Deutsche Gemeinde blickt auf Stichwahl in Frankreich

"Die Menschen sind in Sorge"

Am Sonntag steht in Frankreich die Stichwahl zwischen dem bisherigen Präsidenten Emmanuel Macron und seiner Herausforderin Marine Le Pen an. Der Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Paris blickt mit Sorge auf die Stichwahl.

Emmanuel Macron und Marine Le Pen nehmen an einer TV-Debatte teil / © Ludovic Marin/Pool AFP/AP (dpa)
Emmanuel Macron und Marine Le Pen nehmen an einer TV-Debatte teil / © Ludovic Marin/Pool AFP/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie 2017 gibt es in Frankreich ein direktes Duell zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen am Sonntag in der Stichwahl. Wie ist die Stimmung im Land und unter Ihren Gemeindemitgliedern?

Markus Hirlinger (Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde Paris): Zunächst irgendwie angespannt und aufgeregt, die Menschen sind in Sorge. Die Sendungen im Fernsehen und im Radio und drehen sich um dieses Thema. 16 Millionen Menschen etwa haben das Duell gesehen, das drei Stunden lange Streitgespräch. Die Diskussion danach führte natürlich in die Frage: Wer hat wohl gewonnen? Wer hat mich überzeugt? Und die Menschen sind wirklich in Sorge, dass vielleicht doch die rechtsorientierte Partei von Marine Le Pen gewinnen könnte, weil sie auf emotionale Weise irgendwie Wähler mehr mobilisieren kann, die dann Macron verhindern wollen. Die Überschriften in diesen Sendungen können auch sein, ganz positiv: "Kann Macron die Wahl noch verlieren?" Aber die Sorge bleibt, dass viele, eben weil sie so überzeugt sind, dann doch nicht zur Wahl gehen – und dann käme es vielleicht doch zu einer Katastrophe.

Markus Hirlinger / © Hirlinger (privat)
Markus Hirlinger / © Hirlinger ( privat )

Im Blick auf die deutsche Gemeinde sehe ich, dass viele von uns wenig Verständnis haben, dass so viele Franzosen überhaupt auf den Gedanken kämen, Marine Le Pen zu wählen. Auch in meinem Viertel, wo ich wohne, das ist eher ein gehobenes, da höre ich Stimmen, dass man sich nicht offen getraue zu sagen, dass man Le Pen wählen würde, aber dass man es doch tun würde, weil sie mehr für das Thema Sicherheit stünde im Blick auf den Migrationshintergrund und so.

Was uns ja auch erstaunt in der deutschsprachigen Gemeinde ist, dass viele Franzosen das bisherige Handeln von Emmanuel Macron eher negativ bewerten im Blick auf die Krisen: Gelbwesten, Corona und auch jetzt Krieg. Wir sehen, dass sie nicht differenzieren, wenn man das so sagen kann, unterscheiden zwischen einzelnen Fehlern, die ihm oder seiner Regierung natürlich passieren und dem grundsätzlich guten Führungsstil, den er hat und wie er das Land doch durch diese Krisen geführt hat. Also die Stimmung ist angespannt, aufgeregt und voller Sorge.

DOMRADIO.DE: Die Evangelische Kirche bei Ihnen in Frankreich warnt eindringlich vor der Wahl der rechtspopulistischen Marine Le Pen, die ja beispielsweise ein Kopftuchverbot fordert. An europäische Verträge will sie sich wohl nicht halten. Sie sprechen von einer Katastrophe. Können Sie diese Warnung vor ihr auch katholischerseits unterstützen?

Pfarrer Markus Hirlinger

"Ich selber kann natürlich in privaten Gesprächen da offen drüber reden, meine Position für Emmanuel Macron kann ich da ohne Sorge thematisieren, tue es aber auch nicht direkt in der Predigt, weil ich auch empfinde, dass Parteipolitik dort nicht hingehört"

Hirlinger: Die französischen katholischen Bischöfe rufen natürlich auch zur Wahl auf und nennen aber nicht die Namen. Das ist irgendwie nicht in der jüngeren Tradition der katholischen Kirche, dass man da parteipolitisch Position bezieht. Aber sie nennen Kriterien. Sie sagen zum Beispiel: Bitte schaut auf die eigene Intelligenz, auf euer Gewissen, auf die Freiheit.

Ich selber kann natürlich in privaten Gesprächen da offen drüber reden, meine Position für Emmanuel Macron kann ich da ohne Sorge thematisieren, tue es aber auch nicht direkt in der Predigt, weil ich auch empfinde, dass Parteipolitik dort nicht hingehört. Aber die Kriterien, die da wichtig sind, die nenne ich natürlich: Ein Blick auf Europa und Frieden und miteinander statt gegeneinander.

DOMRADIO.DE: In der Stichwahl in Frankreich geht es ja auch um die Zukunft Europas, weshalb die Regierungschefs von Deutschland, Spanien und Portugal jetzt in einem Brief in der Zeitung Le Monde dazu aufgerufen haben, Amtsinhaber Macron zu wählen. Ein guter Schachzug von Kanzler Scholz oder Ihrer Meinung nach nicht?

