Bretter, die die Welt bedeuten – dieses geflügelte Wort von Friedrich Schiller lässt an rauschende Premieren, gefeierte Künstler, ein begeistertes Publikum und manch überraschenden Karrieresprung denken. Denn der Begriff hat sich eingebürgert als Synonym für internationale Bühnen, auf denen Stars geboren werden, eine kleine Elite zu Ruhm und Ehre gelangt. Auch Laura Peters hat eine besondere Beziehung zu dem Boden, auf dem sie Sonntag für Sonntag steht und ihren Auftritt hat. Wenn auch keinen, der jedes Mal die Leute von den Stühlen reißt und für frenetischen Applaus sorgen würde, aber doch einen, der die Menschen nachhaltig berührt und grundsätzlich eine wichtige Aufgabe erfüllt. Denn die 16-Jährige ist Mitglied des Mädchenchors am Kölner Dom. Das heißt, in der Regel steht die junge Sängerin zweimal im Monat sonntags und darüber hinaus an vielen kirchlichen Feiertagen in Kölns Kathedrale auf dem Chorpodest im südlichen Langhaus und ist mit dabei, wenn ihr Chor diese Messfeiern musikalisch gestaltet und damit zum Verkündigungsauftrag beiträgt.
"Hier verbringe ich einen Großteil meiner Freizeit. Hier erlebe ich, wie sich bei jedem Gottesdienst unsere vielen Stimmen zu einem einzigen großen Klangteppich verdichten, in diese Kirche hineinstrahlen und wir mit unserem Gesang Freude schenken", berichtet die Schülerin mit strahlenden Augen. "Das ist immer wieder eine tolle Erfahrung – akustisch und emotional. Und deshalb ist dieses Chorpodest auch mein Lieblingsort im Kölner Dom." Mit diesem Platz verbinde sie die schönsten Erlebnisse: festliche Liturgien, aber auch herausragende Konzerte. Eben einzigartige Momente. Gleichzeitig treffe sie hier aber auch ihre Freundinnen, mit denen sie dieses durchaus zeitintensive Hobby teile. "Der Chor ist eine starke Gemeinschaft, die mich sehr geprägt hat. Über viele Jahre mit anderen zusammen Musik machen zu können ist etwas ganz Besonderes und bedeutet mir viel."
Eben erst ist Laura von einer Konzertreise mit Chorleiter Oliver Sperling aus Süddeutschland heimgekehrt. Nach den großen China- und Südafrika-Tourneen vor der Pandemie standen diesmal „nur“ die Kathedralstädte Würzburg, Regensburg, München und Passau auf dem Programm. "Das sind komplett andere Kirchen, auf ihre Weise auch wunderschön", stellt sie fest, "aber der Dom ist doch mehr so etwas wie Heimat – da ist ganz früh eine Bindung entstanden. Schließlich hatte ich hier schon meinen Einschulungsgottesdienst." Entsprechend anders – "aber total spannend" – sei auch das Singen gewesen, schildert die Jugendliche ihre Eindrücke. "Außerdem war die Gruppe diesmal – allein schon coronabedingt – weitaus kleiner als sonst." In letzter Minute habe es noch Absagen wegen Krankmeldungen gegeben. "Schade, weil wir uns doch alle so sehr auf diese Woche gefreut hatten", bedauert Laura.
Wenige Sängerinnen – das bedeute im Umkehrschluss viel mehr Verantwortung für die einzelne Stimme. Schließlich mache es einen großen Unterschied, eine Motette mit mehr als 130 Ensemble-Mitgliedern zu singen, von daher im Zweifelsfall auch auf den Rückhalt der großen Gemeinschaft von Chorkolleginnen zählen zu können, in der ein falscher Ton auch schon mal untergehe. Oder eben eine von nur rund 20 zu sein und dabei die eigene Stimmgruppe würdig vertreten zu müssen.
Erste Solo-Auftritte im Coronajahr 2020
"Der Vorteil ist, dass wir in geringer Zahl viel intensiver miteinander musizieren und noch aufmerksamer aufeinander hören", findet sie. Daran wachse man. Und das sei dann fast so, als sänge jede von ihnen solistisch – wie damals während des Lockdowns. "Da haben wir in den ohnehin schon sehr reduzierten Besetzungen so viel Abstand zueinander halten müssen, dass man komplett auf sich allein gestellt war und seiner Sache schon ziemlich sicher sein musste."
Doch selbst eine solche Herausforderung macht Laura nicht bang. Im Coronajahr 2020 gehörte sie zu den ersten, die von Domkapellmeister Metternich für einen Solo-Auftritt in der Christmette – gemeinsam mit ihrem Bruder Matthias, der im Kölner Domchor singt – gefragt wurden. Damals war der Chorbetrieb gerade auf Null heruntergefahren; Chormitglieder durften allenfalls vereinzelt als Vorsänger auftreten. "Es lässt sich kaum beschreiben, wie das war, in einem gefühlt leeren Dom zu singen und dennoch zu wissen, dass über das Internet viele tausend Menschen aus aller Welt zugeschaltet sind. So etwas kostet Überwindung", räumt Laura ein. "Die Anspannung war enorm, aber nach den ersten zwei Tönen auch sofort weg." Und trotzdem: Das durchgezogen zu haben mache sie auch im Nachhinein noch stolz. "Am Ende war das eine super Erfahrung."
