Hagencord zu 10 Jahre Institut für Theologische Zoologie

"Die Amtskirche fühlt sich fremd mit dem Thema"

Vor zehn Jahren gründete der Theologe Rainer Hagencord in Münster das weltweit bislang einzige Institut für Theologische Zoologie. Er fordert eine Agenda zur Umsetzung von "Laudato si'". Denn bisher fremdele die Kirche immer noch mit dem Umweltschutz.

Tier-Theologe Rainer Hagencord (l.) mit Esel / © Benedikt Plesker (KNA)
Tier-Theologe Rainer Hagencord (l.) mit Esel / © Benedikt Plesker ( KNA )

KNA: Herr Hagencord, Sie sind vor zehn Jahren angetreten, innerhalb der Theologie einen Bewusstseinswandel mit Blick auf die Tiere zu erreichen. Sehen Sie ihn?

Rainer Hagencord (Theologe und Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster): Zumindest gesellschaftlich hat sich in den zehn Jahren Grundlegendes getan. Das Phänomen "Fridays for Future" ist sicherlich eine Facette eines größeren gesellschaftlichen Wandels. Wenn ich aber den Blick in die Kirche werfe, bin ich immer noch ernüchtert, an manchen Stellen sogar entsetzt, in welcher Weise hier eine anthropozentrische Theologie weitergeführt wird, die die ökologische Katastrophe nicht wahr- oder ernst genug nimmt.

KNA: Man sollte denken, dass die Umweltenzyklika "Laudato si'" 2015 dazu beigetragen hat, die Sensibilität für das Thema zu erhöhen...

Hagencord: Leider nein, die Amtskirche fühlt sich fremd mit dem Thema. Das Paradoxe ist: Außerhalb der Kirchen, im säkularen Umfeld, wird diese Enzyklika sehr wohl wahrgenommen und geschätzt. Sie stärkt und stützt viele Menschen, die sich leidenschaftlich für den Erhalt der Schöpfung und Geschöpfe einsetzen. Es ist schon kurios, dass da Leute von außen kommen müssen und sagen: Ihr habt da doch diese großartige Enzyklika. Was tut Ihr eigentlich damit?

KNA: Und in der Kirche wird sie ignoriert?

Hagencord: Ökologie und die ökologische Katastrophe werden nur in der Sozialethik, und da unter ferner liefen verhandelt. Dabei ruft der Papst zu nichts Geringerem als einem fundamentalen Paradigmenwechsel auf: zu einer ökologischen Spiritualität und Erziehung. Damit würde die gesamte Theologie in eine andere Richtung laufen. Diese Botschaft ist noch nicht angekommen - weder in der Schultheologie noch in den Gemeinden vor Ort oder in der Bischofskonferenz.

KNA: Das alles braucht vielleicht einfach Zeit...

Hagencord: Zeit, die wir nicht haben. Mich hat vor einiger Zeit entsetzt, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz und der Vorsitzende des Evangelischen Rates der Kirchen nach Rom gereist sind, um darüber nachzudenken, ob evangelische Christen zur Eucharistie zugelassen werden. Ich habe mich gefragt: Warum fahren die beiden nicht endlich nach Rom, um mit dem Papst darüber nachzudenken, was die reichste Kirche der Welt tun kann, um der ökologischen Katastrophe zu begegnen? Anders ausgedrückt: Warum wird nicht endlich eine Agenda formuliert, wie wir "Laudato si" umsetzen können? Die Enzyklika bietet dafür eine sehr gute Grundlage.

KNA: Ist die Basis weiter?

Hagencord: Unbedingt. Die Menschen in den Gemeinden warten förmlich darauf. Deshalb gehört das Thema Natur- und Tierschutz dringend in katechetische und religionspädagogische Felder. Was hält die Kirchen eigentlich davon ab, im Religionsunterricht - in kirchlichen Schulen auch in anderen Fächern - junge Menschen in ihrem Engagement bei "Fridays for Future" zu unterstützen?

KNA: Können Sie andere Beispiele nennen?

