Tierrechtler zu Fipronil-Skandal in Hühnereiern

"Warten auf ein Fukushima in der Landwirtschaft"

Es ist wieder ein Lebensmittelskandal, der die Republik erschüttert. Das Schädlingsbekämpfungsmittel Fipronil in Hühnereiern verunsichert die Verbraucher. Der Theologe und Tierrechtler Rainer Hagencord reagiert mit deutlichen Worten.

Hühnereier in Paletten / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Hühnereier in Paletten / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

DOMRADIO.DE: Waren Sie überrascht von dem neuerlichen Lebensmittelskandal?

Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster): Ehrlich gesagt nicht. Denn es ist ja eine Erfahrung der letzten Jahre, dass Lebensmittelskandale auftauchen und dann meist die Politik in Maßnahmenkatalogen agiert oder reagiert. 

Aber das Grundsatzproblem, wie wir mit den Tieren in der Haltung umgehen, wird nicht angegangen. Da liegt meines Erachtens das Problem.

Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello

DOMRADIO.DE: Wir hatten schon Dioxin im Hühnerfleisch, Gammelfleisch und Pferdefleisch, Ehec im Gemüse oder Antibiotika in der Schweinemast. Die Liste der Lebensmittelskandale ist scheinbar unendlich lang. 

Müssen wir nicht der Tatsache ins Auge blicken, dass es eher die Regel als die Ausnahme ist, dass sich in unserem Essen Dinge befinden, die da eigentlich nicht reingehören?

Hagencord: Das ist die wahrscheinlich naheliegende Reaktion, die Verbraucherinnen und Verbraucher an den Tag legen müssten. Was mir seit langem in den Sinn kommt, ist etwas zynisch formuliert, dass es wahrscheinlich ein Fukushima in der Landwirtschaft benötigt. 

Das heißt, wir haben auch im Blick auf die Atomenergie, die ebenso hochgradig krisenbehaftet ist, dieses entsetzliche Ereignis in Japan gebraucht, um dann relativ schnell ein ganzes System infrage zu stellen, von dem man vorher glaubte, das ginge nicht und man brauche doch die Atomenergie.

Der Zyniker in mir sagt dann, jetzt warten wir auf ein Fukushima der Landwirtschaft, dass tatsächlich einmal viele Menschen aufgrund dieses unsäglichen Verhaltens und dieser unsäglichen Lebensbedingungen von Schweinen, Puten, Hühnern und Rindern, die wir essen, sterben. Wahrscheinlich muss das erst passieren.

DOMRADIO.DE: Machen Sie da auch der Politik einen Vorwurf, in der Vergangenheit zu lasch auf solche Lebensmittelskandale reagiert zu haben?

Hagencord: Ich denke an die ehemalige Landwirtschaftsministerin Frau Aigner und jetzt Herrn Schmidt, die ja gleichzeitig Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin und Minister war beziehungsweise ist und diesem doppelten Anliegen nicht gerecht werden. Mir kommt es so vor, als würden die beiden die Lobby des Bauernverbandes oder noch weitergehend die Lobby der Fleischindustrie vertreten. Das ist meine Wahrnehmung. 

Wenn ich das System der industriellen Tierhaltung anschaue, dann entdecke ich ein System, das letztendlich nur Verlierer produziert. Dazu gehören die Landwirtinnen und Landwirte, die Menschen, die in Schlachthöfen arbeiten, der Boden, das Klima, die Würde der Tiere. 

Die Gewinner sind die Fleisch- und auch die Pharmaindustrie. Die verdienen sich an diesem System dumm und dämlich.

DOMRADIO.DE: Wie kann die Kirche mithelfen, dass sich diese Zustände ändern?

Hagencord: Die katholische Kirche hat zunächst durch die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus, die vor zwei Jahren erschienen ist, enormen Rückenwind bekommen. Hier gibt es eine eindeutige Option für nachhaltige, ökologische Landwirtschaft. 

Theologisch interessant ist auch, dass der Papst vom Eigenwert der anderen Geschöpfe spricht, die nicht für uns da sind. Das gilt natürlich auch für Puten, Schweine, Hühner und Rinder.

Hier müsste ein Umdenken erfolgen. Das hätte zunächst Folgen auch für den Bildungsauftrag der Kirche und der Kirchen, also in den Feldern Religionsunterricht, Erstkommunion und Firmung das Thema zu platzieren und auch in einer Tiefenschärfung daran zu gehen, die Würde der Tiere stark zu machen und den Schöpfungsauftrag zu verstärken.

Der andere Punkt ist meines Erachtens sehr praktisch und naheliegend. Wenn man in jedem Bistum schaut, wie viele Kantinen in kirchlicher Hand sind - in Altenheimen oder Kindergärten - dann könnte doch das Bistum oder eine Gemeinde das angehen und nur noch Fleisch und Eier aus ökologischer, nachhaltiger Produktion anbieten. Das wäre nicht nur ein Zeichen, sondern da könnte gesellschaftlich wirklich etwas in Bewegung kommen.

DOMRADIO.DE: Und man könnte immer ein Stückchen "Laudato si" mit auf den Tisch legen...

Hagencord: Das wäre doch wunderbar. Da sind so schöne Gebete in der Enzyklika enthalten. Die eignen sich auch als Tischgebet.

DOMRADIO.DE: Nach jedem Lebensmittelskandal greifen die Verbraucher plötzlich vermehrt zu Bio-Lebensmitteln und essen bewusster. Aber schon nach einigen Wochen ist die Sorge um das Essen verpufft. Warum hält dieses Bewusstsein immer nur so kurz?

Hagencord: Das ist ja fast zirkulär. Das hat auch mit einer nicht agierenden Politik zu tun, dass uns nach einem Skandal suggeriert wird, es sei alles nicht so schlimm und man bekomme alles wieder in den Griff.

Dann gibt es meist zehn Punkte, die da formuliert werden und es geht so weiter, anstatt wirklich die Dramatik aufzuzeigen und von der Politik her einen Kurswechsel zu markieren, sodass Verbraucherinnen und Verbraucher sich langsam daran gewöhnen. So kommt mir das vor. Zudem kommt von Verbraucherseite auch zu wenig Druck auf die Politik.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Wie teuer Lebensmittel eigentlich sein müssten

Seit Montag verlangt der Discounter Penny für neun seiner mehr als 3.000 Produkte eine Woche lang die "wahren Preise" – also den Betrag, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste. Die Produkte vom Käse bis zum Wiener Würstchen werden dadurch um bis zu 94 Prozent teurer, wie die Handelskette mitteilte. Die Mehreinnahmen will die zur Rewe-Gruppe gehörende Kette für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum spenden.

Produkte deren Preis mit den verdeckte Kosten angepasst wurden, liegen an der Kasse / © Oliver Berg (dpa)
Produkte deren Preis mit den verdeckte Kosten angepasst wurden, liegen an der Kasse / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
DR