Neben der Mitgestaltung der Liturgie auch noch Opernauftritte
Wie überhaupt die Advents- und Weihnachtszeit mit ihren vielen Konzerten – auch außerhalb des Domes – immer das absolute Highlight des Jahres sei, erklärt Laura. "Da kann es vorkommen, dass ich mehr Zeit mit dem Chor verbringe als mit meiner Familie", lacht die Zehntklässlerin. Zumal in Spitzenzeiten regelmäßig auch noch Opernauftritte dazu kämen, wenn das Staatenhaus bei "Carmen", "Turandot" und "Tosca" oder anderen Projekten auf die bewährte Zusammenarbeit mit den Chorkindern der Kölner Dommusik zurückgreife und dann – wohlgemerkt freiwillige – Extra-Proben über viele Wochen samt der Aufführungen zum ohnehin schon strammen Programm noch on top kämen. Vorausgesetzt, man meldet sich dazu.
Für Laura keine Frage, hier mitzumachen. "Oper ist noch einmal eine komplett neue Welt, weil hier – anders als beim liturgischen Gesang, der mehr dienende und begleitende Funktion hat – eine ganze Geschichte in Musik umgesetzt wird. Außerdem ist der komplexe Backstage-Bereich mit Solisten, Kulisse, Kostümen und Maske total faszinierend; vieles muss man da gleichzeitig im Blick haben. Ein Rädchen greift ins andere. Das erfordert von allen viel Konzentration. Da hineinzuschnuppern genieße ich sehr." Einem Schülerpraktikum in der Oper hat sie daher zuletzt auch noch eine Regiehospitation während der Ferien angeschlossen, bei der sie sich an vielen Stellen nützlich machen konnte – unerwartet souverän zwischen all den Profis. Vor allem aber habe sie seltene Einblicke in die Routineabläufe dieses komplexen Musikbetriebs gewinnen können, wie sie erklärt. "Da war ich ganz in meinem Element."
Nicht von ungefähr träumt die 16-Jährige davon, nach dem Abitur Gesang zu studieren und sich danach fürs Opernfach zu qualifizieren. Talent, die nötige Begeisterung und Fleiß bringt Laura jedenfalls schon mal mit. Seit ihrer Grundschulzeit singt sie und saugt darüber hinaus alles auf, was annähernd mit Musik zu tun hat. Sie nimmt Klavier- und Geigenunterricht, auch Stimmbildung hat sie regelmäßig, so dass eigentlich fast jede Minute des Tages mit Musik ausgefüllt sei, erzählt sie. "Aber ohne Musik kann ich mir mein Leben eben auch gar nicht mehr vorstellen." Damit drücke sie sich aus. "Mal mag ich es wuchtig und dramatisch, mal eher leicht und verspielt – je nach Stimmung." Auch im Dom reiche die Klaviatur ja von bis. Mit einem erst allmählich anschwellenden "Kyrie" oder "Agnus dei" kämen die leisen Töne ja genau so vor wie ein brausendes Oster-Halleluja in voller Dröhnung. "In der Musik erlebt man ständig ein Wechselbad der Gefühle. Es gibt so vieles, bei dem mir mein Herz aufgeht. Und am allerschönsten ist es, wenn der Dom ganz voll ist."
An den Chortagen Montag und Freitag ist Laura normalerweise von 8 bis 19 Uhr unterwegs. "Hausaufgaben muss ich dann irgendwie zwischendurch erledigen. Das kann schon mal stressig sein. Dafür treffe ich im Lindenthaler Chorzentrum meine Freundinnen, die ich schon seit der 1. Klasse aus der Domsingschule kenne." Von daher empfinde sie die Proben auch nicht als Pflichtübung. Im Gegenteil: "Während der Pandemie haben wir diese feste Struktur sehr vermisst. Und online proben ersetzt nicht die Live-Begegnung. Denn uns alle verbindet dieser riesige Spaß am Singen, wobei die unmittelbare Gemeinschaftserfahrung unbedingt dazu gehört." Musik sei ihr Rückzugsort. Und Musik stecke voller Überraschungen. "Da gibt es für mich auf Dauer noch viel zu entdecken."
Als erfahrenes Chormitglied den Jüngeren Sicherheit geben
Auf dem Chorpodest ist Laura im Laufe der Jahre von der ersten in die letzte Reihe gerückt, was mit dem Alter zu tun hat. Inzwischen gehört sie innerhalb des Ensembles dem Xtra-Chor, der Gruppe ab der 10. Klasse, an und zählt damit zu den tragenden Säulen im Sopran I. "Als Zehnjährige habe ich ganz vorne angefangen", erinnert sie sich, "mit der Zeit rutscht man dann automatisch nach hinten und merkt, wie man in diesem Chor regelrecht groß wird und immer mehr Verantwortung für das große Ganze bekommt." Denn inzwischen sei es ihre Aufgabe, den Jüngeren im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken zu stärken und ihnen als erfahrenes Chormitglied bei neu einstudierten Werken Sicherheit zu geben.
"Diese gestaffelte Aufstellung macht schon Sinn. Und auch, dass jeder einen festen Nachbarn hat, auf den er sich, verpasst man mal den Einsatz, verlassen kann. Ist der Chor vollzählig, stehen wir in Nicht-Coronazeiten auf dem Podest ja manchmal dicht gedrängt: Schulter an Schulter." Doch selbst das schütze in den kalten Wintermonaten, wenn mitunter sogar das Wasser in den Weihwasserbecken gefriere, nicht vor den gefürchtet tiefen Temperaturen. "Auch mit fünf Pulli-Schichten übereinander wird man früher oder später zum Eisblock", lacht Laura. "Nur anmerken lassen darf man sich das nicht. Ein stimmiges Gesamtbild abgeben, zu dem neben Können auch eine gehörige Portion Disziplin gehört, ist schon wichtig." Schließlich sei der Chor übers Domradio an jedem zweiten Sonntagmorgen in tausenden von Wohnzimmern zu Gast.