In der Geschichte der friedlichen Revolution 1989 kommt Plauen eine Sonderrolle zu

Späte Ehre

Wasserwerfer, Hundegebell, Hubschraubergeknatter und schwerbewaffnete Polizisten: Auch im sächsischen Plauen hatte die DDR-Staatsmacht am 7. Oktober 1989 alles aufgeboten, um am 40. Republik-Geburtstag jeden Protest umgehend im Keim zu ersticken. Doch dann kam alles anders.

Autor/in:
Markus Geiler
 (DR)

Trotz des martialischen Aufzugs folgen rund 15.000 der 75.000 Einwohner einem Aufruf zu einer Protestdemonstration gegen die SED-Führung. "Überwindet Eure Lethargie und Gleichgültigkeit! Es geht um unsere Zukunft!", heißt es darin.

Die friedlichen Demonstranten fordern, was viele in der DDR wollen: Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungs- und Demonstrationsrecht. Die Staatsmacht will genau das unter allen Umständen verhindern und droht mit Gewalt. Die Angst unter den Menschen auf dem Plauener Theaterplatz ist groß, aber auch ihr Mut. Ein Transparent wird entrollt und fordert "Reisefreiheit, freie Wahlen und vor allem Frieden". Als die Situation zu eskalieren droht, beschafft sich der damalige Superintendent Thomas Küttler ein Megafon, steigt auf ein Geländer des Rathauses und ruft zum Gewaltverzicht auf.

Anders als in Ost-Berlin, wo die Demonstranten am gleichen Tag vor laufenden Westkameras noch niedergeknüppelt werden, beugt sich in der sächsischen Provinzstadt die Staatsmacht schließlich der Übermacht des Protests und zieht sich zurück. Ein erster friedlicher Sieg der DDR-Bevölkerung im Herbst '89, sagt Küttler heute. Ein Sieg, der bislang allerdings kaum jemandem in Ost wie West geläufig ist.

Der eigene Mut ist nicht vergessen
Im Vogtland hingegen ist der eigene Mut von damals keineswegs vergessen. Jährlich am 7. Oktober wird in der Stadt daran erinnert. Durch den Besuch von Bundespräsident Horst Köhler und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) an diesem Mittwoch bekommt dieser Plauener Gedenktag nun auch die von den Bürgern lang ersehnte bundesweite Aufmerksamkeit.

Dass die "Musik der Revolution", wie der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer einmal sagte, zumindest in den ersten Monaten des Herbstes '89 überwiegend in der Provinz spielte, ist in den vergangenen Jahren häufig in Vergessenheit geraten. Zu sehr sind die Bilder des Mauerfalls am 9. November in Berlin, die vor Freude weinenden Menschen und der grenzenlose Jubel im kollektiven - vor allem westdeutschen - Bewusstsein verankert.

Erschwert wird die Geschichtsdeutung zudem durch den 3. Oktober als Nationalfeiertag, "ein sinnloses und blutleeres Datum", wie der frühere Leipziger Nikolaikirchenpfarrer Christian Führer kritisiert. "In der gesamtdeutschen Erinnerung werden die Plauener einfach vergessen", beklagte der Plauener Handwerksmeister Wolfgang Sachs noch im Frühjahr.

Denkmal aus Angst, dass die Geschichte verfälscht wird
Mit Unbehagen hätten die Einwohner der Stadt auch den Streit um das zunächst nur in Berlin und dann auch in Leipzig geplante Einheitsdenkmal verfolgt. Aus "Angst, dass die Geschichte verfälscht wird", beschlossen sie deshalb, sich selbst ein Denkmal zu setzen, mit eigenem Geld. Das Bürger-Monument, dessen Grundstein am Mittwoch gelegt wird, zeigt eine überdimensional große Kerze in einem Bronzemantel. Die Einweihung ist für den 3. Oktober 2010 geplant.

Heute freut sich Sachs über den Besuch des Bundespräsidenten und die damit verbundene Würdigung der Courage der Vogtländer. "Das ist ein erster Schritt. Diese Anerkennung ist wichtig für uns Plauener", sagt er.

Auch von wissenschaftlicher Seite wird mittlerweile eingeräumt, dass der breite Druck auf das SED-Regime von den Straßen Thüringens, Sachsen oder Sachsen-Anhalts ausging und nicht Ost-Berlins. "Abgesehen von den Aktivitäten der Bürgerrechtler in den Kirchgemeinden und außer am 7. Oktober blieb es in Berlin bis zu der Massendemonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November weitgehend ruhig", sagt der Leiter des Berliner Forschungsverbundes SED-Staat, Klaus Schroeder.

Die Tragik an der Plauener Demonstration sei, dass es von ihr keine Bilder gab, sagt Schroeder. Deshalb habe sie auch anders als der 9. Oktober in Leipzig keine Signalwirkung in das Land gehabt. Aber auch bei den Bildern geben die Plauener keine Ruhe. Ein kürzlich aufgetauchter privater Super-Acht-Film von der Demonstration am 7. Oktober wird gerade digitalisiert. Am 7. November soll er erstmals der Öffentlichkeit gezeigt werden.