Diakon Giertz verrät seinen Lieblingsort im Kölner Dom

Lebenswege an den Maßstäben Gottes ausrichten

Jeder, der im oder am Dom arbeitet, betrachtet Kölns Kathedrale aus seiner ganz persönlichen Perspektive. Und er entwickelt oft eine besondere Vorliebe für einen bestimmten Platz. Für Thorsten Giertz ist es das Glücksrad-Mosaik.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Thorsten Giertz hat es seit Studientagen das Dom-Fußbodenmosaik mit dem Glücksrad angetan / © Beatrice Tomasetti (DR)
Thorsten Giertz hat es seit Studientagen das Dom-Fußbodenmosaik mit dem Glücksrad angetan / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Über das Glück des Menschen – was es ist und wie es sich festhalten lässt – haben sich schon viele kluge Köpfe den Kopf zerbrochen: Philosophen und Literaten, von der Antike bis heute. Unzählige Aphorismen lassen sich dazu im Internet abrufen, einer von den bekannteren lautet: Jeder ist seines Glückes Schmied. Als ob das so einfach wäre, die Geschicke seines Lebens selbst in die Hand zu nehmen! Nicht alles ist eine Frage des Wollens – frei nach dem Motto: Wer sich nur genügend anstrengt, Mühe und Schweiß investiert, wird reich belohnt.

Beim Gang vom Vierungsaltar zum Dreikönigenschrein passiert man automatisch das Schicksalsrad / © Beatrice Tomasetti (DR)
Beim Gang vom Vierungsaltar zum Dreikönigenschrein passiert man automatisch das Schicksalsrad / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Auch in der Bildenden Kunst hat es durch die Jahrtausende immer wieder Annäherungsversuche an das große Lebensthema Glück gegeben. Darstellungen eines Glücks- oder auch Schicksalsrades, die die Launenhaftigkeit irdischen Glücks versinnbildlichen, sind seit dem Mittelalter bekannt. Sie zeigen zumeist den Aufstieg und Fall eines Königs, der durch das von Fortuna angetriebene Rad zunächst auf den Gipfel persönlichen Wohlergehens emporgehoben wird, dann aber ins Straucheln gerät, das, was vermeintliches Glück bedeutet – vor allem Reichtum und Macht – verliert und schließlich ins Bodenlose stürzt, bis er einsam, verzweifelt und auf sich selbst zurückgeworfen stirbt.

Auch im Kölner Dom befindet sich das Motiv eines solchen Schicksalsrades: im Fußbodenmosaik des Hochchores. Dabei handelt es sich um die Umsetzung eines Entwurfs des Architekten August von Essenwein aus dem Jahre 1887, der für Chor und Vierung aus Gründen der besseren Haltbarkeit anstelle von Intarsien einen Boden mit Bildfeldern aus keramischen Mosaiksteinchen vorsah und ikonografisch drei große Themenkomplexe realisierte: die Geschichte des Erzbistums, die christliche Weltordnung und ein Abbild des Kosmos.

Diakon Thorsten Giertz

"Da kann man noch so viel planen. Am Ende kommt es dann doch anders. Wir können das Leben eben nicht machen. Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade."

Für Thorsten Giertz, Personalreferent für Priester und Diakone im Erzbischöflichen Generalvikariat und seit 2016 Diakon im Zivilberuf, ist dieses Mosaik schon früh zu einem Sinnbild dafür geworden, "dass wir Fügungen erfahren", sagt er über seinen Lieblingsort im Kölner Dom. "Da kann man noch so viel planen. Am Ende kommt es dann doch anders. Wir können das Leben eben nicht machen. Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade." Immer wieder habe er das am eigenen Leib erfahren.

Das erste Mal, als er das Studium der Theologie im Bonner Collegium Albertinum aufnimmt und damit für ihn eine Zeit der existentiellen Auseinandersetzung mit sich und dem Leben, ausgerichtet an Gott, beginnt. Ergänzend zur Theologie widmet er sich den Fächern Mathematik und Deutsch, um schließlich als Pädagoge seine Bestimmung zu finden. Im Einsatz an verschiedenen Realschulen entdeckt er seine Freude, für junge Menschen – und als Schulleiter schließlich auch für das Kollegium – mehr als nur Lehrer, nämlich Lebensbegleiter zu sein.

Dem Diakon im Dom fällt mitunter auch schon mal der Lektorendienst zu / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dem Diakon im Dom fällt mitunter auch schon mal der Lektorendienst zu / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ein weiteres Mal kommt seine persönliche Lebensplanung auf den Prüfstand, als er gefragt wird, ob er sich nicht eine Diakonenausbildung vorstellen könne. Er kann. "Die Anfrage kam überraschend, war dann aber eine Entscheidung, die wir als Paar getroffen haben. Auf einen solchen Weg muss man sich zu zweit einlassen", betont Giertz, dessen Frau ebenfalls Theologin ist und zu diesem Zeitpunkt – wie er – im Schuldienst arbeitet. "Mit diesem ‚Ja’ begann noch einmal eine ganz eigene Berufungsgeschichte, schließlich hat diese Weihe in meinem Leben einen besonderen Stellenwert." Giertz, der auch in die pastorale Arbeit in den Abteigemeinden des Seelsorgebereichs Brauweiler/Geyen/Sinthern eingebunden ist – da, wo er in der Nachbarschaft wohnt – will Kirche ein konkretes, vor allem aber ein menschliches Gesicht geben.

