Eine kleine Soziologie der Katholiken in Frankreich

Vom "Heiligabend-Christen" zum Gehorsamen

Frankreichs Katholiken weht ein oft kalter Wind ins Gesicht. Sexueller Missbrauch, strikter Laizismus, galoppierender Priestermangel, ungeliebte Gesellschaftsreformen: Wie tickt der französische Katholizismus?

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Gottesdienstbesucher in der Chapelle de Conflans in Charenton-le-Pont (Frankreich) / © Corinne Simon (KNA)
Gottesdienstbesucher in der Chapelle de Conflans in Charenton-le-Pont (Frankreich) / © Corinne Simon ( KNA )

2017 beauftragte die Mediengruppe Bayard eine breit angelegte soziologische Studie, die wohl auch nach den neuerlichen schweren Rückschlägen von Corona-Pandemie und Missbrauchsstudie immer noch Bestand haben dürfte. Eine Vorstellung zu den Präsidentenwahlen in Frankreich:

Die Untersuchung unterscheidet sechs Typen aktiver Katholiken. Der weitaus meistvertretene ist demnach der "Heiligabend-Christ" oder Kulturkatholik. Er geht an den Eckpunkten des Kirchenjahres oder zu Familienfeiern - Hochzeit, Taufe, Beisetzung - in die Kirche. Er zündet eine Kerze an, spendet für Karitatives, mag Kirchenmusik, Traditionen und Brauchtum wie Krippen, Geläut und die lateinische Messe, doch hält ansonsten eine gewisse Distanz zu Theologie und Glaube. Misstrauisch gegenüber Papst Franziskus, ist der Kulturkatholik auch kritisch gegen Migranten. Von den sechs Typen am häufigsten wählt er rechtspopulistisch.

"Teilzeitverbrüderte"

Kirche in Frankreich

Die katholische Kirche in Frankreich zählt zu den traditionsreichsten und geistesgeschichtlich wichtigsten in Europa. Marksteine ihrer reichen Geschichte sind etwa für das christliche Mittelalter die Taufe von Frankenkönig Chlodwig, die Reichskirche Karls des Großen ("Charlemagne"), die großen Ordensbewegungen und das "Zeitalter der Kathedralen"; weiter die Religionskriege des 16./17. Jahrhunderts, die nationalkirchliche Strömung des "Gallikanismus", die Aufklärung und die Französische Revolution. Zu Frankreichs Kulturerbe gehören ungezählte Klöster und Kathedralen von Weltrang.

Französische Fahne / © Rick Hawkins (shutterstock)

Der zweithäufigste Typus ist der "Teilzeitverbrüderte". Für ihn zählt an Jesus weniger die theologische Person als seine Haltungen:

Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Offenheit für andere. Für sein geistliches Leben zählen vor allem Solidaritätsaktionen und Weitergabe des Glaubens, wie er ihn selbst von den Eltern gelernt hat. Kirchgang nur an höchsten Feiertagen. Hoch im Kurs stehen wohltätige Spenden. Als Anhänger von Papst Franziskus und Abbe Pierre wählt der "Teilzeitverbrüderte" links bis bürgerlich, steht auf der Seite von Migranten und lehnt Rechtspopulismus ab.

"Konzilskatholik"

Dritter Typ ist der "Konzilskatholik". Er lehnt alle "Theologien der kleinen Herde", Vorschriften, Rechthaberei, Purismus und lateinische Messe ab. Er wünscht sich eine Kirche der Barmherzigkeit und Gemeinschaft mit der Welt. Seine biblischen Szenen sind die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin und das Mahl mit dem Zöllner Zachäus. Der "Konzilskatholik" ist fleißiger Kirchgänger und Pilger. Er engagiert sich stark im Gemeindeleben, karitativ und für die Familie und unterstützt vorbehaltlos Papst Franziskus. Überproportional oft wählt er links, ist aber auch in anderen Parteien anzutreffen.

Die "Gehorsamen"

Eine kleinere Gruppe sind die "Gehorsamen". Für sie ist Christus vor allem der am Kreuz getötete Sohn Gottes. Streben nach Heiligkeit und Askese dienen dem Ziel, sich Gottes Gnade würdig zu erweisen. Er hält eine gewisse Distanz zur Welt und hängt an der Schönheit der Liturgie. Auch die "Gehorsamen" sind eifrige Pilger und Messbesucher, am liebsten auf Latein. In ihrem Glaubensleben spielen Gebet in der Familie, Privatschule und Pfadfindertum eine Rolle; häufig bestehen Kontakte zu Neuen Geistlichen Gemeinschaften. Sie leben im Bewusstsein einer Minderheit, die die Tradition hochhält, wählen rechtsbürgerlich oder -populistisch und sehen Zuwanderung und den Kurs des Papstes kritisch.

Die "Begeisterten"

Typ fünf sind die "Begeisterten". Mental verwandt mit den "Gehorsamen", haben sie häufig ein Bekehrungserlebnis gehabt und fühlen sich in stetigem Dialog mit Christus. Ihr spiritueller Ort sind weniger Pfarreien als charismatische Gemeinschaften und Gebetsgruppen. Politisch sind sie ist am ehesten im bürgerlichen Spektrum zu verorten.

Die "Emanzipierten"

Die sechste Gruppe sind die "Emanzipierten". Sie sehen in Christus den Befreier des Menschen und Protagonisten von Nächstenliebe.

Katholisch zu sein, bedeutet für sie volle Verantwortung für ihr Leben und ihre Taten. Sie kritisieren eine Fixierung der Kirche auf die (Sexual-)Moral und wählen Mitte-links. Die eigene Spiritualität besteht im Kampf gegen Ungerechtigkeit und für die Umwelt, in persönlicher Bibellektüre sowie in Auszeiten im Kloster oder in Taize. Der Sonntagsgottesdienst gilt ihnen eher als abgehängt von der gesellschaftlichen Realität. Papst Franziskus geht ihnen nicht weit genug.

Quelle:
KNA