polnischen Widerstand in Ravensbrück inhaftiert wurden.
Sie war Antisemitin, die Frauen jüdischen Glaubens schlechter behandelte als Christinnen und Atheistinnen. Dies bestätigen die wenigen noch lebenden Frauen und Interviews mit Überlebenden, die die Filmemacher in Archiven fanden.
Langefeld meldete sich sogar freiwillig, um das Frauenlager in Auschwitz auszubauen. Als sie dort aber Zeugin der systematischen Ermordung von Menschen in den Gaskammern wurde, regte sich ihr Gewissen. Sie bat um Rückversetzung in das KZ in Ravensbrück. Wenige Monate später wurde sie dort wegen ihrer "barmherzigen Haltung gegenüber den Insassinnen" verraten. Sie musste das Konzentrationslager vor Kriegsende verlassen und arbeitete in einer bayerischen Fabrik. In München wurde sie schließlich von den Amerikanern verhaftet und nach Polen überstellt.
Insassinnen halfen Aufseherin
Zahlreiche Frauen bestätigen heute, dass sie Johanna Langefeld ihr Leben verdanken. Als sie von ihrer Verhaftung erfuhren, ahnten sie wohl, dass ihre Dankbarkeit in den Prozessen kaum eine Rolle gespielt hätte. Der Hass in Polen auf alles Deutsche war verständlicherweise so groß, dass Differenzierungen in der Nachkriegszeit keine Chance hatten. Die Frauen bestachen wahrscheinlich das Begleitpersonal und fanden für Langefeld ein Versteck, wo sie jahrelang blieb. Mitte der 1950er Jahre kehrte sie nach Bayern zurück und starb dort in den 70ern.
Heute ist es möglich, differenziert von diesem fast vergessenen Kapitel deutsch-polnischer Geschichte zu sprechen - und die Großherzigkeit jener Polinnen zu würdigen, die sicher kurz nach dem Krieg und vielleicht bis heute nicht vergeben haben, was ihnen die Deutschen angetan haben. Dennoch retteten sie jene Frau, der sie inmitten eines höllischen System ihr Leben zu verdanken hatten, mit einer gut geplanten Geheimaktion.
Dem Film gelingt es, die Gräuel des Schreckensregimes nicht zu verharmlosen. Zugleich würdigt er eine großzügige Geste der Menschlichkeit, mit der fünf polnische Frauen ihrer Aufseherin zurückgaben, was ihnen selbst von ihr geschenkt wurde - das Leben.
"Die Aufseherin - Der Fall Johanna Langefeld", Dokumentation von Gerburg Rohde-Dahl und Wladek Jurkow. Das Erste, 29.07., 22.45 - 0.15 Uhr. Mit Untertiteln für Hörgeschädigte.