In der Türkei läuft die Hatz auf Nichtregierungsorganisationen

Zivilgesellschaft im Visier Erdogans

Zivilgesellschaftliche Organisationenen in der Türkei geraten inzwischen schnell ins Fadenkreuz des Staates. Hunderte wurden schon verboten. Darunter leiden unter anderem Flüchtlinge. Und die freie Rede.

Autor/in:
Philipp Mattheis
Wohin steuert die Türkei? / © Lukas Schulze (dpa)
Wohin steuert die Türkei? / © Lukas Schulze ( dpa )

Hakan Ataman hat Galgenhumor. "Wenn es schlecht läuft, sehen wir uns eben alle in Berlin." Der kahlköpfige Mann leitet die türkische Nichtregierungsorganisation "Citizens Assembly Turkey" (Yurtasslik Dernergi, kurz HYD). Sie kümmert sich in erster Linie um die Menschenrechtslage von Flüchtlingen in der Türkei. Seine Arbeit ist nicht einfach: Ein Gründungsmitglied saß bis vor kurzem in Haft. Ihr wurde "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" vorgeworfen, weil sie vor Jahren auf einer Universität der mittlerweile verbotenen Gülen-Bewegung studiert hatte.

Insgesamt wurden seit dem fehlgeschlagenen Putsch im vergangenen Juli über 1.000 Nichtregierungsorganisationen geschlossen und zum Teil auch deren Vermögen konfisziert. Darunter sind Gülen-Organisationen wie zum Beispiel "Kimse Yok", die sich um die Unterstützung syrischer Flüchtlinge kümmerte, aber laut Angaben des Journalisten-Netzwerks P24 auch zahlreiche Frauenrechts-Organisationen.

Für wenig Geld in der Textilindustrie

Die Lage der über drei Millionen Flüchtlinge im Land hat sich dadurch weiter verschlechtert. Sie teilen sich grob in zwei Kategorien: Die rund drei Millionen Syrer genießen "temporären Schutz", wobei der Begriff "Flüchtling" vermieden wird. Dazu kommen rund 300.000 Afghanen, Iraker, Iraner und Schwarzafrikaner, die unter "internationalem Schutz" stehen.

Laut Gesetz stehen ihnen Krankenversicherung und eine Arbeit zum Mindestlohn zu, der in der Türkei bei umgerechnet rund 350 Euro monatlich liegt. Das Problem: Die Flüchtlinge werden auf Städte im Land verteilt, die sie dann nicht verlassen dürfen. Dort aber gibt es oft keine Arbeit. "Viele von ihnen ziehen deshalb in die Metropolen Istanbul und Izmir, und arbeiten dort illegal - und oft weit unterhalb des Mindestlohns", sagt Ataman. Schätzungen zufolge sind rund 60.000 von ihnen illegal zu Billiglöhnen in der Textilindustrie beschäftigt.

Geschlossene Grenze

Ähnlich sieht die Lage bei den syrischen Flüchtlingen aus. Etwa 250.000 leben noch in Lagern, oft nahe der syrischen Grenze. Das aber sind die Ärmsten der Armen. Wer Job und Wohnung findet, zieht in die Städte - meistens Istanbul, Sanliurfa und Gaziantep. Eine fremdenfeindliche Bewegung oder gar eine Partei gibt es in der Türkei zwar nicht. Allerdings kommt es immer wieder zu kleineren, lokalen Konflikten mit der lokalen Bevölkerung wegen sinkender Löhne und steigender Mietpreise.

Zwar hat Präsident Erdogan mehrmals angekündigt, den syrischen Flüchtlingen die türkische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Dagegen aber sperrt sich die Opposition. Sie befürchtet, dass die regierende AKP sich so noch mehr Wählerstimmen sichert. Weitere Flüchtlingsströme sind derzeit aber nicht zu erwarten. Das liegt weniger am Flüchtlingsabkommen mit der EU, als daran, dass die Türkei die Grenze zu Syrien geschlossen hat.

Organisationen werden Ignoriert

Für Nichtregierungsorganisationen wie die von Ataman wird die Arbeit trotzdem nicht leichter. Im Vorfeld des Referendums ist die Lage angespannt. "Schon seit längerem bekommen wir auch so gut wie keine Termine mehr bei Regierungspolitikern", sagt Ataman. "Unsere Stimme wird nicht mehr gehört."

Ähnlich problematisch ist die Lage für P24, die sich um inhaftierte Journalisten kümmert. Knapp 150 von ihnen sitzen derzeit in Haft - mehr als in jedem anderen Land.Vielen wird "Terrorpropaganda" vorgeworfen, wie auch dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der seit zwei Monaten in Haft sitzt.

Keine kritischen Medien mehr

"Seit dem Putschversuch findet ein Kampf gegen die türkische Zivilgesellschaft statt", sagt Evin Baris Altintas, Leiterin von p24. "Es sind kaum mehr kritische Medien übrig in der Türkei." 90 Prozent der Fernseh-Kanäle seien in Händen regierungsfreundlicher Medien.

Wenig Hoffnung haben die Vertreter der Zivilgesellschaft für die Zeit nach dem Referendum. Sollte die türkische Bevölkerung gegen die neue Präsidialverfassung stimmen, droht eine Verlängerung des seit Juli geltenden Ausnahmezustands und baldige Neuwahlen. Bei einem Ja wird der türkische Präsident noch mächtiger werden. "Es gibt kein Best-Case-Szenario", sagt Ataman.

 


Quelle:
KNA