Papst Franziskus ist ein Familienmensch. Immer wieder etwa zitiert er Lebensweisheiten seiner Großmutter. Rosa Margherita Bergoglio muss eine couragierte Frau gewesen sein: In der Kirche ihres norditalienischen Heimatdorfs stieg sie einmal auf die Kanzel, um Benito Mussolini den Marsch zu blasen. Angeblich war das ein Grund für die Auswanderung nach Argentinien.
Die Großmutter war es auch, die ihren Enkeln den alten piemontesischen Dialekt weitergab. Und Oma Rosa lehrte den Papst das Beten: "Sie hat mir viel beigebracht in Glaubensdingen." Noch heute, so heißt es, habe er einen Zettel von ihr im Gebetbuch, ein geistliches Testament an die Enkel.
Katholische Bilderbuchfamilie
Sie scheinen eine katholische Bilderbuchfamilie: Die Eltern, Jose Mario Francisco Bergoglio und Regina Maria Sivori, lernen sich jung kennen, in der Kirche. Zwar hat die Weltwirtschaftskrise das tapfer erworbene Vermögen der neuargentinischen Bergoglio-Brüder aufgefressen. Doch schon nach einem Jahr heiraten Jose und Regina im Dezember 1935; sie bekommen fünf Kinder; Jorge ist der Älteste.
Die Mutter ist eine begnadete Köchin; von der Schwiegermutter erbt sie das Geheimnis hausgemachter Pasta. Den Vater Jose, Buchhalter bei der Eisenbahn, beschreiben Papstbiografen als liebevolles Familienoberhaupt. Den Sonntag begehen Eltern und Kinder mit Messbesuch und großem Mittagessen. Allerdings bringt der Vater manchmal Bürokram mit nach Hause - für Franziskus nach eigenen Worten ein Grund für seine Abneigung gegen Wirtschaftsthemen.
Ein Hort, in dem die Geschwister Bergoglio unter der fürsorglichen Autorität der Eltern und unter der Liebe der Großeltern Zusammenhalt lernen, im Glauben und an menschlichen Werten wachsen: So klingt, was vom Vorleben des Papstes bekannt ist. Eine der größten Krisen scheint ausgerechnet Jorges Berufung. Nur zögernd kann die so gläubige, 1981 während der Militärdiktatur gestorbene Mutter Regina akzeptieren, dass ihr Ältester Priester werden will.
Franziskus lässt nichts auf seine Mutter kommen
Bis heute lässt Franziskus freilich nichts auf seine Mutter kommen.
Eine seiner vielen Schlagzeilen machte er 2015 mit dem Statement, wer seine Mutter beleidige, müsse eins vor den Latz gewärtigen. Anlass der kernigen Aussage war der islamistische Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris und die anschließende Diskussion über Gewaltbereitschaft und Gewaltverzicht.
Zwar vom "anderen Ende der Welt", wie sich Bergoglio selbst unmittelbar nach seiner Papstwahl beschrieb, war er doch ein ziemlich normaler Junge, wie es scheint. Als Zwölfjähriger schrieb Jorge einem Nachbarsmädchen von schräg gegenüber, Amalia, einen wohl altersgemäßen Liebesbrief: Er werde ihr ein Haus kaufen - das er Amalias Überlieferung zufolge auch zeichnete. Ihre Eltern schritten freilich ein; aus dem Immobilien-Deal wurde nichts. Auch eine viel spätere feminine Schwärmerei von ferne - schon während seines Noviziats bei den Jesuiten - konnte den Bergoglio-Biografen zufolge nichts mehr an seiner Entscheidung zum Priestertum ändern.
Lesen, Religion und Fußball
Ansonsten hatte der kleine Jorge vor allem drei Dinge im Kopf: Lesen, Religion - und Fußball. Grundstein für seine unverbrüchliche Liebe zu Atletico San Lorenzo de Almagro, dem Club seines Stadtteils Flores, waren Lorenzos Meisterjahr 1946 und ein gemeinsamer Stadionbesuch mit seiner Familie. Das Straßenkicken hat Jorge noch vor der Theologie gelernt: an der Membrillar Nummer 531, seinem Geburtshaus. Der Straßenzug in Flores im Herzen von Buenos Aires ist heute eine feste Station jeder päpstlichen Stadtführung.
Der Musiker Mario Valdez, der 1948 gemeinsam mit Jorge die fünfte Klasse besuchte, erzählte: "Da an der Ecke, wo heute ein kleiner Spielplatz ist, hat der Papst als kleiner Junge jeden Nachmittag gekickt. Literatur und Fußball, das waren seine Leidenschaften - in dieser Reihenfolge." Ein weiterer Schulfreund, Nestor Carabajo, behauptet, der kleine Jorge sei nie ein begnadeter Techniker gewesen, aber dafür schon damals ein großer Taktiker: Er habe das Team aufgestellt und die Richtung vorgegeben.
Jorges jüngste Schwester, die heute 74-jährige Maria Elena Bergoglio, ergänzte eine weitere Leidenschaft. Ihr Bruder habe als junger Mann schon immer gern am Herd gestanden: "ein großer Koch" - allerdings mit schwacher Lunge. Im 21. Lebensjahr, kurz vor der Priesterweihe, hätte ihn eine Lungenentzündung fast das Leben gekostet. Die Solidarität seiner Mitseminaristen und die Entfernung eines Teils der Lunge brachten Jorge Mario Bergoglio durch - und am Ende an die Spitze der katholischen Kirche und die Schwelle zum Jahr 2022.