Am Dienstag werden die Vereinten Nationen noch keinen "Welttag der Geschwisterlichkeit aller Menschen" ausrufen. Nicht weil ihnen das Miteinander der Religionen und deren Einsatz für eine bessere Welt egal wären. Aber der Anlass wäre noch etwas frisch. Vielleicht 2021, wenn sich jener denkwürdige 4. Februar 2019 in Abu Dhabi zum zweiten Mal jährt.
Es war vor einem Jahr, als am Denkmal des Staatsgründers der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Zayid bin Sultan Al-Nahyan (1918-2004), vor rund 400 Teilnehmern einer interreligiösen Konferenz der Kairoer Großimam Ahmad al-Tayyeb und Papst Franziskus zur Überraschung nahezu aller Anwesenden ein Dokument unterzeichneten.
Deutliche Worte
Fromme Worte religiöser Führer ist man gewohnt. Doch das "Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt" hat es in sich. So klar, wie die beiden religiösen Führer für Religionsfreiheit, Frauenrechte und Nachhaltigkeit werben, so deutlich, wie sie Gewalt und Extremismus im Namen Gottes, aber auch religionsfeindlichen Säkularismus und amoralischen Individualismus verurteilen, will das nicht jeder Machthaber oder traditionalistische Prediger hören, schon gar nicht in der islamischen Welt.
Das Dokument von Abu Dhabi war ein Coup. Bis zuletzt wurde es geheimgehalten, auch aus Angst vor Sabotage durch Extremisten. Umso mehr erstaunt die schwache Resonanz auf den Text. Während in früheren Jahren aus dem Zusammenhang gerissene Zitate etwa Benedikts XVI. für Empörung und Aufruhr sorgten, blieben die Reaktionen auf Abu Dhabi vor allem islamischerseits verhalten. Was nur zum Teil daran liegt, dass Protestkrawalle sich medial stärker verbreiten als freundliche Zustimmung.
Muslimische Kritiker befürchten Relativierung des Glaubens
In der arabischen Welt wie in Südasien berichteten Medien breit über das Dokument. Die katholischen Bischöfe Indonesiens, dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung, widmeten ihm eine komplette Vollversammlung. Es scheint Gleichgültigkeit vorzuherrschen. Zwar besitzt der auf Lebenszeit ernannte Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität eine hohe Autorität in der sunnitischen Welt.
Doch die ist weit entfernt von jener des Papstes für Katholiken. Manchen Muslimen gilt Al-Tayyeb als zu liberal. Andere - nicht nur Muslime - befürchten eine Relativierung des eigenen Glaubens oder wittern eine Mischreligion im Entstehen. Dabei hat die Initiative auch politisch gewichtige Unterstützung: Scheich Mohammed bin Zayed, de facto Herrscher der Arabischen Emirate, Partner Kairos und einer der mächtigsten Männer Arabiens, war Gastgeber des Treffens in Abu Dhabi. Ohne ihn wäre die Unterzeichnung kaum möglich gewesen, meinen Insider. Auch entsandte der Kronprinz Vertreter in ein von Vatikan und al-Azhar gegründetes «Hohes Komitee zur Verbreitung des Dokumentes zur menschlichen Geschwisterlichkeit».
Oft zitiert von Papst Franziskus
Trotz flauer Rezeption lassen Papst und Großimam nicht locker: So schlugen sie den Vereinten Nationen den erwähnten "Welttag der Geschwisterlichkeit aller Menschen" vor. Der Präsident des Rates für interreligiösen Dialog, Kardinal Miguel Ayuso, und Al-Azhar-Richter Muhammad Abd al-Salam unterbreiteten die Idee UN-Generalsekretär Antonio Guterres im Dezember in New York. Ob er die Idee umsetzen kann, muss sich zeigen.
Franziskus selber zitiert das Dokument bei nahezu jeder sich bietenden Gelegenheit. Im November überreichte er es dem obersten Buddhisten Thailands. Zu erwarten ist, dass es bei dem von ihm initiierten Bildungsgipfel im Mai ebenfalls eine Rolle spielt. Gegen katholische Kritik am Text, er relativiere die Bedeutung Jesu Christi, sagte Franziskus damals: "Aus katholischer Sicht weicht dieses Dokument keinen Millimeter vom Zweiten Vatikanischen Konzil ab."
"Fester Bestandteil katholischer Tradition"
Der deutsche Theologe und Islamwissenschaftler Felix Körner sieht den Text sowohl in christlich-katholischer wie arabisch-islamischer Lehre und Tradition gut verankert. Die Rede von der Geschwisterlichkeit sei gerade im Blick auf Muslime "fester Bestand katholischer Tradition seit Johannes XXIII.", schrieb er im August in der Jesuiten-Zeitschrift "Stimmen der Zeit".
Kritik müsse berücksichtigen, dass der Text kein umfassendes Selbstverständnis des einen wie des andern Glaubens liefern könne. Vielmehr wollten Papst und Großimam gemeinsame Anliegen formulieren, die auf beiden Seiten gleich verstanden werden. Bemerkenswert daher Aussagen wie diese: "Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um die Menschen zu terrorisieren."