DOMRADIO.DE: Geht es bei den Protesten überhaupt noch um die Kopftuchdebatte oder geht der Protest schon darüber hinaus?
Fardad Hooghoughi (Vorsitzender des FDP-Stadtbezirksverband Köln Ost, Mitglied der Bezirksvertretung Kalk, Mitglied im Integrationsrat der Stadt Köln für die Liberale Liste): So wie es bei der Rechtfertigung der Kopftuchpflicht vonseiten des Staates nicht nur um ein Kopftuch geht, sondern um eine Systemfrage, so geht es jetzt auch bei den Demonstrationen nicht nur um ein Kopftuch, sondern um viel mehr.
Die Religiosität im Iran ist ja gar nicht mehr so gegeben wie zu Beginn der islamischen Revolution. Insofern fehlt dem iranischen Regime immer mehr die religiöse Grundlage. Der iranische Staat selbst rechtfertigt die Kopftuchpflicht viel strategischer und argumentiert über das Militärische.
Denn das iranische Militär ist an sich gar nicht so stark, sondern zieht seine Stärke zu einem großen Teil aus dem Ausland. Für diese Sympathisanten im Ausland wie der Hisbollah im Libanon, der Hamas in Palästina, den Huthi-Rebellen im Jemen ist die Religiosität und Solidarität, die im Iran gehalten wird, entscheidend.
Der Kern dieser Bündnispolitik kommt aus dem iranischen Selbstverständnis als islamischer Gottesstaat. Dafür bilden solche Akzente wie diese Kopftuchpflicht die Grundlage, indem sie auf entsprechende islamische Gesetzgebung bauen. Es ist ein Signal, das diesen Gottesstaat-Charakter zeigt und das mittlerweile auch so vom Iran nach außen kommuniziert wird. Das meine ich, wenn ich sage: Der Iran hat eine Kopftuchpflicht aus strategischen Gründen.
So ist es auch bei den Demonstranten. Die Demonstrationen richten sich nicht gegen ein Stück Tuch, sondern gegen die ganze Ideologie und vonseiten der Demonstrationen wird das ganze Regime infrage gestellt.
DOMRADIO.DE: Die Berichterstattung vor Ort ist sehr schwierig. Wie informieren Sie sich über die Lage im Iran?
Hooghoughi: Das ist tatsächlich schwierig. Ich versuche mit meinen Verwandten zu sprechen. Das gestaltet sich im Moment schwierig, weil das iranische Regime das Internet gedrosselt beziehungsweise in Teilen auch abgeschaltet hat. Selten, aber manchmal habe ich die Gelegenheit, mit meinen Verwandten direkt zu sprechen. Wenn das funktioniert, dann nur über Umwege. Aber es ist auch nicht immer möglich.
Wenn ich aus erster Hand Informationen haben möchte, muss ich manchmal tagelang warten, bis ich von meinen Verwandten etwas höre. Als Angehöriger macht man sich große Sorgen, aber man ist immer erleichtert, wenn man dann irgendwas hört. Ich bin froh, dass meine Familie vorsichtig ist. Es gibt schaurige Geschichten über Universitäten, die in Geiselhaft genommen werden. Da es aus erster Hand schwierig ist, die Lage zu verfolgen, nutze ich die Medien. Speziell Social Media spielt eine große Rolle.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen denn die Medien und Social Media speziell?
Hooghoughi: Es gelingt gerade jungen Menschen, Aufnahmen zu machen. Die Mehrheit der Demonstranten auf den Straßen sind junge Menschen. Die machen von den polizeilichen Übergriffen Videos und verbreiten die über Umwege. So verbreiten sich die Bilder und Videos auch außerhalb des Iran.
Der zweite Weg ist zu verfolgen, was die öffentlichen Medien über den Iran berichten. Allerdings muss man leider sagen, dass es wenig ist. Zumindest auf Social Media spielt dieser Protest eine noch größere Rolle.
DOMRADIO.DE: Die EU bereitet Sanktionen gegen den Iran vor. Was müsste da kommen?
Hooghoughi: Ich kann dazu nichts Genaues sagen. Aber wichtig wären personenbezogene Sanktionen. Die iranische Bevölkerung leidet unheimlich an den bisherigen Sanktionen. Ich wüsste gar nicht, wo es da noch Luft nach oben geben könnte. Das Problem ist nicht die iranische Bevölkerung. Die leidet schon genug. Jetzt müsste man gezielt die Verantwortungsträger des Regimes treffen.
DOMRADIO.DE: Wie sollte sich die Bundesrepublik Deutschland positionieren?
Hooghoughi: Wir sprechen hier in Deutschland immer von Demokratie und Menschenrechten. Bei den Protesten im Iran geht es um Menschenrechte. Wenn man nicht imstande ist, sich mit den Demonstranten hinreichend solidarisch zu erklären, dann wird es schwierig, die Bundesrepublik bei Themen wie Demokratie und Menschenrechte ernst zu nehmen. Im Moment passiert mir da zu wenig.
Das Interview führte Florian Helbig.