Patriarch Rai erneuert Kritik an Libanons Führung

"Staat schuldet Libanesen die Wahrheit"

Kardinal Bechara Rai hat bei der Gedenkmesse am ersten Jahrestag der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut massive Kritik an der politischen Führung im Libanon geübt. Den Libanesen sprach der Kardinal Mut und Hoffnung zu.

Angehörige der Opfer der Explosion im Beiruter Hafen / © Bilal Hussein (dpa)
Angehörige der Opfer der Explosion im Beiruter Hafen / © Bilal Hussein ( dpa )

"Der Staat schuldet nicht nur den Familien der Opfer, sondern allen Libanesen die Wahrheit", betonte das Oberhaupt der Maronitischen Kirche am Mittwochabend mit Blick auf die schleppende Aufarbeitung der Katastrophe vom 4. August 2020 mit rund 200 Toten und mehr als 6.500 Verletzten.

Politische Forderungen von Kardinal Rai

Angesichts des vor einem Jahr vergossenen Bluts von "Märtyrern" könne es keine politische Immunität geben, sagte der Patriarch in Richtung jener staatlichen Autoritäten, die nicht nur ihre Unschuld beteuerten, sondern unter Hinweis auf ihre Immunität auch Ermittlungen gegen ihre Person bekämpften. 

Einmal mehr forderte Rai außerdem eine umgehende Regierungsbildung angesichts der immer dramatischeren wirtschaftlichen Krise im Land. "Die internationale Gemeinschaft ist für die Nöte der Libanesen sensibler als die libanesischen Führer selbst", so der Patriarch.

Gedenkmesse für die Opfer der Explosion im Hafen von Beirut / © Hussein Malla/AP (dpa)
Gedenkmesse für die Opfer der Explosion im Hafen von Beirut / © Hussein Malla/AP ( dpa )

Das Gedenken in unmittelbarer Nähe des Kraters, den die Explosion von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat vor einem Jahr hinterlassen hat, begann mit einem muslimischen Gebet und einer Schweigeminute für die Opfer. Im Anschluss wurden die Namen der Todesopfer der Katastrophe verlesen. 

An dem Gottesdienst nahmen zahlreiche Angehörige der Opfer sowie auch der päpstliche Gesandte im Libanon, Nuntius Joseph Spiteri, teil. Politiker waren nicht anwesend.

Mut und Hoffnung

Die politische Klasse im Land diene nur ihren eigenen Interessen, während die Bevölkerung unter der Last der Krise leide, kritisierte Rai in seiner Predigt. Zugleich sprach der Kardinal den Libanesen Mut und Hoffnung zu; unter anderem mit dem Hinweis auf die jüngste internationale Geberkonferenz, bei der am Mittwoch weitere millionenschwere Hilfen für den Libanon angekündigt wurden.

So sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der von ihm angestoßenen Konferenz 100 Millionen Euro und die Lieferung von 500.000 Corona-Impfdosen zu. Deutschland versprach 40 Millionen Euro, die EU-Kommission zusätzliche 5,5 Millionen zu bereits geplanten 50 Millionen Euro im laufenden Jahr. 

Die Geber verbanden damit deutliche Forderungen an die politische Führung des Libanon, die Hintergründe des Unglücks aufzuklären und Reformen auf den Weg zu bringen.

Der Libanon

Der Libanon ist geprägt durch das Nebeneinander zahlreicher Religionen. Mit etwa 30 Prozent hat die parlamentarische Demokratie den größten Anteil Christen in der Arabischen Welt. Die Muslime - Sunniten und Schiiten - machen inzwischen wohl mehr als 60 Prozent aus. Offiziell anerkannt sind 18 Religionsgemeinschaften, darunter die Minderheiten der Drusen und Alaviten.

Symbolbild: Flagge des Libanon / © Yulia Grigoryeva (shutterstock)
Symbolbild: Flagge des Libanon / © Yulia Grigoryeva ( shutterstock )
Quelle:
KNA