Bischof Stephan Ackermann wollte sich in seinem Bistum – das war ihm stets wichtig – an die gemeinsame Erklärung der Bischofskonferenz halten. Die war auch von ihm mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung ausgehandelt worden, um Missbrauch strukturell aufzuarbeiten. Der Nachteil: Es dauerte.
Die Erklärung wurde 2020 verabschiedet, im Sommer 2021 startete die Aufarbeitungskommission in Trier. Andere Bistümer waren zu diesem Zeitpunkt deutlich weiter.
Zwei längerfristige Studien für die Aufarbeitung
Die bisherige Entwicklung lässt erkennen, dass die Diözese auch 13 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in Deutschland noch dazulernt. Manches könnte besser laufen – insbesondere der Umgang mit Betroffenen und die Kommunikation. Auch staatliche Behörden machten nicht die beste Figur.
Nun soll die Trierer Aufarbeitungskommission bis spätestens 2027 einen umfassenden Abschlussbericht veröffentlichen. Dafür beauftragte sie zwei längerfristige Studien: eine psychologische und eine historische. Seit Februar arbeiten Psychologen an mehreren Forschungsprojekten.
Zum einen geht es um Merkmale institutionellen sexuellen Missbrauchs. Dann aber um die Fragen: Wie suchten Betroffene Hilfe? Welche Folgen hatte sexuelle Gewalt? Wie wurden traumatische Missbrauchserfahrungen an Kinder weitergegeben? Aber auch: Wie ging das Bistum mit Betroffenen und Beschuldigten um? Dazu analysieren die Forscher unter anderem die Kommunikation zwischen Betroffenen und Bistum, sprechen mit Betroffenen, deren Kindern sowie mit Beschuldigten.
Heute wichtige Verantwortungsträger noch nicht im Blick
Parallel untersuchen Historiker Akten und sprechen mit Zeugen. Es geht darum, Betroffene und Beschuldigte zu finden sowie Missbrauch begünstigende Strukturen von 1946 bis in die Gegenwart auszumachen. Dabei werden die Amtszeiten der Bischöfe nacheinander abgearbeitet. Ein erster Teilbericht wies Bischof Bernhard Stein (Amtszeit 1967-1981) täterschützendes Verhalten nach.
Im Januar kommt ein weiterer Teilbericht zur Ära von Bischof Hermann Josef Spital (1981-2001), der interessant werden dürfte. Anschließend folgen die Amtszeiten der Bischöfe Reinhard Marx und Stephan Ackermann. Betroffene kritisieren, mit dieser Reihenfolge würden die Amtszeiten heute wichtiger Verantwortungsträger erst spät in den Blick genommen. Und Betroffene könnten die Aufarbeitung möglicherweise nicht mehr erleben.
Betroffenenorganisation begegnet Aufarbeitung mit Skepsis
Mit dem Verein Missbit (Missbrauchsopfer und Betroffene im Bistum Trier) gibt es in der Diözese eine vergleichsweise große und gut vernetzte Betroffenenorganisation. Der Verein begegnet der Aufarbeitung im Bistum mit Skepsis. Ackermann habe durch Äußerungen und Handeln "Vertrauen verspielt", sagt Missbit-Sprecher Hermann Schell. Missbit befürchtet vor allem, dass der Abschlussbericht der Aufarbeitungskommission unkonkret bleiben könnte.
Die Aufarbeitungskommission ihrerseits kritisierte in einem Zwischenbericht im November eine unangemessene und wenig empathische Sprache des Bistums gegenüber Betroffenen. Deutlich bemängelte sie darüber hinaus die Aktenführung im Bistum: Die sei bis in die jüngste Zeit "unübersichtlich, wenn nicht gar mangelhaft".
Für Schlagzeilen – und Kopfschütteln – sorgten zuletzt drei komplexe Fälle: Ein inzwischen strafrechtlich und kirchenrechtlich verurteilter Priester aus dem Saarland. Der Umgang mit der Betroffenen "Karin Weißenfels". Und der Fall des unter Missbrauchsverdacht stehenden Priesters Edmund Dillinger.
Kritik an der Staatsanwaltschaft im Fall Dillinger
Den Dillinger-Fall rollen zwei ehemalige Staatsanwälte als Sonderermittler auf. Sie zogen am 13. Dezember in einem zweiten Bericht ein ernüchterndes Fazit: Es bestehe "die Gefahr, dass die Aufarbeitung insgesamt Stückwerk bleibt". So kritisierten die Sonderermittler die von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken angeordnete und vollzogene Vernichtung zahlreicher Unterlagen – insbesondere von Jahresterminkalendern Dillingers aus rund vier Jahrzehnten.
Dass die ab 1967 vorliegenden Kalender Dillingers vernichtet worden seien, sei ein "herber, in seinen Ausmaßen nicht abzuschätzender Verlust für die Aufarbeitung". Die vorhandenen "Restakten" seien für die Aufarbeitung eines von Dillinger verübten sexuellen Missbrauchs "ohne Erkenntnisgewinn", hieß es. Dies gelte erst recht für eine mögliche Beteiligung an einem Ring von Sexualstraftätern.
