Der Islamwissenschaftler Karimi über den Erfolg der Salafisten in Ägypten

"Ich bin wirklich besorgt"

In Ägypten läuft die zweite Etappe der Parlamentswahlen. Wahlsieger der ersten waren die islamistischen Parteien mit rund 65 Prozent der Stimmen. Besonders der Erfolg der Salafisten macht den christlichen Kopten und Menschenrechtlern Sorge. Im domradio.de-Interview warnt der Islamwissenschaftler Milad Karimi vor totalitären Bestrebungen der Bewegung.

 (DR)

domradio.de: Wer sind diese Salafisten?

Milad Karimi: Die Salafisten sind eine ideologische Gruppierung, die sich auf den Islam beruft, man könnte sie islamistisch nennen. Sie verfolgen eine sehr einfache Idee: Sie sind der Auffassung, dass man dem Islam einen Umbruch schenken solle in dem Sinne einer Rückkehr zu den normbildenden Quellen. Jene Quellen, die in der Anfangszeit des Islam vorherrschend waren. Das bedeutet, dass diese Quelle Grundlage aller Regelungen für alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche sein soll. Darin sind sie totalitär, weil sie keinen freien Raum lassen für jedwede andere Auffassung, sondern für alle Lebensbereiche. Gemeint ist also nicht der gewachsene Islam, der traditionelle Islam, sondern der Islam, der zu Zeiten des Propheten und der ersten beiden Generationen vorgeherrscht hat. Das wäre ja noch in Ordnung, so kann man ja denken auch wenn es nicht sympathisch klingt. Aber das Problem ist, dass diese Forderung auch ein modernes Konstrukt ist und darin liegt der Widersprich in der ganzen Bewegung.



domradio.de: Demokratie sei Sünde und demokratische Wahlen Teufelszeug, behauptet der Wortführer der Salafisten. Er malt den Islam in drastischen Farben, das weckt Befürchtungen. Teilen Sie diese?

Milad Karimi: In der Tat. Ich bin wirklich beängstigt, wenn ich diese Ideen und diese Massenbewegung sehe. Aber es widerspricht sich, dass die Wahlen verteufelt werden, aber dennoch daran teilgenommen wird. Die Entwicklung überrascht aber nicht, ob es nun der Erfolg der Muslimbrüder oder die Salafisten. Jetzt haben die Ägypter nach fünftausendjähriger Geschichte das erste Mal die Möglichkeit zu wählen und dann kommen gerade diese Gruppierungen in der Vordergrund.



domradio.de: Das entspricht ja auch nicht den Demokratiebestrebungen des arabischen Frühlings.

Milad Karimi: Die Muslimbrüder und Salafisten waren ja Teil der Bewegung auf dem Tahrir-Platz! Sie gehören dazu. Das bringt Demokratie auch mit sich. Wenn Demokratie Wahlen zulässt, dann können solche Gruppierungen auch teilnehmen und Erfolg haben. Die Erwartungen, dass nach der Diktatur eine neue liberale Partei die Wahlen gewinnt, waren utopisch! Die Muslimbrüder etwas haben bislang in Ägypten nur caritative Einrichtungen geleitet, sie haben ein soziales Sicherungsnetz aufgebaut. In Ägypten lebt jeder vierte unter der Armutsgrenze, der Erfolg ist also nicht verwunderlich. Die Muslimbrüder versuchen sich ja moderat zu geben und darauf hoffen die Wähler.



Das Interview führte Monika Weiß.



Hintergrund

In Ägypten ist die zweite Etappe der Parlamentswahlen fortgesetzt worden. Wie schon am Mittwoch sind die Berechtigten in Giza, Assuan und sieben weiteren Provinzen aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Am ersten Wahltag hatten sich dort immer wieder lange Schlangen vor den Wahllokalen gebildet. Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verschiedener Kandidaten. Ende November und Anfang Dezember war vor allem in Kairo, Luxor und Alexandria gewählt worden. Wahlsieger waren dort die islamistischen Parteien mit rund 65 Prozent der Stimmen. - Die dritte und letzte zweitägige Wahlrunde findet Anfang Januar auf der Sinai-Halbinsel und in Teilen des Nildeltas statt. Insgesamt sind rund 50 Millionen Ägypter aufgerufen, über die 498 Sitze im Parlament zu entscheiden.



Das Oberhaupt der Kopten in Deutschland, Bischof Anba Damian, hat massive Wahlfälschungen bei den Parlamentswahlen beklagt. Es sei vorgekommen, dass Christen auf den Wählerlisten im Wahllokal unter ihrem Namen bereits eine Unterschrift vorgefunden hätten, sagte der Bischof der "Nürnberger Zeitung" (Donnerstag). Außerdem hätten Muslimbrüder den Armen Stimmen gegen Lebensmittel oder andere Sachleistungen abgekauft. Gerade Analphabeten hätten Angst gehabt, eine Geldstrafe von umgerechnet 62 Euro zu erhalten, wenn sie nicht zur Wahl gingen.



In einem vor allem von Christen besuchten Wahllokal seien sämtliche abgegebene Stimmen von dem zuständigen Aufseher für ungültig erklärt worden, so Damian. Die Muslimbrüder hätten die Abstimmung auf "schmutzige Art und Weise" gewonnen, obwohl sie sich ohnehin als eine der stärksten Mächte des Landes gerierten. Die mit der Wahldurchführung betrauten Personen gehörten zum alten Regime, sagte der 56-jährige Bischof. Außerdem bestünden enge Beziehungen zwischen Islamisten und der ägyptischen Armee. Die Streitkräfte seien von Muslimbrüdern und Salafisten "total infiltriert".



Andererseits gebe es auch gemäßigte muslimische Politiker, die Christen gegenüber besser gesonnen seien als manche Regierenden, in deren Ausweis "Christ" stehe, sagte Damian. Kopten hätten daher auch "mit vollem Bewusstsein" muslimische Kandidaten gewählt. Hingegen nannte er Kopten, die sich in der Partei der Muslimbrüder engagierten, "Marionetten". Es sei ein bekanntes Spiel, Christen in den Vorstand zu berufen, um die Welt zu täuschen. "Nur weil man auf dem Papier Christ ist, ist man in seinem Verhalten noch lange keiner." - Bischof Anba Damian, der im westfälischen Höxter residiert, ist Oberhaupt der rund 6.000 Kopten in Deutschland.