"Muss ich jetzt die ganze Zeit so rumlaufen?" David beschleichen Zweifel, ob die Sache mit dem Beduinenkostüm eine so gute Idee war. Der Drittklässler, angetan mit einem weißen, weiten Gewand und der traditionellen Kopfbedeckung, der Kufiya, steht im ersten Stock des Bibelhauses in Frankfurt am Main. Hinter ihm: ein klassisches Nomadenzelt aus beigem Tuch. Vor ihm: eine Gruppe feixender Altersgenossen aus den beiden Kommuniongruppen der Gemeinde Sankt Martin in Dietzenbach: "Du siehst aus wie ein Pfarrer."
Elise, die in der Zwischenzeit in die weibliche Tracht mit rotem Kopftuch und schwarzem, mit Geschmeide verzierten Gesichtsschleier geschlüpft ist, hat da eindeutig mehr Glück. "Oh, das ist schöner", lautet das einhellige Urteil. In den nun folgenden Minuten sollen David und Elise als "Gastgeber" im Zelt fungieren. Esther Ilka schildert derweil den jungen Besuchern des Museums den Alltag der Nomaden, deren Weltbild und Weltsicht sich vor allem in den Erzählungen aus dem Alten Testament wiederfindet.
Die Kleidung, so erzählt sie, soll vor den Sonnenstrahlen und dem feinkörnigen Wüstensand schützen. Da schlägt auch schon die Stunde von David und Elise. Sie dürfen den anderen zur Begrüßung einen Flakon mit Nardenöl anreichen. "Iiih", gellt es durch den Raum. Das aus einer Himalayapflanze gewonnene Öl riecht tatsächlich ein wenig streng, war aber schon zu biblischen Zeiten Sinnbild der Gastfreundschaft - und extrem teuer. Esther Ilka lässt sich nicht weiter beirren, erzählt vom Leben in einer eigentlich lebensfeindlichen Umgebung. Mit einem schweren Mahlstein dürfen die Kinder Getreidekörner in Mehl verwandeln. Dann holt die 27-jährige Archäologiestudentin einen Beutel aus Ziegenhaut hervor. Zwei Liter Wasser passen da hinein - stundenlang seien die Menschen oft unterwegs, um an das Nass zu kommen. Beeindruckte Stille im Raum.
"Expedition in die Welt der Bibel"
"Entdecken, staunen, erleben" - mit diesem Dreiklang lädt das 2003 eröffnete Bibelhaus seine Besucher zu einer "Expedition in die Welt der Bibel" ein. Die von der Frankfurter Bibelgesellschaft getragene Einrichtung liegt ein wenig versteckt hinter dem Museumsufer mit seinen großen Häusern wie dem Städel oder der Skulpturensammlung im Liebighaus.
Gegenüber so viel Renommee will das "Erlebnis Museum" punkten mit einer laut eigenen Angaben deutschlandweit einzigartigen Kooperation mit der Israelischen Antikenverwaltung in Jerusalem sowie mit rund 300 archäologischen Original-Exponaten.
Während auf der anderen Seite des Mainufers die Türme der Großbanken in den Himmel ragen, tauchen David und Elise - nun wieder ohne Beduinen-Outfit unterwegs - zusammen mit den anderen in die Welt der antiken Geldwirtschaft ein. Sie erfahren, dass man zu Jesu Zeiten etwa einen Denar brauchte, um die Familie zu ernähren. Die Aussicht, mit 13 oder 14 Jahren einen eigenen Beruf ergreifen zu müssen, stößt auf große Begeisterung. Die Ansage, dann auch steuerpflichtig zu sein, wird mit einem ablehnenden "Oh nein!" quittiert.
"Immer ein dankbares Publikum"
Pro Jahr besuchen rund 25.000 Menschen und 1.200 Gruppen das Museum mit seinen 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche. "Besonders erfreulich ist die hohe Anzahl der Schulklassen", heißt es auf der Website. "Kinder sind immer ein sehr dankbares Publikum", weiß Esther Ilka aus inzwischen mehrjähriger Erfahrung als Museumsführerin. Die Gruppe aus Dietzenbach ist inzwischen am Nachbau eines Brunnens angelangt, aus dem sie versuchen, ein schweres Gewicht als Äquivalent für 20 Liter Wasser nach oben zu ziehen.
Noch einmal wird deutlich, welche Rolle das lebenswichtige Element in trockenen Gegenden wie Israel spielt. Und wie schweißtreibend es mitunter ist, daran zu kommen. Der eigentliche Höhepunkt steht freilich noch bevor. Mitten im Raum befindet sich der neun Meter lange Nachbau eines Fischerbootes, wie es zu Jesu Lebzeiten auf dem See Genezareth verkehrte.
Gemeinsam mit Esther Ilka entern die Kommunionkinder den Kahn. An Bord stellen sie die in den Evangelien überlieferte Geschichte der Überfahrt nach, die Jesus mit seinen Jüngern unternimmt und in deren Verlauf ein schwerer Sturm aufzieht.
Wind, Wellen und Wehklagen
Ocean Drums, große Percussion-Instrumente, lassen Wind und Wellen lebendig werden. An Bord erhebt sich schauerliches Wehklagen - so wie damals, als die Jünger ihren nahenden Tod vor Augen hatten. "Meister, kümmert es dicht nicht, dass wir zugrunde gehen?", fragen sie Jesus, der sich weiter hinten im Boot zum Schlafen gelegt hat. Im Bibelhaus tritt nun ein sehr junger Jesus an die Reling und befiehlt dem Sturm mit fester Stimme: "Schweig, sei still!"
"Eine einmalige Gelegenheit, ein deutsches Museum zusammenzuschreien», nennt Esther Ilka diese finale Lektion. "Das gibt's nur hier." Die achtjährige Emily jedenfalls ist begeistert. Das Boot sei schon sehr toll gewesen, das Zelt natürlich ebenfalls.
Nachdenklich stimmt sie dagegen Jesu Ende am Kreuz: "Dass die Römer sowas gemacht haben." Irgendwo weiter hinten in einer Vitrine findet sich ein Fersenknochen, durch den ein Nagel getrieben wurde. Ein Abguss des einzigen Fundes, der die Kreuzigungsstrafe im Palästina des ersten nachchristlichen Jahrhunderts archäologisch belegt. Da dürfte auch manchem erwachsenen Besucher ein Schauer über den Rücken laufen.
Von Joachim Heinz