DOMRADIO.DE: Inwiefern stellt das römische Papstamt aus lutherischer Sicht ein Problem für die Ökumene dar?
Johannes Dieckow (Referent für Catholica- Arbeit und Ökumenearbeit bei der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, VELKD): Historisch gesehen hat sich die Trennung der Reformationszeit wesentlich am Papstamt abgearbeitet. Luther hat mit seinen Thesen zunächst zu einer Disputation, also zu einem Streit um die besseren Argumente, aufgefordert. Rom hat darauf mit seiner Autorität und später mit der Exkommunikation reagiert.
Man kann das als einen Eskalationsprozess sehen, in dem auf beiden Seiten die Verurteilungen immer schärfer wurden. Das trifft auch auf die Protestanten zu, die im Papst den "Antichristen" zu erkennen glaubten.
Heute liegt dies Geschichte mehr als 500 Jahre zurück, und beide Kirchen sehen sich inzwischen in einem anderen Licht. Die ökumenischen Dialoge der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Verurteilungen von damals die Kirche, der wir heute begegnen, nicht treffen.
Übrigens: Ich durfte Papst Franziskus vor einigen Jahren persönlich kennenlernen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er ein "Antichrist" ist. Und wenn, dann ein sehr sympathischer und ökumenisch aufgeschlossener.
DOMRADIO.DE: Der ehemalige Catholica-Beauftragte der VELKD, Karl-Hinrich Manzke, sagte vor zwölf Jahren, er könne sich den Pontifex in Rom "unter bestimmten Umständen" als Repräsentanten der gesamten Christenheit vorstellen. Dafür müsse sich allerdings das Papstamt in seinem Selbstverständnis grundlegend verändern. Würden die Vorschläge, die das Dokument "Der Bischof von Rom" nun unterbreitet, diese Änderungen herbeiführen?
Dieckow: Es geht um die Frage, inwiefern evangelische Christinnen und Christen den Bischof von Rom auch für sich als eine Art geistliche und pastorale Autorität anerkennen können. Zu Recht hat Landesbischof Manzke betont, dass dazu ein grundlegender Wandel im Selbstverständnis des Papstamtes notwendig ist.
Das bedeutet erstens, dass der Papst sich in Lehrfragen nicht über die Autorität der Bibel und der Lehrtradition der ganzen Kirche stellen darf. Zweitens bedeutet es, dass er auf seinen kirchenrechtlichen Anspruch verzichten muss, in den Angelegenheiten der Kirchen weltweit Autorität ausüben zu können.
Das Dokument greift erfreulicherweise die Rückmeldungen auf, die es in den ökumenischen Gesprächen der vergangenen Jahrzehnte zu diesem Gedanken gegeben hat, und leitet aus ihnen konkrete Vorschläge ab.
Einen großen Stolperstein stellt bis heute das Unfehlbarkeitsdogma dar, das vom Ersten Vatikanischen Konzil unter großen innerkatholischen Zerwürfnissen 1870 beschlossen wurde. Es bleibt eine noch nicht bewältigte Herausforderung, wie dieses Dogma in eine ökumenische Interpretation des Papstamtes intergiert werden kann.
DOMRADIO.DE: Das Dokument ist das Ergebnis jahrzehntelanger theologischer Dialoge, die verschiedene christliche Kirchen mit der katholischen Kirche jeweils separat geführt haben. Inwieweit findet sich darin der Dialog mit den Kirchen der Reformation, ganz speziell den lutherisch geprägten Kirchen wieder?
Dieckow: Ich habe ja schon betont, dass die ökumenischen Dialoge uns heute eine andere Perspektive einnehmen lassen. Ich würde hier vor allem das ökumenische Gedenken der Reformation und das vorausgegangene Dokument vom "Konflikt zur Gemeinschaft" aus dem lutherisch/römisch-katholischen Dialog nennen.
Dieses und auch andere Dokumente haben aufgezeigt, dass mache Trennungen der Reformationszeit auf historisch bedingte Entwicklungen zurückzuführen sind und ihren Kern nicht unbedingt in fundamentalen theologischen Gegensätzen haben.
Was mich sehr freut, ist dass das heute veröffentlichte Dokument die Frage nach einer ökumenisch anschlussfähigen Ausübung des Papstamtes mit dem Prinzip der Synodalität verbindet, das Papst Franziskus in der römisch-katholischen Kirche neu zu beleben und zu vertiefen versucht.
Ökumenisch bietet das nicht nur Anknüpfungspunkte für die Ostkirchen, sondern auch für evangelische Kirchen. Wir werden ökumenisch durchbuchstabieren müssen, was es bedeutet, dass der Dienst des Bischofs von Rom eingebettet ist in synodale Beratungs- und Entscheidungsprozesse der ganzen Kirche.
DOMRADIO.DE: Mit Blick auf die von Rom getrennten Kirchen im Westen, also auch den Kirchen der Reformation, führt das Papier einen "Primat der Verkündigung und des Zeugnisses" an. Wie muss dieser gestaltet sein, damit er auch für die lutherischen Kirchen annehmbar ist?
Dieckow: Das Papier schlägt eine Art Unterscheidung zwischen der inner-römisch-katholischen Amtsübung des Papstes vor, die nach wie vor einen jurisdiktionalen Charakter hat, und einer gewissermaßen ökumenischen Dimension seines Handelns, die als "diakonisches" Amt bezeichnet wird – also als ein eher pastoraler Dienst im Sinne der Einheit der Christinnen und Christen.
Dieser müsste, wenn er ökumenisch darstellbar sein soll, in kollegialer Gemeinschaft mit den Vertreterinnen und Vertretern der nichtkatholischen Kirchen ausgeübt werden. Das schließt konsequenter Weise die Anerkennung des Dienstes ein, den sie in ihrer jeweiligen Kirche ausüben.
DOMRADIO.DE: Können Sie sich eine interkonfessionelle Synode unter dem Vorsitz des Papstes vorstellen?
Dieckow: Der Vorschlag ist interessant. Angesichts des Jubiläums des Konzils von Nicäa, auf das sich das einzige ökumenisch verbindende Glaubensbekenntnis zurückführen lässt, das wir heute gemeinsam sprechen, könnte in einem ökumenisch-synodalen Zusammentreffen eine Chance liegen.
Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.