Der Segen für irreguläre Paare und die Linie von Franziskus

"Wer bin ich, ihn zu verurteilen?"

Als Revolution der katholischen Lehre haben manche die Erklärung der Glaubensbehörde zur Segnung von Paaren in "irregulären" Verbindungen gewertet. Doch die Revolution hat eine Vorgeschichte - und weitere Öffnungen scheinen möglich.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Papst Franziskus während der wöchentlichen Generalaudienz / © Andrew Medichini (dpa)
Papst Franziskus während der wöchentlichen Generalaudienz / © Andrew Medichini ( dpa )

"Wenn jemand schwul ist und den Herrn sucht, wer bin ich, um ihn zu verurteilen?" Das war der Satz, mit dem Papst Franziskus schon im Juli 2013 weltweit für Schlagzeilen sorgte. Gut zehn Jahre später wieder eine Sensation: In der Grundsatzerklärung "Fiducia supplicans" der vatikanischen Glaubensbehörde vom 18. Dezember 2023 wird erstmals der kirchliche Segen für gleichgeschlechtliche Paare und "Paare in irregulären Situationen" ausdrücklich erlaubt.

Ein genauerer Blick auf den neuen Text zeigt, dass sich zwischen dem spontanen "Wer bin ich...?" von 2013 und dem ausgefeilten, elf Seiten langen Dokument von 2023 manches entwickelt und verändert hat. Doch gibt es auch Konstanten.

"Erweiterte und angereicherte" Theorie

Ausdrücklich rückt der argentinische Kardinal Victor Fernandez in der Erklärung vom 18. Dezember von einer anderslautenden Entscheidung der vormaligen Römischen Glaubenskongregation vom Februar 2021 unter seinem Vorgänger, Kardinal Luis Ladaria, ab.

Dieser hatte die Möglichkeit einer Segnung homosexueller Paare glatt verneint. Um seine Abweichung von Ladaria zu begründen, entwickelte Fernandez eine "erweiterte und angereicherte" Theorie dessen, was ein Segen in der katholischen Kirche ist.

Barmherzige Umarmung Gottes

Die Grundannahme lautet: "In seinem Mysterium der Liebe teilt Gott seiner Kirche durch Christus die Segensvollmacht mit. (...). Er (der Segen) ist eine positive Botschaft des Trostes, der Fürsorge und der Ermutigung. 

Der Segen drückt die barmherzige Umarmung Gottes und das Muttersein der Kirche aus (...)." Es ist nur folgerichtig, dass die Kirche den Zuspruch der Liebe Gottes keinem Menschen guten Willens verwehren darf - auch den Sündern nicht.

Segens-Theologie auf Franziskus-Linie

Damit reiht sich die neue Segenstheologie ein in die menschenfreundliche, barmherzige und niemanden ausschließende Ekklesiologie, die Franziskus in seinem Pontifikat Schritt für Schritt ausgebaut hat. Die Öffnungen für die wiederverheiratet Geschiedenen im Papstschreiben "Amoris laetitia" von 2016 war einer dieser Schritte.

Und es verwundert nicht, dass dieser Papst, obwohl er im Februar 2021 noch dem "Nein" Ladarias zur Segnung irregulärer Paare formal zugestimmt hatte, sich wenig später vorsichtig davon distanzierte und wissen ließ, dass dies nicht so ganz seiner Denkweise entspreche. Nun also der klare Schnitt und eine Segens-Theologie auf Franziskus-Linie.

Viele Formen der Volksfrömmigkeit

Auch sonst ist der neue Text von Fernandez sehr "Franziskus-gemäß". Um klarzumachen, wo der Unterschied zwischen der Segnung eines schwulen (oder sonst wie "irregulären") Paares und dem Ehesakrament liegt, erinnert der Chefdogmatiker an die vielen Formen der Volksfrömmigkeit, die es unterhalb oder parallel zur offiziellen, durchritualisierten kirchlichen Liturgie gibt.

Die niedrigschwellige, auch Sünder aller Art mitnehmende Volksfrömmigkeit zählt in der "Teologia popular" Südamerikas, aus der Franziskus kommt, zu den Ressourcen eines bunten kirchlichen Lebens. Diese Frömmigkeit unterscheidet sich deutlich von den geordneten Bahnen einer bürgerlichen Religionsausübung im Europa nördlich der Alpen.

Segen werden zu  pastoraler Ressource

In ihr zeigt sich in spontaner Weise die Liebe Gottes zu den Menschen und macht ihnen Mut, und ähnlich soll es bei den Segnungen der "irregulären" Paare sein. Oder mit den Worten des Fernandez-Dokuments: "Der richtige Weg ist jener, die großen Schätze der Volksfrömmigkeit richtig und weise zu erschließen und die in ihnen ruhenden Kräfte zu entfachen. Die Segen werden so zu einer pastoralen Ressource, die es zu nutzen gilt, und nicht zu einem Risiko oder Problem."

Da diese anderen Schätze kirchlicher Erfahrung nicht in allen Teilen der Welt so verbreitet sind wie in Lateinamerika, bemüht sich der argentinische Kardinal in dem Text immer wieder, mal prinzipiell und mal mit anschaulichen Beispielen klarzumachen, was die Segnungen der betroffenen Paare sein sollen - und was nicht. Auf keinen Fall sollen sie im Umfeld standesamtlicher Trauungen stattfinden, und auch Hochzeitskleidung oder Rituale wie ein Ringtausch sollen vermieden werden.

