Die Entscheidung schien wie eine Ironie der Geschichte: Der erste nichteuropäische Papst seit 1.300 Jahren erhielt 2016 den Aachener Karlspreis, die renommierteste Auszeichnung für Verdienste um die Einheit Europas. Ausgerechnet der Argentinier auf dem Stuhl Petri, der vielfach dafür kritisiert wurde, dass er Europa als "unfruchtbare Großmutter" bezeichnet hatte.
Papst ohne besonderen Europa-Bezug
Auch seine Reisetätigkeit lässt bis heute keinen besonderen Europa-Bezug erkennen. In seiner bislang vierjährigen Amtszeit brachte er gerade mal wenige Tage auf dem Boden der EU außerhalb Italiens zu: bei seinem Besuch des EU-Parlaments und des Europarates in Straßburg 2014, im April 2016 auf der griechischen Insel Lesbos, Ende Juli beim Weltjugendtag in Krakau und zuletzt in Oktober beim Reformationsgedenken in Schweden.
In seinen beiden Ansprachen in Straßburg nahm der Papst kein Blatt vor den Mund. Europa wirke alt, müde und kraftlos, sei wie eine "unfruchtbare Großmutter". Der Kontinent müsse darüber nachdenken, ob "sein gewaltiges Erbe" ein "bloßes museales Vermächtnis der Vergangenheit" sei oder ob es noch imstande sei, "die Kultur zu inspirieren und seine Schätze der gesamten Menschheit zu erschließen", so Franziskus.
Doch bei aller Kritik machten die Reden auch deutlich, dass der Wagner-Fan und Hölderlin-Leser Europa keineswegs aufgegeben hat. Jenes Europa, "das auf sicherem, festem Boden" voranschreite, sei "ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit". Es sei die Stunde gekommen, gemeinsam ein Europa aufzubauen, das sich nicht nur um die Wirtschaft drehe, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person.
Unbequeme Botschaft
Franziskus selbst betonte später mit Blick auf das Medienecho seiner Äußerungen in Straßburg, dass sein Blick auf den Alten Kontinent keineswegs pessimistisch sei. In Straßburg habe er ja neben manch kritischem Wort auch deutlich gemacht, dass ein Europa mit seinen religiösen Wurzeln, seinem Reichtum und seinem Potenzial auch leichter immun sein könne gegen die vielen Extreme, die in der heutigen Welt weit verbreitet sind.
Franziskus' Botschaft für Europa ist in jedem Fall unbequem. Der Sohn italienischer Einwanderer wird nicht müde, einen humanen Umgang mit Flüchtlingen einzufordern. Europa sei "die Heimat der Menschenrechte, und wer auch immer seinen Fuß auf europäischen Boden setzt, müsste das spüren können", sagte er 2016 auf Lesbos. Dass er nur wenige Wochen nach Inkrafttreten des Abkommens zwischen der EU und der Türkei dorthin reiste, werteten viele Beobachter als Kritik an der Flüchtlingspolitik Brüssels.
Mit der Entgegennahme des Karlspreises 2016 brach Franziskus mit seinen Grundsätzen. Er habe ihn "auf Anraten seines Freundes Kardinal Walter Kasper" ausnahmsweise angenommen, erläuterte er damals. Bis Sommer 2015 hatte er jegliche persönliche Ehrungen konsequent abgelehnt. Er möge das nicht, sagte er. Doch dann überreichte ihm Staatspräsident Evo Morales in Bolivien gleich zwei Orden - die er nicht ablehnte.
Feierlichkeiten zu 60. Jahren Römische Verträge
2004 hatte auch Johannes Paul II. (1978-2005) im Vatikan den Karlspreis empfangen, damals allerdings als außerordentliche Auszeichnung. Franziskus wollte seinen Karlspreis 2016 als ein Geschenk für Europa verstanden wissen. In seiner Dankesrede fragte er besorgt: "Was ist mit dir los, humanistisches Europa, Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit?" Franziskus wunderte sich über ein Europa, das sich "verschanzt" und die Werte seiner Gründerväter verrate; das Mauern baut und Brücken einreißt.
In Rom finden dann an diesem Samstag die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge statt.