ZdK-Präsident Sternberg spricht in St. Peter

"Die Bibel ist ein Weltkulturerbe ersten Ranges"

Glaube und Kultur, Kirche und die Künste werden auch in einem postchristlichen Europa ihren Platz behalten. Davon ist der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, zutiefst überzeugt.

Professor Dr. Thomas Sternberg referiert über die kulturprägende Kraft des Christentums. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Professor Dr. Thomas Sternberg referiert über die kulturprägende Kraft des Christentums. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die bläulich-transparente Installation aus Acrylfasern, die hoch im Kirchenraum zu schweben scheint und den bezeichnenden Titel "Biologie des Glücks" trägt, bietet – wenn auch unbeabsichtigt – so etwas wie einen ermutigenden Ausblick auf das, was an diesem Vormittag in der Kölner Kunststation St. Peter dran ist: nämlich nicht – wie sonst mittlerweile vielerorts üblich – einen Abgesang auf die abendländische Kultur im Allgemeinen oder auf die kulturprägende Kraft des Christentums im Besonderen anzustimmen. Sondern eher im Gegenteil: Da äußert sich jemand, der den aktuellen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kirche in Bezug auf die Präsenz des Christlichen durchaus noch Konstruktives abgewinnt und seiner Überzeugung Ausdruck gibt, dass beide Kirchen vor allem aufgrund ihrer langen Tradition wichtige kulturelle Akteure bleiben und auch in Zukunft weiterhin wesentlich zum kulturellen Leben in Deutschland beitragen werden. Es ist Professor Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der im Rahmen des ND-Jubiläumskongresses vor einem mit mehreren hundert Teilnehmern gefüllten Auditorium im Altarraum der Jesuiten-Kirche spricht und wohltuende Zuversicht verbreitet.

Das Kulturerbe des Christentums prägt Europa

Doch zunächst stellt er seinen Ausführungen nackte Fakten voran: Derzeit leben in der Europäischen Union 512 Millionen Menschen, von denen mehr als die Hälfte Katholiken sind. 66 Prozent gehören einer christlichen Glaubensgemeinschaft an; der Anteil der Muslime beträgt drei Prozent. Auf dieser Grundlage betont der Referent scheinbar Selbstverständliches: "Das Kulturerbe des Christentums prägt unser Land und Europa. Es ist aus der europäischen Landschaft nicht fortzudenken. Die Architektur seiner Kirchen, Kathedralen, Klöster und Sozialeinrichtungen, die Bildende Kunst, die geistliche Musik, Literatur, Theater und Film sind unübersehbare Belege hierfür." Ohne ihre religiösen Wurzeln sei die Kultur Europas nicht zu verstehen. "Ihre Grundlage ist die Bibel. Sie ist ein Weltkulturerbe ersten Ranges", unterstreicht Sternberg. Die kulturellen Leistungen gehörten zum wertvollsten Besitz Europas und bestimmten seine Identität.

Bildende Kunst wurzelt in der Interpretation der Bibel

"Zu den wichtigsten christlichen Kulturleistungen gehören in Geschichte und Gegenwart die Liturgie und Frömmigkeitsformen sowie deren künstlerische Gestaltung", lautet eine darauf fußende Feststellung Sternbergs. Gerade die Bildende Kunst habe von Beginn an symbolische und erzählende Bilder in der Interpretation der Bibel entwickelt. Im Verlauf der Kunstgeschichte seien dann selbst in der Ablösung einer "profanen" Kunst Anklänge an die christliche Ikonografie präsent geblieben, was bis in die Moderne mit ihren Neuformulierungen der christlichen Thematik Gültigkeit habe. Dasselbe, so der Repräsentant des höchsten kirchlichen Laiengremiums, gelte für die Kunstmusik Europas, deren Anfänge aus der Liturgie entstanden seien: aus der Rezitation liturgischer Texte. Überhaupt sei die deutsche Sprache eng mit der Bibel verbunden. Bis heute zeuge eine Fülle von Redewendungen – wie die "Hiobsbotschaft" oder "in Abrahams Schoß" – von ihren biblischen Wurzeln. "Religiöse Vorstellungen prägen Verhalten und Denken. Religion ist nicht mit Kultur identisch, aber die Kultur basiert auf religiösen, in Europa vor allem christlichen Grundlagen", was in der Alltagskultur mit der Ordnung des Jahreskreislaufs und seinen Festen und Bräuchen ablesbar sei, konstatiert der Geisteswissenschaftler. "Verhaltensweisen werden bestimmt, ohne dass es noch eine feste Bindung an die Grundlagen gäbe."

Beitrag des Judentums als eigenständiger Kulturfaktor

Dann erinnert er daran, dass zum kulturellen Erbe Deutschlands über alle Jahrhunderte auch der Beitrag des Judentums gehört habe, das immer ein eigenständiger Kulturfaktor geblieben sei, sowie das "Gegenüber zur islamischen Welt", das in der Geschichte keineswegs allein in Abgrenzung, sondern im Sinne gegenseitiger Befruchtung wahrgenommen worden sei.

Schließlich zitiert Sternberg Papst Franziskus, der anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Internationalen Karlspreis 2016 in Rom drei wesentliche Fähigkeiten Europas benannt hatte: die zur Integration, zur Kreativität und zum Dialog, der eine ganze Kultur des Austauschs bestimmen und zu einer gerechteren Gesellschaft führen müsse. "Ein solcher Zugang zur Frage der europäischen Identität fragt nicht nach dem materialen Gehalt christlicher Ausprägungen, sondern nach der Qualität und der Art der zugrunde liegenden Haltungen", so die Einschätzung Sternbergs.

Was ist das spezifisch Christliche?