Hirlinger: Die Franzosen mögen es nicht, wenn man ihnen Vorschriften macht. Da kommt eher der revolutionäre Geist zutage. Und dass diese Regierungschefs auf der Seite von Emmanuel Macron stehen, das wüsste man natürlich auch ohne diese offizielle Positionierung. Dennoch kann ich das aus der Sicht dieser Regierungschefs natürlich auch verstehen, dass sie da auch ein Zeichen der Solidarität setzen wollen. Und natürlich ist das für die Zukunft Europas wirklich entscheidend, ob der kommende Regierungschef hier mit den Nachbarländern kooperiert oder abgrenzend handelt.

DOMRADIO.DE: Wonach sehnen Sie sich in Ihrer Gemeinde? Was wäre in der aktuellen Situation und im Weltgeschehen für Frankreich gut?

Pfarrer Markus Hirlinger

"Wir wünschen uns, dass die Menschen mehr auf das politische Programm achten, schauen und das bewerten, was das für Konsequenzen hätte, als was man hier so häufig wahrnimmt, dass es um die Sympathie von diesen Kandidaten geht"

Hirlinger: Das Thema Stabilität und Verlässlichkeit Frankreichs ist natürlich etwas Wesentliches. Und wir haben natürlich die Sorge, dass Marine Le Pen die Verträge, wie sie es ankündigt, mit Deutschland und Europa sehr schnell kündigen oder hinterfragen oder nicht einhalten würde. Wir wären entsetzt, wenn sie laut Prognosen immerhin 45 Prozent erreichen würde.

Das ist natürlich schlimm genug, aber es macht wirklich irgendwie auch traurig, dass in der "Grande Nation" – dieser großen Nation – ein so großer Anteil der Bevölkerung so abgrenzend und nationalistisch eingestellt ist. Also wir wünschen uns, dass die Menschen mehr auf das politische Programm achten, schauen und das bewerten, was das für Konsequenzen hätte, als was man hier so häufig wahrnimmt, dass es um die Sympathie von diesen Kandidaten geht.

Und irgendwie, das können wir in der deutschsprachigen Gemeinde wenig verstehen, empfinden viele Menschen den Macron hier nicht als sympathisch. Sie sagen, er sei arrogant und auch in der in der Debatte hätte er arrogant reagiert. Ich selber verstehe das gar nicht. Natürlich ist der Wunsch, dass Menschen auf das Parteiprogramm und auf die Linie zu schauen und nicht darauf, ob ihnen jemand sehr sympathisch wirkt oder nicht. Das darf mit einfließen, aber es soll nicht der Hauptgrund sein.

Auch Frankreichs Rechtskatholiken votieren radikaler

Die Mehrheit von Frankreichs Katholiken hat - wie die Gesamtbevölkerung - für extreme Parteien gestimmt. Rechtsextreme Kandidaten erreichten unter den Katholiken im ersten Wahlgang insgesamt 40 Prozent, wie eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Ifop für die Zeitung "La Croix" ergab. Zudem erreichte der linksextreme Kandidat Jean-Luc Melenchon unter den praktizierenden Katholiken 14 Prozent der Stimmen. Die Muslime stimmten demnach sogar mit überwältigender Mehrheit für Melenchon.

Französische Flagge vor dem Eiffelturm / © Peter Kneffel (dpa)
Französische Flagge vor dem Eiffelturm / © Peter Kneffel ( dpa )

Ich wünsche mir in unserer deutschsprachigen Gemeinde, dass die Leute sehen können, was er erreicht hat. Im Blick auf die Arbeitslosigkeit ist das großartig. Das sind zwar immer noch 7,4 Prozent etwa, aber man sagt, innerhalb der letzten 13 Jahre gab es nie einen solch niedrigen Stand.

Der Arbeitsmarkt wurde reformiert und er hat die Ausbildung unterstützt, aber das braucht alles Zeit, bis sich das auswirkt. Das müssen die Menschen sehen. Also die brauchen Geduld, dass sie das sehen, dass sich dann was tut, wenn man da Stabilität hat und wenn man das noch mal weiterführt für fünf Jahre.

DOMRADIO.DE: Den ganzen Sonntag lang können alle zu den Wahlurnen kommen. Morgen um 11 Uhr feiern Sie den deutschen Gottesdienst. Wird die Wahl eine Rolle spielen?

Hirlinger: Ja, auch heute Abend. Ich habe wie immer auch einen französischen Gottesdienst. Da taucht das Thema natürlich auf: in den Gebeten, immer schon in der Predigt, aber ich mache da nur eine Andeutung. Ich mache jetzt keine politische Predigt heute. Aber in den Gebeten sind wir immer bei diesem Thema und vor allem jetzt auch für den Frieden in Europa. Und in keinem Gottesdienst fehlt derzeit das Gebet für die Menschen in der Ukraine.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR