Kirche und Krise werden seit Langem in einem Atemzug genannt. So befasste sich die jüngste Vollversammlung von Deutschlands katholischen Bischöfen ausführlich mit den hohen Austrittszahlen. Der Umgang mit dem Missbrauchsskandal stellt verstärkt nicht nur die Institution, sondern auch den Glauben selbst infrage, wie bei einer am Samstag beendeten Online-Konferenz deutlich wurde.
Mit rund 300 Teilnehmenden aus Deutschland und Nachbarländern fand die Tagung auf Einladung der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und der kirchlichen Fokolar-Bewegung im Anschluss an das Bischofstreffen statt. Sie sollte nach dem Willen auch des mitveranstaltenden Bochumer Instituts für angewandte Pastoralforschung überdies dem Reformdialog Synodaler Weg der deutschen Katholiken Impulse geben, von dem Mitglieder am Programm mitwirkten. Dass es dabei nicht um fertige Rezepte ging, verriet schon der provisorisch anmutende Titel: "Was und wie, wenn ohne Gott?"
Hohe Austrittszahlen im Blick
Die Expertinnen und Experten aus Theologie und Philosophie hatten vor allem Analysen der Lage parat, die teilweise dramatisch ausfielen. Zwar wandte sich der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers beim Auftakt dagegen, die hohe Zahl der Kirchenaustritte mit "wachsender Distanz zu Gott" gleichzusetzen. Stattdessen sollten die Kirchen "mit Neugier und Zuversicht" neue Orte religiöser Erfahrungen suchen. Zugleich räumte er jedoch ein, Missbrauchserfahrungen in der Kirche hätten bei Betroffenen "den Glauben an einen liebenden Gott nachhaltig zerstört".
Auch die Erfurter Dogmatikprofessorin Julia Knop konstatierte, wegen des Missbrauchsskandals sei das Grundvertrauen in die Kirche auch bei hoch engagierten Katholiken "im Kern erschüttert". Die lange fehlende Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und geistlicher Manipulation in der Kirche habe die Debatte über Machtstrukturen, Weiheämter für Frauen und die Sexualmoral entscheidend verschärft und stelle die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft selbst infrage.
Folgen der kirchenfeindlichen Politik des DDR-Regimes
Vor allem in Ostdeutschland hat die kirchenfeindliche Politik des DDR-Regimes indes bereits seit Jahrzehnten zu einer Abkehr von der Religion geführt, wie die Leipziger Kulturwissenschaftlerin Uta Karstein darlegte. Dort gehöre sie bei drei Vierteln der Bevölkerung bereits zum "Familienerbe". Bei einer Minderheit der unter 30-Jährigen sei nun jedoch eine wachsende Zustimmung zu "religionsnahen Aussagen" etwa über ein Leben nach dem Tod feststellbar, betonte die Soziologin und Psychologin. Diese Jüngeren schätzten Religion "als Kulturgut, ästhetische Erfahrung, gesellschaftliche Utopie oder transzendente Spekulation".
Auch mit Künstlicher Intelligenz (KI) machen viele Menschen nach Erkenntnissen der Religionspädagogin Birte Platow religionsartige Erfahrungen. Sie nähmen die allwissend scheinenden Anwendungen dieser Technologie in Alltag und Wissenschaft wie eine göttliche Macht war, berichtete die Professorin der Technischen Universität Dresden. Die Kirchen könnten "Anknüpfungspunkte" in dieser Entwicklung suchen und aufgreifen. Der Erfurter Philosoph Holger Zaborowski riet ebenfalls, neue spirituelle Ansatzpunkte bei Nichtglaubenden nicht nur religionswissenschaftlich oder religionssoziologisch, sondern auch theologisch ernst zu nehmen, als Möglichkeit, wie sich Gott offenbaren könnte.
Theologe Halik empiehlt Dialog mit Religionskritikern
Der Prager Theologe und Bestsellerautor Tomas Halik empfahl den Christen den Dialog selbst mit Religionskritikern. Dabei gingen zwar "viele religiöse Sicherheiten und Illusionen verloren, nicht aber Gott selbst", sagte der Professor für Soziologie an der Karlsuniversität Prag. Der Glaube könne auf diese Weise wieder mehr zu einem "freien Akt" werden.
Glaubenszweifel sollten Christen nicht entmutigen, betonte der Professor für Systematische Theologie an der Universität Sibiu/Hermannstadt, Stefan Tobler. Er verwies auf den Umgang von zeitgenössischen Gründerinnen geistlicher Bewegungen damit. Auch Madeleine Delbrel (1904-1964), Mutter Teresa von Kalkutta (1910-1997) und Chiara Lubich (1920-2008) hätten teilweise lang andauernde Erfahrungen einer "Abwesenheit Gottes" gemacht.