Deutliche Kritik an Veranstaltern der documenta

"Nicht gelungen, Vorwürfe auszuräumen"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die 15. "documenta" mit deutlicher Kritik eröffnet. Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, und der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz äußerten Kritik.

Autor/in:
Christoph Arens
Besucher der documenta fifteen stehen vor dem Fridericianum, dessen Säulen der rumänische Künstler Dan Perjovschi mit schwarzer Farbe bemalt und mit weißen Symbolen und Zeichen zu Themen wie Frieden, Solidarität oder Nachhaltigkeit beschriftet hat. / © Uwe Zucchi (dpa)
Besucher der documenta fifteen stehen vor dem Fridericianum, dessen Säulen der rumänische Künstler Dan Perjovschi mit schwarzer Farbe bemalt und mit weißen Symbolen und Zeichen zu Themen wie Frieden, Solidarität oder Nachhaltigkeit beschriftet hat. / © Uwe Zucchi ( dpa )
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 / © Maurizio Gambarini (dpa)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Steinmeier erklärte am Samstag in Kassel: "Es fällt auf, wenn auf dieser bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst wohl keine jüdischen Künstlerinnen oder Künstler aus Israel vertreten sind." Es verstöre ihn, "wenn weltweit neuerdings häufiger Vertreter des globalen Südens sich weigern, an Veranstaltungen, an Konferenzen oder Festivals teilzunehmen, an denen jüdische Israelis teilnehmen".

Die alle fünf Jahre stattfindende "documenta" wird in diesem Jahr erstmals von einem Kuratorenkollektiv aus dem globalen Süden verantwortet. Steinmeier betonte, eine demokratische Gesellschaft dürfe Künstler nicht bevormunden oder instrumentalisieren. Auch Kritik an israelischer Politik sei erlaubt. "Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten."

Anerkennung Israels Grundlage und Voraussetzung

"Als deutscher Bundespräsident halte ich für mein Land fest: Die Anerkennung Israels ist bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte", unterstrich das Staatsoberhaupt. Ein Boykott Israels komme einer Existenzverweigerung gleich. "Wenn unabhängige Köpfe aus Israel unter ein Kontaktverbot gestellt werden; wenn sie verbannt werden aus der Begegnung und dem Diskurs einer kulturellen Weltgemeinschaft, die sich ansonsten Offenheit und Vorurteilsfreiheit zugutehält; dann ist das mehr als bloße Ignoranz. Wenn es systematisch geschieht, ist es eine Strategie der Ausgrenzung und Stigmatisierung, die von Judenfeindschaft nicht zu trennen ist."

So berechtigt manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, sei: "Die Anerkennung der israelischen Staatlichkeit ist die Anerkennung der Würde und Sicherheit der modernen jüdischen Gemeinschaft; die Anerkennung ihrer Existenzgewissheit."

Zugleich unterstrich der Bundespräsident, dass sich Politik und Gesellschaft stärker damit befassen müssten, was die Menschen im globalen Süden bewege, darunter die lange Kolonialgeschichte, die Erfahrung von Unterdrückung und Entrechtung oder der Umgang mit geraubtem Kulturgut. Er hätte sich gewünscht, dass vor der Eröffnung der documenta über all das diskutiert worden wäre, sagte Steinmeier. "Und ich bedauere, dass es nicht möglich war, eine direkte Diskussion zwischen den Vertretern des globalen Südens, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Israel zu organisieren."

Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung: Felix Klein / © Rene Bertrand (dpa)
Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung: Felix Klein / © Rene Bertrand ( dpa )

Keine klare Linie gegen Antisemitismus

Klein sagte der "Bild am Sonntag", es sei den Verantwortlichen der documenta nicht gelungen, die Antisemitismus-Vorwürfe in glaubwürdiger Weise auszuräumen. "Es kann nicht sein, dass Antisemitismus Teil des von der öffentlichen Hand geförderten künstlerischen Diskurses in Deutschland ist."

Der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) erklärte, auch der Auftakt der 15. Documenta habe es verpasst, eine klare Linie gegen Antisemitismus und israelfeindliche Positionen zu beziehen. "Die diesjährige Ausstellung ist eine Beleidigung für die jüdische Welt; nicht nur, weil sie jüdische und israelische Künstler ausgrenzt und im Vorfeld eine ausgewogene Debatte zwischen Organisatoren und Betroffenen vermieden wurde, sondern vor allem, weil sie einem falschen Nahost-Narrativ aufsitzt, was von der hiesigen Kunst- und Kulturszene zu gerne aufgenommen wird, um Israel zu kritisieren", erklärten die Rabbiner Avichai Apel (Frankfurt), Zsolt Balla (Leipzig) und Yehuda Pushkin (Stuttgart). "Wenn es in Deutschland internationale Aushängeschilder gibt, hat die Documenta in diesem Jahr dieses Prädikat verwirkt", heißt es weiter.

Stichwort documenta

Die documenta ist eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen zeitgenössischer Kunst. Alle fünf Jahre kommen Kunstschaffende ins nordhessische Kassel, um die Stadt 100 Tage lang in ein Panorama für Gegenwartskunst zu verwandeln. Die Ausstellung ist seit ihrer Gründung 1955 zum wichtigen Ort für Debatten über Kunst und Kultur geworden.

Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi (dpa)
Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi ( dpa )
Quelle:
KNA