DOMRADIO.DE: Die biblische Erzählung von den Heiligen Drei Königen stellt die Rahmenhandlung des neuen Oratoriums für Sprecher, Chor und Orchester dar, die eingebettet ist in Vertonungen von modernen Texten etwa von Karl Rahner und Nelly Sachs. Herr Metternich, wie kam es zu der Idee, für den 700 Jahre alten Gotischen Chor ein ganz neues Oratorium schreiben zu lassen?
Prof. Eberhard Metternich (Domkapellmeister und Leiter der Kölner Dommusik): Zum einen ist das Jubiläum natürlich ein ganz besonderer Anlass in der Geschichte des Kölner Doms. Ich bin ja jetzt auch schon einige Jahre als Domkapellmeister da, aber es hat eigentlich noch nie ein Oratorium für den Dom gegeben.
Es gab einmal die Idee, dass der Komponist Christoph Penderecki seine Lukas-Passion für den Kölner Dom schreibt, aber das hat das Domkapitel seinerzeit abgelehnt. So ist das Werk dann nach Münster gekommen. Mein Traum war immer, noch ein Oratorium in Auftrag zu geben. Der mittelalterliche Hochchor ist für mich der spirituellste Ort des Domes. Sein Jubiläum hat dann den Ausschlag gegeben, für diesen Anlass ein Oratorium in Auftrag zu geben.
DOMRADIO.DE: Herr Burggrabe, Sie haben diesen Auftrag bekommen. Was war so Ihr erster Gedanke, als die Anfrage kam, für eine so bedeutende Kirche ein eigenes Oratorium zu schreiben?
Helge Burggrabe (Komponist): Ich habe mich natürlich sehr geehrt gefühlt, diesen Auftrag zu bekommen. Und ich denke, die Dreikönigsthematik ist ein sehr poetisches Thema; die Frage nach Aufbruch, nach Weg, nach Suche. Was ist das, was mich auf dem Weg hält? Was ist das, was dieses Kind im Stall bedeuten könnte?
Mir ist aufgefallen, dass es für die heutige Zeit ein spannendes Thema ist. Vieles ist gerade unsicher, viele sind vielleicht auch orientierungslos, so erlebe ich zumindest viele Menschen. Und da in diesem bedeutenden Bauwerk Kölner Dom, dieses berühmte Thema der drei Könige mit einem heutigen Werk, da eine Brücke zu schlagen, ist eine aufregende Sache!
DOMRADIO.DE: Im Neuen Testament werden die Heilige Drei Könige als Maggoi bezeichnet, als Magier, als Sterndeuter, die aus dem Osten kommen. Sie haben neben der Bibel als Rahmenerzählung auch gegenwärtige Texte, also Texte, die aus dem 20./21. Jahrhundert stammen, in dem Oratorium vertont. Wie kann man das verbinden? Wie klingt so was?
Burggrabe: Die Sterndeuter sind wie ein archetypisches Motiv. Sie galten ja auch als Stellvertreter für die verschiedenen Kontinente. Und insofern kann man sagen, sie sind die Archetypen für Suchende - da steckt das große Thema der Sehnsucht drin.
Und ich habe dann bei der Zusammenstellung der Texte zum Beispiel geschaut, dass die Bibelerzählungen natürlich der rote Faden sind, aber dann eben auch heutige Gedanken dazukommen. Zum Beispiel Karl Rahner, der sagt: Gold der drei Könige steht für die Fülle des Lebens, für die Liebe oder der Weihrauch steht für die Sehnsucht, die Myrrhe steht für Schmerzen. Und da merkt man dann schon, das sind Themen, die überzeitlich und insofern auch hochaktuell sind und uns bewegen können.
DOMRADIO.DE: Ein zentraler Begriff in Ihrem Oratorium ist das Herz; Aufbruch des Herzens, Herausforderungen des Herzens und so weiter. Alle vier Teile werden mit Herz assoziiert. Warum haben Sie diesen Begriff so groß gemacht?