Warnung vor liturgischer Aufladung

Gegen Ende des Textes heißt es zusammenfassend, der Papst lege Wert darauf, dass diese "nicht ritualisierten Segnungen" nach wie vor nichts anderes als eine "einfache Geste" sind, und "ein wirksames Mittel, um das Gottvertrauen der Bittenden zu stärken, und dass sie dennoch nicht zu einem liturgischen oder halbliturgischen Akt werden, der einem Sakrament ähnelt".

An mehreren Stellen betont das Papier diese Warnung vor einer liturgischen (und legitimierenden) Aufladung der Segnungsgeste. Dass Fernandez an diesem Punkt so insistiert, hat auch mit der besonderen Struktur des kirchlichen Trauungsritus zu tun, die seit jeher zu Missverständnissen einlädt.

Missverständnis des Vermählungsritus

Denn nach katholischer Lehre spenden sich die Eheleute das Sakrament gegenseitig, durch den Vermählungsritus, und vollziehen es später durch die geschlechtliche Vereinigung. Der Segen des Geistlichen ist gewissermaßen nur die feierliche liturgische Besiegelung des von den beiden eingegangenen und anschließend noch zu vollziehenden heiligen Bundes.

Ähnlich könnte der Segen eines Geistlichen bei einer intimen Verbindung zweier gleichgeschlechtlicher Menschen als kirchliche Besiegelung (und damit auch Gutheißung) missverstanden werden. Dagegen versucht sich der Fiducia-Text von Fernandez - mit mäßigen Erfolgsaussichten - in immer neuen Wendungen abzusichern.

Keine Verwechslung mit dem Ehesakrament 

So heißt es an einer Stelle: "Deshalb soll man die Segnung von Paaren, die sich in einer irregulären Situation befinden, weder fördern noch ein Ritual dafür vorsehen." Und an anderer Stelle: "In dem hier umrissenen Horizont liegt die Möglichkeit der Segnung von Paaren in irregulären Situationen und von gleichgeschlechtlichen Paaren, deren Form von den kirchlichen Autoritäten nicht rituell festgelegt werden darf, um keine Verwechslung mit dem Ehesakrament eigenen Segen hervorzurufen."

So bemerkenswert die Vertiefungen der kirchlichen Segenstheologie und die Abgrenzungsversuche von einem sakramentalen Geschehen sind, so auffällig ist das völlige Fehlen eines Versuchs, die anthropologischen und moraltheologischen Fragen auch nur anzuschneiden, die mit dem Thema der "Homo-Ehe" einhergehen.

Nächster Schritt: katholische Morallehre?

Der Text versucht es mit der Strategie der Nicht-Erwähnung. Die von der geltenden Morallehre der Kirche angenommene grundsätzliche Sündhaftigkeit homosexueller Akte - oder anderer sexueller Akte außerhalb der Ehe - wird in dem Dokument an keiner Stelle explizit benannt. Allenfalls insinuiert der Text dieses Thema indirekt, indem er mehrfach daran erinnert, dass auch der Mensch in Sünde auf Gottes liebende Zuwendung hoffen und deshalb um einen Segen bitten darf.

Insofern trifft die Analyse des Würzburger Bischofs Franz Jung nicht ganz zu, der die Vatikan-Erklärung mit den Worten umschrieb, in ihr komme es zum "Spagat zwischen den Erfordernissen seelsorglicher Praxis und der offiziellen Lehre der Kirche". Denn Fernandez gelingt das Kunststück, die Lehre der Kirche bezüglich der Ehe von Mann und Frau mehrere Mal zu unterstreichen, seine neue Segens-Theologie wortreich zu entwickeln - und zugleich die Lehre von der Sündhaftigkeit praktizierter Homosexualität kein einziges Mal explizit zu erwähnen.

Schweigend wird damit die Tür zum nächsten Schritt auf dem Franziskus-Weg eröffnet. Er könnte darin bestehen, auch die katholische Morallehre über die menschliche Sexualität zu einem späteren Zeitpunkt der Kirchengeschichte zu vertiefen und zu bereichern.

Katholische Kirche erlaubt Segnung für homosexuelle Paare

Homosexuelle Paare können ab sofort auch in der katholischen Kirche gesegnet werden. Die vatikanische Glaubensbehörde veröffentlichte am Montag eine Grundsatzerklärung, wonach katholische Geistliche unverheiratete und homosexuelle Paare segnen dürfen. In dem Text mit dem Titel "Fiducia supplicans" (deutsch: Das flehende Vertrauen) wird betont, dass dabei eine Verwechslung mit einer Eheschließung ausgeschlossen werden muss. Auch darf ein Geistlicher den Segen nicht im Rahmen eines Gottesdienstes erteilen.

Ein Regenbogen leuchtet über dem Petersdom vor dem Beginn der wöchentlichen Generalaudienz von Papst Franziskus im Vatikan / © Gregorio Borgia (dpa)
Ein Regenbogen leuchtet über dem Petersdom vor dem Beginn der wöchentlichen Generalaudienz von Papst Franziskus im Vatikan / © Gregorio Borgia ( dpa )
Quelle:
KNA