Behutsame Streicheleinheiten gehören dazu. Immerhin muss man im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, wie der Faltenwurf Hüfte und Knie umspielt, das lockige Haar sanfte Wellen wirft und die feingliedrigen Finger einen Pfeil umschließen. Die Haptik – das Anfassen, Berühren, Ertasten – spielt für Nina Ohldag jedenfalls eine ganz entscheidende Rolle.
Deshalb gleitet sie immer wieder fast zärtlich mit ihrer Hand über den alten, mit Lasertechnik gereinigten Stein, aus dem vor über 150 Jahren eine "klassische Schönheit", wie sie findet, mit geradem Nasenrücken, Blumenkranz und fließendem Gewand herausgeschlagen wurde: die heilige Cordula, die für Restaurierungszwecke vor einiger Zeit vom Ursulaportal der Südquerhausfassade herunter in die Steinwerkstatt der Dombauhütte geholt wurde. Und hier steht sie nun Tag für Tag im Spot des Scheinwerferlichts, das unbarmherzig Witterungsschäden und feine Risse im Material offenlegt – und damit gleichzeitig das Arbeitsfeld von Nina Ohldag definiert. Denn die 42-Jährige ist Steinbildhauerin und – wenn es darum geht, alte Substanz zu erhalten – ganz in ihrem Element.
"Figuren an Fassaden haben mich immer schon fasziniert. Und am Kölner Dom findet man an Portalen und Pfeilern eine schier unerschöpfliche Fülle davon, aus ganz unterschiedlichen Jahrhunderten." Überhaupt gebe es in ihrem Metier kaum die Möglichkeit, an historischen Gebäuden zu arbeiten. "Die Chance hier – das ist daher Glück pur", sagt die eher zierlich wirkende Frau über ihren Lieblingsort an Kölns Kathedrale. "Die Arbeit am Dom bietet immer wieder neue Herausforderungen und viel Abwechslung."
Mehr zufällig sei ihr damals kurz vor dem Abi im schleswig-holsteinischen Mölln ein Bericht über Kölns Wahrzeichen und seine Dombauhütte in die Hände gefallen, erinnert sie sich. "Das war wie eine Initialzündung. Plötzlich war mir klar, dass ich genau das machen will: handwerklich arbeiten und eine Steinmetzlehre absolvieren. Etwas anderes kam gar nicht mehr infrage." Mit einem zweiwöchigen Praktikum, bei dem sie herausfinden will, ob sie die dafür notwendige Eignung mitbringt, erfüllt sie sich einen Traum. "Heute mache ich etwas, das mich und andere erfreut. Und was bleibt." Das schaffe eine große innere Zufriedenheit.
Nina Ohldag ist eine von zurzeit sieben Frauen der insgesamt 20 Steinmetzen in der Kölner Dombauhütte. Das zeigt, dass in diese Männerdomäne allmählich auch weibliche Kolleginnen einbrechen. 15 Jahre ist die Mutter von drei Kindern nun schon dabei – immer wieder mit Unterbrechungen wegen Elternzeit – und genießt die Gesellschaft der vielen anderen Steinexperten. "Fachlicher Austausch und Diskussionen untereinander, wie weit Restaurierung gehen sollte und darf, sind wichtig und bringen einen immer weiter. Als Maßstab gilt, so viel wie möglich vom Original zu erhalten. Da können einen die Fertigkeiten vorangegangener Steinmetzgenerationen schon mal ganz schön in Zugzwang bringen, um die vorgegebene Qualität zu erreichen."
Sich in die Arbeit der alten Meister hineindenken
Schließlich sei es ihr Anspruch, die Handschrift der alten Meister nachzuempfinden, ohne die Harmonie des Kunstwerks zu stören oder der Rekonstruktion gar einen eigenen Stempel aufzudrücken. "Genau das sollte eben nicht sein." Man müsse technisch schon eine Menge ausprobieren, um eine sogenannte "Vierung" originalgetreu hinzubekommen und sich da hineinzudenken, wie die Steinmetze im 19. Jahrhundert gearbeitet, wie sie ihre Werkzeuge angesetzt und welches Ideal sie dabei verfolgt hätten.
Unter einer "Vierung" versteht man eine Art Ersatzstück, das aus Naturstein in eine Fehlstelle an historischen Bauwerken eingebracht wird. Im Fall der Heiligen Cordula sind es die Hände, die eigentlich – als Hinweis auf ihr Martyrium – ein Palmblatt und einen Pfeil halten, der aber bis zur Unkenntlichkeit verwittert ist und nun von Ohldag in mehreren Arbeitsschritten neu modelliert werden muss. Dazu verwendet sie zunächst Gips, ergänzt damit das Fragment, formt diese Stelle dann mit Silikon ab, um ein Negativ zu bekommen, und überträgt die hier entstandene Rekonstruktion dann eins zu eins auf das Stück Stein, das sie schließlich mit Eisen und Knüpfel bearbeitet, um es später wieder ergänzen zu können.
