KNA: Eminenz, wie sah das Zusammenleben zwischen den Religionen in Burkina Faso bisher aus?
Ouedraogo: Es herrschte traditionell eine Symbiose zwischen den Religionen. Selbst innerhalb einer Familie kann es Katholiken, Protestanten, Anhänger traditioneller Religionen und Muslime geben. Auch ich habe Brüder, die sich zum Islam bekennen. Drei Kinder meiner Mutter sind Muslime, drei Christen. In den meisten Familien findet sich diese Diversität, die für einen Dialog und sozialen Frieden spricht.
KNA: Findet sich diese Vielfalt und Dialogbereitschaft auch auf nationaler Ebene?
Ouedraogo: Das wird schwieriger. Die Kirche steht für den interreligiösen und interkulturellen Dialog. Wir müssen andere respektieren, egal, ob es Muslime, Juden oder Protestanten sind. Wir religiösen Meinungsführer haben uns zu einer informellen Gruppe zusammengeschlossen. Wenn es Probleme gibt, werden wir zusammen mit traditionellen Herrschern gerufen. Aufseiten der Muslime gibt es aber fundamentalistische und extremistische Tendenzen. Sie stehen nicht immer für den Dialog. Natürlich sind das nicht alle Muslime. Anzeichen sind aber da.
KNA: Seit 2016 kommt es immer häufiger zu Terroranschlägen, die von der "Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime" (JNIM) aus Mali sowie dem "Islamischen Staat in der größeren Sahara" (ISGS) verübt werden. Wie beeinflusst diese Entwicklung das Zusammenleben?
Ouedraogo: Es gibt einen beunruhigenden Wandel. Mittlerweile haben wir mehr als eine Million Binnenvertriebene. Sie sind aus ihren Häusern, ihren Heimatorten vertrieben worden und haben alles verloren. Das kannten wir bisher nicht und das ändert alles. Zu Recht stellt man sich die Frage: Warum passiert das alles? Warum diese Gewalt?
KNA: Haben Sie eine Antwort darauf?
Ouedraogo: Wir sehen keine Lösung und wissen nicht einmal, wer der Feind ist. Eins ist aber klar: Diejenigen, die morden, tun das, weil sie die Mittel dazu haben. Sie haben Mopeds, mit denen sie mobil sind. Wer finanziert diese? Sie morden, weil sie Kalaschnikows haben. Wer gibt sie ihnen? Weder hier noch in anderen westafrikanischen Ländern stehen Fabriken dafür. Wahrscheinlich kommen die Gewehre von Händlern aus Europa oder vielleicht den USA. Es muss untersucht werden, wer in diesen Waffenhandel verstrickt ist und ihn finanziert. Europa und die USA müssen diesem Handel mit Waffen, sofern er sie betrifft, einen Riegel vorschieben, damit nicht noch mehr Menschen getötet werden. Dieser Waffenhandel ist eine Katastrophe.
KNA: Sie haben es bereits erwähnt: Mehr als eine Million Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht. Wie kann die Kirche sie unterstützen?
Ouedraogo: Wir zeigen uns in allen Diözesen solidarisch. Auch hat Papst Franziskus den Welttag der Armen eingeführt, am 33. Sonntag im Jahreskreis der Kirche. Jede Gemeinde hat eine Kollekte für die Armen, vor allem aber die Geflüchteten organisiert, die vor großen Problemen stehen. Sie haben keine Unterkunft, für die Kinder ist der Schulbesuch schwierig, weshalb wir in vielen Fällen dabei helfen. Auch der Zugang zum Gesundheitssystem ist problematisch. Beispielsweise gab es Geflüchtete mit Nierenproblemen, die eine Dialysebehandlung brauchen. Generell gibt es viel Solidarität, gerade auch innerhalb der Familien. Auch die internationale Gemeinschaft hilft. Uns haben besonders Partnerorganisationen aus Deutschland, Österreich und Italien unterstützt.
KNA: Nach dem Sturz von Präsident Blaise Compaore, der bis 2014 insgesamt 27 Jahre an der Macht war, herrschte Aufbruchstimmung und Hoffnung in Burkina Faso. Ist davon gar nichts mehr übrig?
Ouedraogo: Es ist klar, dass die Lage alles andere als perfekt ist. Natürlich kann ich nicht für alle sprechen: Es gibt aber Unzufriedenheit wegen der schlechten Regierungsführung. Sie verhindert, dass man sich wirklich um die Bedürfnisse der Bevölkerung kümmert. Gelder, die für die Armen bestimmt waren, verschwinden in privaten Taschen. Das sorgt für Enttäuschung.