Deutschland bei Digitalisierung des Gesundheitswesens hinten

Röntgenbilder und Rezepte künftig nur noch elektronisch

Mehr als 100.000 Gesundheits-Apps gibt es, Videosprechstunden und Fernüberwachung von Herzpatienten werden immer mehr zum Alltag. Die Digitalisierung verändert das Gesundheitswesen. Doch Deutschland liegt dabei hinten.

Autor/in:
Christoph Arens
Telemedizin  / © Marius Becker (dpa)
Telemedizin / © Marius Becker ( dpa )

Schöne neue Welt: Intelligente Roboter, die bei Operationen helfen. Smartphone-Apps und implantierte Biosensoren, die Blutdruck, Blutzucker oder den Puls kontinuierlich messen und an Arztpraxen melden. Die Digitalisierung verändert die Medizin. Sie beeinflusst nicht nur die Lebensqualität von Menschen, sondern auch die Arbeit von Ärzten und Kliniken.

Doch Deutschland liegt dabei international zurück, wie eine am Donnerstag in Gütersloh veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung ergab. Obwohl die Bundesregierung schon relativ früh gestartet sei und 2003 die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte beschlossen habe, sei im Alltag von Arztpraxen und Kliniken noch wenig angekommen.

Alltag in Praxen und Kliniken

Bei der internationalen Vergleichsstudie landet die Bundesrepublik auf Rang 16 von 17 untersuchten Ländern. "Während Deutschland noch Informationen auf Papier austauscht und an den Grundlagen der digitalen Vernetzung arbeitet, gehen andere Länder schon die nächsten Schritte", heißt es kritisch. Auf den ersten Rängen landen Estland, Kanada, Dänemark, Israel und Spanien.

In diesen Ländern seien digitale Technologien bereits Alltag in Praxen und Kliniken. So würden Rezepte digital übermittelt und Gesundheitsdaten der Patienten in elektronischen Akten gespeichert. In Estland und Dänemark können laut Studie alle Bürger ihre Untersuchungsergebnisse, Medikationspläne oder Impfdaten online einsehen. In Israel und Kanada seien Ferndiagnosen und Fernbehandlungen per Video selbstverständlich.

Strategie, politische Führung und klare Zuständigkeiten

Das wirtschaftliche Potenzial ist riesig: Nach Prognosen der Unternehmensberatung Arthur D. Little soll sich der digitale Gesundheitsmarkt bis 2020 weltweit auf 233 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln. Die schnell wachsende Menge an gesundheitsrelevanten Daten kann neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen: Komplette Genome, etwa von bösartigen Tumoren, werden in der biomedizinischen Forschung sequenziert und elektronisch gespeichert. Die Hoffnung dabei: Ein Arzt, der dank einer Datenbank Therapien und Krankheitsverlauf Tausender Menschen vergleichen kann, findet für den Einzelfall schneller eine passende Behandlung als sein Kollege, der nur die eigenen Patienten kennt.

Aus Sicht der Studie braucht eine erfolgreiche Digitalisierung des Gesundheitswesens eine effektive Strategie, politische Führung und klare Zuständigkeiten zur Koordination des Digitalisierungsprozesses. "Die Politik gibt einen klaren Rahmen vor, sorgt für Akzeptanz bei den Akteuren und treibt die Entwicklung", rät die Studie.

Forderung nach mehr Tempo

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat den zügigen Ausbau der digitalen Infrastruktur als Top-Thema der Gesundheitspolitik ausgemacht. Er fordert mehr Tempo: Im Ministerium hat er eine eigene Abteilung für "Digitalisierung und Innovation" geschaffen.

Gerade bei der elektronischen Patientenakte aber, Kern der Digitalisierung im Gesundheitswesen, stockt es schon länger. Seit 2015 ist die elektronische Gesundheitskarte für alle mehr als 70 Millionen gesetzlich Versicherten verbindlich; sie ist die Basis für die Patientenakte. Doch im Haifischbecken Gesundheitswesen gibt es viele Mitspieler mit ganz unterschiedlichen Interessen und Prioritäten.

Infrastruktur muss geschaffen werden

Zunächst musste die nötige technische Infrastruktur geschaffen werden, damit die Daten gesendet, gespeichert und abgerufen werden können. Notwendig sind etwa der Aufbau einer sicheren Datenautobahn und eine sichere Verschlüsselungstechnologie. Erst Mitte Oktober haben sich Krankenkassen und Ärzte auf Grundsätze zur Einführung der elektronischen Patientenakte geeinigt. Sie verständigten sich unter anderem auf eine Struktur der geplanten digitalen Akte - wer was wo speichert und wem die Informationen zugänglich sein sollen.

Mitte September preschten mehr als 90 gesetzliche Krankenkassen und vier Privatversicherungen vor und präsentierten eine App namens Vivy. 25 Millionen Versicherte können über sie Arztbriefe, Befunde, Laborwerte, Medikationspläne, Notfalldaten oder Impfungen speichern. Wenige Tage später allerdings folgte schon der Aufschrei: Sicherheitsforscher berichteten über schwerwiegende Mängel bei der Sicherheit der App.


Quelle:
KNA