Gemeinsames Gehen in gegenseitiger Begleitung

Ihm ist es wichtig, für den anderen da zu sein, zuzuhören und Zwischentöne wahrzunehmen, um nachzuvollziehen, warum jemand so ist, wie er ist, welcher inneren Logik er folgt. Das galt in seiner Zeit an der Schule und das gilt ebenso an seinem jetzigen Arbeitsplatz im Generalvikariat. "Ich wollte gerade schwierige Schüler, die für jeden Lehrer eine Herausforderung sind, nicht in eine Schublade stecken", sagt er rückblickend. "Wichtiger war mir, mit ihnen ihren Anfragen nachzugehen, gemeinsam nach Antworten zu suchen und immer wieder Begleitung auch in Krisen- oder Trauerzeiten anzubieten." Gemeinsames Gehen in gegenseitiger Begleitung – das ist dem heute 47-Jährigen seit jeher das Kernanliegen.

Und wieder erlebt Giertz, "wie sich die Dinge fügen", als er seine Aufgabe als Schulleiter der Bödiker Oberschule in Haselünne/Niedersachsen beendet und nach Köln in die Personalabteilung des Erzbistums wechselt. "Schulleiter war ich wirklich für mein Leben gern. Nun stand aber die Frage im Raum, ob die gesamte Familie nochmals einen Neuanfang wagt, was natürlich nie ganz ohne Risiko ist", wie er einräumt. Doch die Familie geht das Abenteuer ein. "Ich empfinde es als Bereicherung, immer wieder in neuen Konstellationen und Herausforderungen Menschen mit ihrer Prägung, ihrer individuellen Biographie und auch ihrer je eigenen Berufungsgeschichte kennenzulernen – gerade auch die Priester der Weltkirche aus Afrika oder Indien – und zu schauen, was genau sie brauchen und welcher Einsatzort, welches Amt und welche Aufgabe zum Persönlichkeitsprofil des Einzelnen passt." Und für die Beteiligten gehe es unter Umständen um wichtige Weichenstellungen – ob es sich um die erste Kaplanstelle oder den Eintritt in den Ruhestand handle. Daher sei auch hier intensive Begleitung ganz wesentlich. "Denn", zitiert Giertz sein Leitmotto aus einem Hirtenbrief von Kardinal Woelki: "Viel mehr geht, wenn man zusammen Wege geht."

Für alte und kranke Priester Sorge tragen

Die Botschaft vom Reich Gottes weitertragen, daran so gut es geht mitbauen und in dieser Kirche ein lebendiger Stein sein – so formuliert Giertz sein Selbstverständnis. "Und da mitwirken, wo ich als Ehemann, Vater eines Sohnes, als Diakon und als Personalverantwortlicher für meine Mitbrüder gefordert bin." Dabei komme ihm entgegen, innerhalb seines Aufgabenbereiches gerade auch für alte und kranke Priester Sorge zu tragen. "Ein Feld, in dem ich mich von Herzen gerne engagiere."

Stillstand – das zeigt seine Biografie – ist Giertz’ Sache nicht. Das Rad des Lebens drehe sich eben immer weiter und auch Gott sei immer in Bewegung, ist er überzeugt. Wie zum Beweis für die Anwesenheit Gottes im Alltag eines jeden Menschen deutet der Theologe auf den Schriftzug des von ihm auserkorenen Mosaiks: "Deus in rota est", steht da im Kreisrund zu lesen. Schon zu Studienzeiten hat er dieses Wort für sich entdeckt und so übersetzt: "Wie das Leben immer im Fluss ist, ist auch Gott ein unermüdlicher Beweger und stets präsent. Er überrascht uns mit immer neuen Seiten. Und er allein ist es, der unsere Geschicke lenkt und auf den wir setzen sollten."

Diakon Thorsten Giertz

"Auch wenn wir uns noch so sehr wünschen, Herr unseres Lebens zu sein, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und damit zunächst Erstrebtes auch erreichen, sind es in Wahrheit gerade nicht Karriere, materieller Wohlstand und Macht, die – auf dem Zenit des Erfolgs – Erfüllung schenken."

Wenn er als einer der Offizianten das Mittagsgebet im Dom hat, schreitet er fast zwangsläufig bei jedem Gang von der Sakristei zum Ambo über dieses Bild hinweg. Dabei sei ihm, so sagt er, dieses Schicksalsrad im Hochchor zunehmend zur Mahnung geworden: Alles Irdische, auf Erden Erworbene ist vergänglich. "Auch wenn wir uns noch so sehr wünschen, Herr unseres Lebens zu sein, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und damit zunächst Erstrebtes auch erreichen, sind es in Wahrheit gerade nicht Karriere, materieller Wohlstand und Macht, die – auf dem Zenit des Erfolgs – Erfüllung schenken."

Am Ende des Lebens, so jedenfalls zeige es das Schicksalsrad, stehe doch jeder allein da, reflektiere angesichts des nahenden Todes sowohl Gelungenes als auch weniger Geglücktes und gelange zu der Einsicht: Niemand anderer als Gott wird mein Leben retten. Auf ihn will ich bauen. Giertz betont: "Hätten wir diese Erkenntnis doch schon früher, wäre viel gewonnen und unsere Welt eine bessere." Nicht nur einmal habe er erfahren: "Lebenswege lassen sich nicht ausschließlich nach menschlichem Ermessen planen, aber man kann sie an den Maßstäben Gottes ausrichten."

Quelle:
DR