Der christliche Glaube, das spezifisch Christliche, zeige sich vor allem in der Vorstellung von der Personenwürde jedes Menschen unabhängig von seiner Leistung: in der damit zusammenhängenden Individualität und in der sozialen Verantwortung gegenüber jedem über die eigene Gruppe hinaus. "Die christliche Geschichte Europas ist keineswegs eine ‚Chronique Scandaleuse’, so wie sie sicher auch keine stringente Verwirklichung christlicher Ideale ist", erklärt Sternberg. "Aber über das Christentum wurden humane Impulse gesetzt, die zu bewahren sind." So sei der barmherzige Samariter mit der Hilfeleistung des Fremden für Fremde ein zentrales Narrativ der europäischen Sozialgeschichte. Trotzdem sei es nicht allein der christlich motivierte Sozialdienst, der zum Kern europäischen Selbstverständnisses gehöre. "Es ist ganz allgemein die Auffassung des Lebens als Dienst für andere."

Forderung nach einer internationalen Gerechtigkeit

Zum kulturellen Erbe Europas gehörten die Auffassungen von Humanität und Menschenwürde, auch eine prinzipielle Offenheit und Dialogfähigkeit. Solidarität sei in der christlichen Sozialethik nicht einfach die Forderung nach altruistischem Verhalten, sondern danach, das Ganze im Blick zu behalten, von dem alle abhängig sind. "Wir leben in engen Verflechtungen und können nicht so tun, als ob die Probleme, die uns in Form von Migrationsströmen oder islamistischem Terror erreichen, allein in den Ländern des Südens, des Nahen und Mittleren Ostens und der arabischen Welt hausgemacht wären. Internationale Gerechtigkeit", mahnt der ZdK-Präsident, "bleibt eine zentrale Forderung. Eine christliche Identität in Europa ist nichts Starres, Statisches, Unbewegliches – nichts, was es im Singular gäbe. Nichts, das durch Abschottung und Abwehr von fremden Einflüssen bewahrt oder konserviert werden könnte. Sie muss entwicklungsoffen und fähig sein, mit neuen Einflüssen und veränderten Rahmenbedingungen umzugehen und sie im günstigsten Fall zu adaptieren." Dabei sei die Kommunikation zwischen den Kulturen eine der Hauptaufgaben gegenwärtiger Politik.

Dialogisch das christliche Europa weiterentwickeln

"Es geht bei Europa, bei der Demokratie und beim Beitrag der Religionen zum Gemeinwohl darum, das Eigene, die christliche Identität und die abendländische Tradition nicht in Abgrenzung zu konstruieren, sondern sie als das zu begreifen, was die christlichen Traditionen im Kern meinen: Offenheit, Hilfe für jedermann, Integration, Sozialverantwortung, Menschenwürde und ein Glaube, der nicht ausgrenzt, sondern sich öffnen kann für die anderen; der Stürme übersteht, weil er selbst fest wurzelt." Sternberg betont, es gehe um die Offenheit für Veränderungen und das Vertrauen, dass das religiös-kulturelle Erbe Europas nicht zur Abgrenzung und zum Ausschluss des Fremden führe, sondern zu Dialog und Integration.

Die wichtigste kulturelle Aufgabe der Kirche in Europa sieht er schließlich darin, etwas von der Kenntnis der Bibel zu vermitteln und von kirchlichen Traditionen. Und ihr wertvollster Beitrag für die europäische Kultur ist nach seiner Auffassung die Liturgie als das Urbild jeden "Gesamtkunstwerkes". Abschließend unterstreicht der ZdK-Präsident: "Es ist unsere Aufgabe, in einem dialogischen Prozess das ‚christliche Europa’ weiterzuentwickeln, indem wir an seine besten Traditionen anknüpfen. Und wenn wir uns schließlich als religiöse Menschen glaubhaft weiter denken als in den Grenzen von Ökonomie und Geld; wenn wir sagen und zeigen: für uns ist das Leben mehr als die Abfolge flüchtiger  Reize – dann bereiten wir am ehesten den Boden für religiöse Erfahrungen."


 

Wenn sie sich nicht beim ND treffen, dann beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken: ZdK-Präsident Thomas Sternberg und seine Stellvertreterin Claudia Lücking-Michel. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Wenn sie sich nicht beim ND treffen, dann beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken: ZdK-Präsident Thomas Sternberg und seine Stellvertreterin Claudia Lücking-Michel. / © Beatrice Tomasetti ( DR )


 

Das Podium ist mit Dr. Guido Schlimbach, Kurator der Kunststation St. Peter, der Künstlerin Eva Degenhardt, Dr. Stefan Kraus, Museumsdirektor von Kolumba, und ZdK-Präsident Prof. Thomas Sternberg besetzt. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Podium ist mit Dr. Guido Schlimbach, Kurator der Kunststation St. Peter, der Künstlerin Eva Degenhardt, Dr. Stefan Kraus, Museumsdirektor von Kolumba, und ZdK-Präsident Prof. Thomas Sternberg besetzt. / © Beatrice Tomasetti ( DR )


 

Kulturvermittler im Dialog: Dr. Stefan Kraus und Prof. Thomas Sternberg. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Kulturvermittler im Dialog: Dr. Stefan Kraus und Prof. Thomas Sternberg. / © Beatrice Tomasetti ( DR )


 

Ein karger Raum ist die Kirche St. Peter, der durch das lebt, was in ihm geschieht und vollzogen wird. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ein karger Raum ist die Kirche St. Peter, der durch das lebt, was in ihm geschieht und vollzogen wird. / © Beatrice Tomasetti ( DR )


 

"Wir müssen mit unseren Kirchenräumen mutiger umgehen", findet Prof. Thomas Sternberg. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Wir müssen mit unseren Kirchenräumen mutiger umgehen", findet Prof. Thomas Sternberg. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR