Bruder Paulus über das Recht auf Vergessenwerden

Die digitale Erbsünde?

In einer digitalen Zeit sind auch unsere Sünden jederzeit abrufbar. Dass wir sie loswerden können, indem wir sie bei Google löschen lassen, ist ein Irrtum, sagt Bruder Paulus – und zieht einen Vergleich mit der Erbsünde. 

Google-Suche per Smartphone und Notebook / © PK Studio (shutterstock)
Google-Suche per Smartphone und Notebook / © PK Studio ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie stehen selbst oft in der Öffentlichkeit: Gibt es persönliche Beiträge oder Infos im Netz, die Sie so lieber nicht hätten? 

Bruder Paulus Terwitte (KNA)
Bruder Paulus Terwitte / ( KNA )

Bruder Paulus Terwitte (Kapuzinermönch, Buchautor und Fernsehmoderator): Nein, die gibt es nicht, weil ich sehr genau aufpasse, was ich wohin poste. Ich weiß sehr genau, dass ich dann für alle Ewigkeit auffindbar werde. Es gibt auch Artikel und Fernsehbeiträge, wo ich denke, "das war ganz schön peinlich, dass ich das gemacht habe.“ Aber auch das Peinliche, das mir passiert ist, gehört zu mir. Ich kann dazu stehen.

DOMRADIO.DE: Der BGH begründet sein Urteil so: Im betreffenden Fall, da hat Informationsrecht der Öffentlichkeit Vorrang vor dem Recht auf Schutz der persönlichen Daten. Ist das in Ihren Augen der richtige Schluss?

Bruder Paulus: Wenn jemand ein öffentliches Amt bekleidet hat - und das war in dem Fall so, dass er eine öffentliche Verantwortung hatte in einer öffentlichen Institution - dann sind die Fehler, die er gemacht hat, natürlich auch öffentlich. Die Fehler gehören zu seinem Leben und die kann man nicht einfach vergessen machen.

Ich glaube, dass wir ein ganz anderes Problem haben: Wir leben in einer Kultur, in der man scheinbar keine Fehler machen darf, oder in der man sich freut, die Fehler von anderen irgendwie hervorzuheben. Hier müssen wir lernen, dass kein Mensch zum Menschen wird, ohne Fehler zu machen. Das ist eine christliche Botschaft.

DOMRADIO.DE: Beim Recht auf Vergessenwerden, da geht es ja um Dinge im Internet, die wir heute bereuen, vielleicht sogar schon als eine Art Sünde sehen. Bei der Beichte können wir diese Sünden erzählen - und sie werden uns dann vergeben. Aber wenn solche Einträge im Netz unauslöschlich da stehen bleiben, können wir dann überhaupt mit diesen Sünden "abschließen"?

Bruder Paulus: Ich glaube, da muss man differenzieren. Bei der Beichte werden die Sünden vergeben. Aber die Folgen der Sünden bleiben bestehen. Das hat die katholische Kirche immer gelehrt. Wenn ich jemanden beleidigt und bloßgestellt habe, dann kann Gott mir das vergeben – vielleicht sogar der andere. Aber dass jemand bloßgestellt worden ist, das wird er nicht vergessen. Dafür sind wir eine Leib-Seele-Einheit, die Tag für Tag in der Persönlichkeit wächst.

Alles, was wir tun, gehört zum Person-Werden dazu. Die Sünde ist etwas, was vergeben wird, aber immer weitreichende Folgen hat. Darum sprechen wir auch von der Erbsünde. Wir hoffen, dass Gott so mächtig ist, dass wir uns mehr für ihn und das Gute interessieren als für die Sünde. Aber wenn wir die Medien anschauen, dann merken wir: Die sind alle interessiert an der Sünde und nicht an der Bekehrung.

DOMRADIO.DE: Was ist denn in Ihren Augen ein guter Umgang mit Sünden im Internet?

Bruder Paulus: Ich glaube, dass es gut ist, dass wir lernen, eine neue Kultur zu entwickeln in der jeder mit Versuch und Irrtum erwachsen wird. Wir machen Fehler. Wir sündigen. Manchmal ist es auch so, dass wir dann ein Leben lang davon verfolgt werden: Sei es in Sünden oder Fehlern, die wir Einzelnen gegenüber machen. Oder seien es Sünden oder Fehler der Kirche gegenüber oder dem Staat gegenüber, wo wir etwas schuldig geblieben sind. Wir können das nicht rückgängig machen. Dann heißt die Devise: Bekehrung. Und dieses "kehrt um" im Evangelium, da gibt es das griechische Wort "metanoia" für. Da steckt das Wort "nus" drin: Sinn; besinnt euch neu, lasst den Sinn eures Lebens neu aufleuchten. Dann beginnt neu und steht zu euren Fehlern!

Ich glaube, dieses Denken, dass wir Fehler loswerden können, dass wir uns neu erfinden können, das ist ein großer Irrtum. Ich bin sehr dafür, dass wir uns lieben – mit allem, was zu uns gehört. In der Osternacht singen wir: "Oh glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden?" Da möchte ich, dass wir uns umdichten: "Oh Schuld, die zu meinem Leben gehört." Wenn ich dadurch gelernt habe, kann ich mich als jemand der gelernt hat, doch dem Anderen wieder ganz neu präsentieren. Mit meiner Schuld.

DOMRADIO.DE: Hat das Internet unseren Umgang mit unserer Vergangenheit schon verändert?

Bruder Paulus: Ich glaube, dass das Internet vor allen Dingen uns unvorsichtig gemacht hat und wir viel zu viel Persönliches da rein posten. Dann wundern wir uns, dass alle es lesen. Ich sage den Leuten immer: "Passt auf, was ihr da postet, das ist eine Postkarte, die kann jeder lesen, zu jeder Zeit, in allen Jahrzehnten.“ Wenn man das als Maxime hat, dann wird man schon von selbst vorsichtig.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 

Paulus Terwitte OFMCap

Bruder Paulus wurde als Bernhard Gerhard Terwitte 1959 im westmünsterländischen Ahaus geboren. Nach dem Abitur lernte er den Kapuzinerorden kennen. Mit 19 Jahren trat er in den Orden ein, studierte Theologie in Münster und Graz und wurde am 11. Mai 1985 in Münster zum Priester geweiht.

Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth (KNA)
Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth ( KNA )
Quelle:
DR
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