Burggrabe: Wenn Menschen aufbrechen, dann steckt da ja etwas drin, dass sie dort, wo sie wohnen, vielleicht nicht mehr so glücklich sind, dass sie merken, etwas ruft sie. Und der Stern ist ein ganz poetisches Bild für Orientierung. Was gibt meinen Schritten Orientierung?
Und mir kommt es so vor, als wäre das wie ein Ruf des Herzens; das Herz, das sich auf den Weg macht, berührt zu werden von dem, wofür das Jesuskind steht - also göttliche Präsenz, Nähe im Herzen zu suchen. Und ich denke, das ist hochaktuell; dass es im Grunde genommen um eine Art Klimawandel im Herzen geht, dass ein anderes Umgehen heutzutage nötig ist, denn so kann es ja nicht weitergehen in der Art, wie wir unsere Welt als Menschen gerade einrichten.
DOMRADIO.DE: Herr Metternich, Sie sind seit einigen Wochen mit Ihren Chören beim Proben schon dran. Wie haben Sängerinnen und Sänger auf die Musik bisher reagiert?
Metternich: Natürlich erst mal mit einer gehörigen Portion Neugier. Bei den Kindern der Dommusik ist das etwas anders als bei den Erwachsenenchören. Die Kinder nehmen das recht nüchtern auf und sehen erst mal: Aha, da sind die Schwierigkeiten und da gibt es weniger Probleme.
Bei den Erwachsenen des Vokalensembles Kölner Dom stelle ich fest, dass sie mit der Tonsprache von Helge Burggrabe schon ein wenig vertraut sind und dass sie sich von diesen neuen Klängen oder auch Rhythmen gefangen nehmen lassen. Da gibt es manchmal besondere Klippen, aber Herausforderungen sind ja auch immer gut!
DOMRADIO.DE: Normalerweise führen Sie als Dirigent Musik von Menschen auf, die schon lange tot sind. Johann Sebastian Bach etwa können Sie natürlich nicht mehr fragen, wie er seine Matthäuspassion in der Aufführung haben will. Wie wichtig ist für Sie jetzt der Austausch mit Helge Burggrabe?
Metternich: Für mich ist der schon sehr wichtig! Etwa um zu wissen, welche Atmosphäre kommt an welcher Stelle des Oratoriums? Er hat seine Vorstellung als Komponist und ich versuche das dann mit meinen Gedanken, die natürlich auch eine Rolle spielen, zu verknüpfen und daraus eine schlüssige, atmosphärisch dichte Aufführung zu machen.
DOMRADIO.DE: Herr Burggrabe, eine Spezialität von Ihnen ist, Musik für Kathedralen zu komponieren, in Kathedralen dann auch aufzuführen. Wie wollen Sie den Raum des Kölner Domes mit Ihrem Oratorium aufgreifen?
Burggrabe: Im Zentrum steht absolut die Musik und eben auch die inhaltliche geistliche Erzählung. Oratorium heißt ja übersetzt geistliche Erzählung. Insofern wollen wir alle Menschen einladen in diesen berühmten Bau zu kommen und sozusagen vor der "Kulisse" dieses eindrücklichen architektonischen Gebäudes mit dem Schrein der Heiligen Drei Königen in diesen Augenblick mit Musik einzutauchen.
Musik ist ja eine Kunstform, die nur im Augenblick dann kreiert wird, passiert und dann wieder verklingt. Und ich stelle mir vor, dass wir alle gemeinsam in den Augenblick eintauchen. Also, die Menschen, die das aufführen als Chor, als Orchester. Und alle, die dann da sein werden, werden, glaube ich, eintauchen in die Erzählung. Das ist mein Wunsch, wo natürlich die Architektur mithilft und die ganze Geschichte, die dieser Ort hat. Und ich freue mich da schon unglaublich darauf.
Das Interview führte Mathias Peter.
INFO: DOMRADIO.DE überträgt die Uraufführung am Donnerstag, 15.09.2022, ab 20 Uhr in Ton und Bild im Web-TV, Facebook und Youtube.