Finanzierung erfolgt über Patenschaft im Zentral-Dombau-Verein
Zum Glück gäbe es eine ganze Menge erhaltener "Bozzetti", kleine dreidimensionale Modelle, die bei der Rekonstruktion von Vierungen bzw. dem Vorgang des "Punktierens", wie das in der Fachsprache heißt, als Orientierung dienten, berichtet sie. Im Idealfall steht also noch eine Mini-Ausgabe der Heiligen in der Modellkammer des Nordturms, wo viele dieser aus dem 19. Jahrhundert erhaltenen Bozzetti aufbewahrt werden. So weiß man auch, dass die Entwürfe zu dieser Skulptur von 1847 stammen, ihre Ausführung durch Dombildhauer Christian Mohr dann aber noch etwa 20 Jahre auf sich warten ließ.
Zwei bis drei Monate nehmen die Korrekturen an einer solchen zwei Meter hohen Gewändefigur schon mal in Anspruch. Meist sind es Stifter, die diese aufwendige Arbeit über eine Patenschaft des Zentral-Dombau-Vereins finanzieren. Schließlich ist die Heilige Cordula nur eine von mehreren Anwärtern, die einer Generalsanierung unterzogen werden müssen und der Reihe nach drankommen sollen.
Arbeit geht den Steinmetzen und -bildhauern am Dom jedenfalls nicht aus. Zunächst wird der Bedarf festgestellt, also untersucht, inwieweit der natürliche Verfall korrosionsbedingt fortgeschritten, das Material inzwischen porös geworden ist. "Manchmal ist die äußere Schicht, die Oberfläche der Figur, bröselig wie Blätterkrokant", konstatiert die Bildhauerin und zerreibt ein Stück Stein zwischen den Händen. Die eigentliche Herausforderung aber bestehe darin, erklärt sie, die Formensprache von damals zu erfassen und die Transferleistung vom Kopf in die Hand zu bewältigen, will man Altes erhalten und in seiner Aussagekraft nicht verändern.
Jeder Eingriff am Original bedeutet auch eine große Verantwortung
"Das ist oft der schwierigste Teil, weniger das rein Handwerkliche. Am Original lässt sich ablesen, wie unglaublich präzise und detailverliebt die Meister des 19. Jahrhunderts gearbeitet haben, so dass diese ausdrucksstarke Wirkung entstehen konnte", schwärmt sie und fährt mit der Hand erneut leicht über den steinernen Stoff mit Pelzbesatz. In die Fußstapfen ihrer Vorgänger zu treten erfordere schon eine Menge Respekt, findet sie. "Trotzdem möchte ich nichts anderes mehr machen."
Mit der Zeit bekomme man ein Gefühl dafür, wie früher gearbeitet wurde. Und diese Sensibilität sei ganz entscheidend. "Jedenfalls überlege ich ganz genau, wo ich den Schnitt ansetze, wie viel Substanz ich wegnehme. Jeder Eingriff bedeutet auch eine große Verantwortung und Ehrfurcht vor dem Bestehenden." Und mache eine akribisch genaue Vorgehensweise notwendig. Schon der Faltenwurf über einem Knie könne zur totalen Herausforderung werden. "Am Ende muss alles ganz genau stimmen und homogen ineinander passen." Im doppelten Wortsinn fließende Übergänge schaffen – darin genau liegt die Kunst.
Cordula ist von königlicher Herkunft und gilt als eine der 11.000 Gefährtinnen der Heiligen Ursula. Der Legende nach soll sie sich im Bauch eines Schiffes in Sicherheit gebracht haben, um einer Ermordung durch die Hunnen zu entkommen. Einen Tag später aber muss sie ihr Versteck freiwillig verlassen, sich selbst ins feindliche Lager begeben und dort den Märtyrertod erlitten haben. Sie starb durch einen Pfeilschuss.
Natürlich kennt auch Nina Ohldag diese Geschichte. "Wenn man sich Tag für Tag auf Augenhöhe in einem Zwiegespräch miteinander befindet, muss man wissen, wen man da vor sich hat", lacht die Mitarbeiterin der Dombauhütte. "Sobald man einer solchen Figur ins Gesicht schaut, lässt sich die unmittelbare Auseinandersetzung gar nicht mehr vermeiden", argumentiert sie. "Da kommuniziert man ganz automatisch miteinander."