Die Allianz von Brasiliens Landlosen mit Präsident Lula bröckelt

Freundschaft in der Krise

Über Jahrzehnte ist sie gewachsen, die Allianz zwischen Brasiliens Landlosenbewegung und Präsident Lula da Silvas Arbeiterpartei "Partido dos Trabalhadores". Doch jetzt ist die Freundschaft in der Krise, die Allianz bröckelt.

Autor/in:
Thomas Milz
 (DR)

Zum einen konnte die Regierung einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Finanzen des "Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra" (MST) nicht verhindern; selbst PT-Politiker gingen klar auf Distanz zu der Landlosenbewegung. Zum anderen erregt Lulas Agrarpolitik den Zorn der Aktivisten. Der Präsident versucht sich aus den Streitigkeiten herauszuhalten, aber das gelingt ihm nicht immer.

Die jüngste Verstimmung ereignete sich Anfang Februar. Präsident Lula hatte angekündigt, ein MST-Camp im Bundesstaat Sao Paulo zu besuchen. Am gleichen Tag wollte Lula auch auf einer nahe gelegenen Zuckerrohrplantage vorbeischauen. Laut MST jedoch ist die Plantage illegal auf geraubtem Staatsland errichtet worden. Verärgert ob Lulas unglücklicher Terminkoppelung rief der MST zum Boykott des Präsidentenbesuches auf.

Zudem wird das von Lula ausgewählte Camp von einem militanten Aktivisten geleitet, der vom gemäßigten MST-Flügel aus der Bewegung verstoßen wurde. Lula würdige mit seinem Besuch einen radikalen Dissidenten, während die legitimen und moderaten Vertreter der Bewegung vor den Kopf gestoßen würden, so ein lokaler MST-Führer.

Brennpunkt der Landkonflikte
Das Hinterland Sao Paulos hat sich zu einem Brennpunkt der Landkonflikte entwickelt. Im Oktober 2009 hatte der MST hier eine besetzte Orangenplantage zerstört; die Aktivisten klagten, die Plantage sei widerrechtlich auf Staatsland errichtet. Sie forderten die Enteignung - und begannen schon einmal mit der Rodung. Angesichts der Bilder von roh umgehauenen Orangenbäumen sank die öffentliche Unterstützung für die Landlosenbewegung auf einen historischen Tiefststand. Selbst Vertreter der Arbeiterpartei verurteilten die Aktion als "barbarisch".

Anfang Januar erließ die Justiz des Bundeslandes Sao Paulo wegen der "Orangenbaum-Affäre" Haftbefehle gegen mehr als 50 Aktivisten. Die meisten konnten dem Zugriff entkommen, doch 20 von ihnen sind seither in Haft - der MST nennt sie "politische Gefangene". Für den MST ist es ein Komplott von Medien, Agrarlobby, Justiz und Teilen der politischen Elite Brasiliens. Man wolle die Bewegung und den Kampf für eine Agrarreform "kriminalisieren und stigmatisieren".

Schon vorher war der MST unter Beschuss geraten. Die Opposition, Vertreter der Agrarlobby und sogar ein Oberster Richter kritisierten öffentliche Zuwendungen für Nichtregierungsorganisationen im Umfeld der Bewegung. Sie sprachen von einer verdeckten staatlichen Finanzierung der Landbesetzungen. Die Regierung konnte die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses lediglich verschleppen. Nach Karneval soll dieser nun seine Arbeit aufnehmen. Erfreuliches für den MST und die Regierung ist dabei kaum zu erwarten.

Lula rudert zurück
Schon lange ist die Landlosenbewegung mit der Lula-Regierung unzufrieden. "Langsamer als eine schlafende Schildkröte" käme die Agrarreform voran, soll MST-Führer Joao Pedro Stedile kürzlich einem Journalisten gesagt haben - öffentlich wiederholen wollte er das nicht. Auch Stedile weiß, dass er die Regierung Lula nicht zu sehr ärgern darf, um nicht der Opposition weiteren Zündstoff für den anstehenden Wahlkampf zu liefern.

Präsident Lula rudert zurück. Den ursprünglich für Donnerstag geplanten Besuch im MST-Camp sagte er kurzfristig ab, genau wie den in der Zuckerrohrplantage. Lula habe das Signal verstanden, urteilten Kommentatoren. Im Wahljahr 2010, in dem es um seine Nachfolge geht, kann er es sich nicht erlauben, die Diskrepanzen zwischen der seiner Partei und der Landlosenbewegung eskalieren zu lassen.

Einziger Trost für den Präsidenten dürfte sein, dass der voraussichtliche Oppositionskandidat, Sao Paulos Gouverneur Jose Serra, den Zorn des MST derzeit voll abbekommt. Die von ihm eingeleitete Verhaftungswelle gegen MST-Aktivisten brachte auch PT-Politiker hinter Gitter. Das könnte die wackelige Allianz zwischen Lula und den Landlosen vielleicht kitten helfen.