Im Grunde sind Flüchtlinge im rheinischen Karneval seit jeher ein Begriff. Die nämlich, die spätestens an Weiberfastnacht fluchtartig die Städte verlassen, um dem Geschunkel, Gezeche und Geknutsche im Sylter Exil oder auf alpinen Skipisten zu entkommen.
Karnevalskurse für Flüchtlinge
Solche Spaßresistenz verbuchten die Jecken stets mit einem legeren "Levve un levve losse" (nach kölnischer Mundart). Wie aber verträgt sich der Karneval bisher mit echten Flüchtlingen aus Kulturkreisen, in denen schon ein einziger Betrunkener auf der Straße nicht als nervige Belästigung, sondern als religiöse Provokation gilt – und Hunderte erst recht? Vom lockeren Umgang zwischen den Geschlechtern ganz zu schweigen.
Nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 schien der nächste, noch größere Schock vorprogrammiert. Eilig besserten Polizeistrategen ihre Einsatzkonzepte nach, boten Helfer wie der Kölner Caritasverband Karnevalskurse für Flüchtlinge an: Ja, der Bierkonsum an den tollen Tagen ist Teil dieser Kultur. Nein, ein zugeworfener Handkuss bedeutet nicht "Heirate mich". Einige Karnevalsvereine entsandten kostümierte Narren in Flüchtlingsheime.
Polizei riet Flüchtlingen vom Karnveal ab
Das Festkomitee der Domstadt bringt seitdem in den Unterkünften eine Broschüre aus, die das seltsame Treiben im Februar auf Arabisch erklärt. Dass die Gewehre der Fußtruppen nur Attrappen sind, war eine der zentralen Botschaften an Kriegsflüchtlinge. Der Flyer endet mit den Worten: "Sei dabei und feiere mit uns!" Integration im Zeichen der Pappnas.
Weniger euphorisch gab sich die nordrhein-westfälische Polizei. Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg sorgte im Februar 2017 mit einer Mail an die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften für Aufsehen, die ihnen davon abriet, Ausflüge zu karnevalistischen Hotspots für die Bewohner zu organisieren. Das "massierte Auftreten von Flüchtlingen und Asylbewerbern bei Karnevalsveranstaltungen" könne zu "unerwünschten Wechselwirkungen" mit der Bevölkerung führen. Außerdem sollten sich die Migranten auf verstärkte Polizeikontrollen einstellen und keine großen Taschen oder Rucksäcke mitnehmen.
Die Sorge der Polizei, keine zwei Monate nach dem Terroranschlag in Berlin, leuchtete zwar ein, löste bei Flüchtlingsräten aber Empörung aus. Von einer "Sonderbehandlung vermeintlich anders Aussehender" und "racial profiling" war die Rede. Darauf ruderte das LZPD zurück; das Schreiben sei nicht autorisiert gewesen, hieß es.
Kaum Delikte durch Zuwanderer
Die Befürchtungen der Ordnungshüter haben sich nach deren Angaben bisher nicht bestätigt. In den Karnevalshochburgen Köln, Mainz und Düsseldorf meldete die Polizei 2016 und 2017 nur eine geringe Zahl von Delikten wie sexuelle Übergriffe durch junge Zuwanderer. Das liege auch an der "sehr niedrigen Einschreitschwelle" der Beamten und einer starken Präsenz an Brennpunkten.
Aber man orientiere sich bei allen Maßnahmen ausschließlich am Verhalten, nicht an der Herkunft der Leute, hieß es auf Anfrage unisono. Insgesamt wirkt der närrische Frohsinn auf die meisten, überwiegend muslimischen Migranten offenbar eher befremdlich bis abschreckend.
Existenzielle Sorgen und Traumata dürften die Feierlaune zusätzlich bremsen. "Mir sind beim Rosenmontagszug keine größeren Gruppen begegnet", sagt Hans-Peter Suchand, Sprecher des Kölner Festkomitees. "Hier und da sah man mal ein Grüppchen, vermutlich Flüchtlinge. Die waren wenig oder gar nicht verkleidet und feierten einfach friedlich mit." Wenn überhaupt, gebe es da eine Art "stillschweigende Integration".
Interesse an Karneval gering
Die integrative Kraft des Karnevals mag man auch beim Kölner Caritasverband nicht naiv überschätzen. Das Interesse an der fünften Jahreszeit sei unter ihren Schützlingen sehr gering, berichtet Flüchtlingshilfekoordinatorin Martina Soesters. Deshalb sieht sie für "Einstiegskurse" in den Karneval keinen Bedarf mehr.
Man muss als gläubiger Muslim wohl kein Anhänger von Salafistenpredigern sein, die sich auf Youtube mit Warnungen vor dem ausschweifenden Brauchtum christlicher Provenienz überschlagen, um damit nicht viel anfangen zu können. Im Islam gibt es schlicht nichts dergleichen – und Alaaf und Allah lassen sich nun mal schwer verbinden. Erst das anschließende Fasten bietet da wieder kulturelle Berührungspunkte.
Christoph Schmidt