"Wir hoffen weiterhin, dass sich Betroffene an uns wenden", so die Sonderermittler. "Insgesamt haben wir bisher 6 Interviews mit Betroffenen und 26 Interviews mit Zeitzeugen geführt", berichteten sie. Inzwischen seien 9 Betroffene namentlich bekannt. Zudem seien "auch alle jungen Menschen, die D. in sexualbetonten Posen ablichtete, Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden", so die Sonderermittler. Deren Zahl lasse sich "nicht seriös abschätzen".
Schmerzensgeld-Urteil gegen Bischof Ackermann
Darüber hinaus bleibt der Fall "Karin Weißenfels" virulent. Die Frau erstritt vor dem Arbeitsgericht Schmerzensgeld. Ackermann hatte den richtigen Namen der unter dem Pseudonym bekannten Missbrauchsbetroffenen und Bistumsangestellten in einer Online-Veranstaltung mit rund 40 Bistumsangestellten genannt.
Bewusst, wie das Arbeitsgericht Trier im Herbst festhielt und den Bischof zur Zahlung von 20.000 Euro Schmerzensgeld verurteilte.
Der Fall "Weißenfels"
Die Frau hatte unter Pseudonym von geistlichem Missbrauch und vielfacher sexueller Gewalt durch einen Priester seit den 1980er bis in die 2000er Jahre berichtet. Sie gibt an, von einem ihr vorgesetzten Priester schwanger geworden und von ihm und einem weiteren Priester zu einer Abtreibung gedrängt worden zu sein. Weißenfels sieht Verantwortlichkeiten in ihrem Fall bis heute nicht richtig benannt und die Priester geschützt.
Ein Gutachten von Anfang 2023 bescheinigt ihr eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung. Weißenfels sagt, sie wolle, dass Verantwortliche Verantwortung für Fehler übernehmen. Für sie bedeutet das auch zu wissen, wer wann was über ihren Fall wusste, wie handelte, ob Entschuldigungen ernst gemeint oder zweckdienlich waren. Es sei für sie verharmlosend, dass ihre Missbrauchsgeschichte von kirchlichen Verantwortungsträgern Beziehung genannt wurde.
Umso wichtiger ist für Weißenfels die offizielle Anerkennung als Opfer sexuellen Missbrauchs durch die Aufarbeitungskommission im Jahr 2022. Dort heißt es, dass ihr "in vielfacher Hinsicht durch sexuellen Missbrauch Unrecht geschehen ist" und dass sie eine lange, bis heute anhaltende Leidensgeschichte ertragen musste.
Auf dieser Basis hat Weißenfels in Anerkennung ihres Leids eine vergleichsweise hohe Zahlung erhalten. Sie streitet für ihre Rechte, innerkirchlich – und wenn sie dort nicht weiterkommt vor Gericht. Dafür nimmt sie hohe Anwalts-Ausgaben und Kommentare in Sozialen Medien in Kauf, die ihr nachsagen, es gehe ihr nur um Geld.
Chancen und Probleme kirchlicher Aufarbeitung
Ihr Fall sowie jener eines Priesters aus dem Saarland offenbaren Chancen kirchlicher Aufarbeitung wie auch Probleme. Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken gegen den Priester wurde möglich, weil im kirchenrechtlichen Verfahren ein neuer, nicht verjährter Vorwurf aufkam und angezeigt wurde. Auch das Kirchengericht befand den Mann für schuldig und erließ die kirchliche Höchststrafe, die Entlassung aus dem Klerikerstand.
Allerdings dauerte das Verfahren fünf Jahre. Und kam zu spät. Das Bistum hätte 2006 Hinweisen auf Anschuldigungen gründlicher nachgehen müssen. Das passierte aber erst Jahre später. Nach langem Warten für Betroffene erkannte das Bistum mit dem Urteil nun nicht nur die fünf im kirchlichen Verfahren berücksichtigten Fälle, sondern auch weitere Personen als Betroffene des früheren Pfarrers an.
Missbit wünscht konkrete Auseinandersetzung mit Fehlverhalten
Missbit wünscht sich darüber hinaus, dass Bischof Ackermann eigenes Fehlverhalten konkret benennen solle. Mit dem Fall aus dem Saarland waren zu Trierer Zeiten die heutigen Bischöfe Ackermann, Marx und Georg Bätzing befasst. In einer Presseerklärung der Bistümer dazu ist allgemein die Rede davon, dass Fehler passiert seien.
Unabhängig davon könnten auf das Bistum Trier in den kommenden Monaten Klagen zukommen. So bereitet Missbit eigenen Angaben zufolge mit Betroffenen entsprechende Schritte für voraussichtlich Mitte 2024 vor. Sie orientieren sich an einer Entscheidung des Kölner Landgerichts, das einem Betroffenen 300.000 Euro Schmerzensgeld zusprach.