Hagencord: Die Kirche muss auch das Thema Ernährung angehen. Wenn ich bedenke, wie viele Kantinen, Kitas, Kindergärten, Krankenhäusern alleine hier in Münster in kirchlicher Hand sind, dann frage ich mich schon: Wieso gibt es keine Allianzen der Kirchen mit Landwirten, die ökologisch arbeiten und eine verantwortungsbewusstere Tierhaltung an den Tag legen? Und warum wird dort nicht viel mehr vegetarisches Essen angeboten?

KNA: Warum fällt es aus Ihrer Sicht vielen Menschen - auch Kirchenleuten - so schwer, Tiere als Mitgeschöpfe Gottes zu sehen und entsprechend zu handeln, indem sie etwa ihre Ernährung umstellen?

Hagencord: Wer sich heute für eine größere Würdigung der Tiere stark macht, der betritt sehr schnell das heikle Feld von industrieller Landwirtschaft, Tierhaltung und den dort vorhandenen Lobbies und Machthabern. Hier im Münsterland gibt es keinen Pfarreirat oder Kirchenvorstand, wo nicht ein Landwirt mitarbeitet. Das Anliegen der theologischen Zoologie stößt Landwirte vor den Kopf, sie fühlen sich diskreditiert. Zudem stehen Landwirte heute unter einem enormen wirtschaftlichen Druck - und dann kommt noch die Kirche daher, die ihnen in ihre Arbeit reinreden will. Viele Kirchenleute schrecken deshalb vor einer Auseinandersetzung mit dem Thema zurück.

KNA: Liegt es nicht auch an der Idee von der besonderen Stellung des Menschen in der Schöpfung, die man nicht aufgeben will?

Hagencord: Ich frage mich, warum wir noch immer dem Anthropozentrismus verhaftet sind. Wir reden von einem Gott, der ausschließlich den Menschen liebt, ihn mit einer unsterblichen Seele ausgestattet und in den Himmel kommen lässt. Diese Theologie ist für mich hoch fragwürdig, letztlich sogar wissenschaftsfeindlich und blasphemisch. Die Evolutionsgeschichte lehrt uns, dass der Mensch ein Geschöpf wie jedes andere ist. Wie kann die Theologie das leugnen und den Schöpfer allen Lebens verzwergen?

KNA: Eine unbequeme These, mit der Sie an den Grundfesten des Glaubens rütteln...

Hagencord: In der Theologie dreht sich seit jeher alles um zwei große Themen: Schöpfung und Erlösung. Die Theologie fragt, wie wir die göttliche Wirklichkeit in der Natur, in den Tieren, in der Welt der Pflanzen erleben können. Und es geht um die Frage: Wo erleben wir Gott als befreiend und als Erlöser? Bei diesen großen Themen kam es in der Theologie zu einer dreifachen Vereinfachung.

KNA: Nämlich?

Hagencord: Zunächst wurde allgemein von Erlösung gesprochen. Später war nur noch von der Erlösung des Menschen die Rede, und schließlich redet man nur noch von der Erlösung der Seele des Menschen. An diesem Punkt ist die Kirche heute: Sie sagt, dass uns Menschen das Heil zusteht und dass wir deshalb die Sakramente benötigen. Die Vollmacht, diese zu spenden und die Deutungshoheit über die Lebensführung von Menschen liegt damit bei einer männlich hierarchisch dominierten Kirche.

Letztendlich steht hier die Machtfrage im Raum. Denn wenn die Kirche hingehen und sagen würde, dass uns Gott ganz unmittelbar auch in der Natur - in Tieren und Pflanzen - begegnet und wir ohnehin mit ihm verbunden sind, dann braucht es keine Hierarchie und schon gar keine männlich dominierte Kirche mehr. Unter der Ignoranz der Theologie verbirgt sich ein sehr tief gehendes, subkutanes Thema. Deshalb vermeidet es die Kirche, eine andere Theologie zu etablieren.

Das Interview führte Angelika Prauß.


Dr. Rainer Hagencord, Institut für Theologische Zoologie in Münster / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Dr. Rainer Hagencord, Institut für Theologische Zoologie in Münster / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA
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