Vor zehn Jahren, am 12. Januar 2010, wird der karibische Inselstaat Haiti von einem verheerenden Erdbeben erschüttert. 90 Prozent der Gebäude werden zerstört. Mindestens 300.000 Menschen sterben laut offiziellen staatlichen Angaben - manche schätzen die Zahl der Toten sogar auf bis zu eine halbe Million.
Städte und Dörfer liegen in Schutt und Asche. Zahlreiche Hilfsorganisationen kommen daraufhin in das Land, um die obdachlos gewordenen Menschen zu unterstützen und beim Wiederaufbau zu helfen. Doch auch zehn Jahre später steckt das ärmste Land Amerikas noch tief in der Krise.
Mehr als 300.000 Menschen gestorben
Soziale Missstände, Korruption und gewaltsame Proteste plagen den Inselstaat heute. Das Erdbeben - ein Tiefpunkt, aber keinesfalls der Auslöser der haitianischen Dauerkrise. Immer wieder wird das Land von Naturkatastrophen aber auch politischen Krisen gebeutelt.
Diktatoren, korrupte Regierungen und bewaffnete Banden herrschen hier seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Konstellationen. Besonders brutal: die fast 30-jährige Diktatur von Francois Duvalier und seinem Sohn Jean-Claude von Ende der 50er- bis Ende der 80er-Jahre.
Seit Februar 2017 wird das Land von dem Unternehmer Jovenel Moise regiert. Doch auch er setzt Korruption und Misswirtschaft kein Ende. Unter seiner Ägide sollen Milliarden aus dem sogenannten Petro-Caribe-Fonds versickert sein. Es handelte sich um Rücklagen aus verbilligten Ankäufen von Erdöl aus Venezuela.
Das Geld war ursprünglich für den Aufbau der Infrastruktur und Hilfsprojekte in Haiti gedacht. Seit Bekanntwerden dieses Skandals fordern Zehntausende Haitianer Woche für Woche politische Veränderungen und gehen gegen die Regierung auf die Straße - es gab bereits mehrere Dutzend Tote.
Haitianer wünschen sich Wandel
Die Lage scheint auch abseits der politischen Ebene desolat. Die Vereinten Nationen bezifferten den humanitären Bedarf in Haiti für das Jahr 2019 auf rund 126 Millionen US-Dollar. Betroffen seien vor allem die Bereiche Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Schutz, Bereitstellung von Notunterkünften sowie Wasser, Sanitär und Hygiene für etwa 1,3 Millionen hilfsbedürftige Menschen in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land.
Auch die Landwirtschaft, wo immerhin die Hälfte aller Haitianer tätig ist, steht vor enormen Herausforderungen. Anhaltende Dürre und die Folgen des Klimawandels lassen die Erträge nur mager ausfallen. Die ländlichen Gebiete Haitis sind von Abholzungen und Entwaldungen gezeichnet, die Städte latent von Naturkatastrophen bedroht. Sie liegen an Küsten, Flüssen oder Berghängen und sind der Gefahr von Überschwemmungen, Erdruschen und Wirbelstürmen ausgesetzt.
Nach Angaben der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch liegt Haiti auf Rang drei der Staaten, die am massivsten von Stürmen, Überflutungen und Dürren heimgesucht werden. Wer sein Hab und Gut trotz allem retten kann, besitzt oft zu wenig Land, um sich und die Familie ernähren zu können.
Staatengemeinschaft verhält sich passiv
Das sorgt für sozialen Sprengstoff. Auch die medizinische Versorgung ist unzureichend. Spannungen und Unruhen erschweren die Betreuung von Patienten zusätzlich. Seit 2004 versuchten UN-Missionen die staatliche Ordnung in Haiti aufrechtzuerhalten, im vergangenen Herbst zogen sie ab.
Beobachter wie Misereor-Chef Pirmin Spiegel fragen sich unterdessen, warum die Staatengemeinschaft sich derart passiv verhält und Präsident Moise weiter unterstützt - "trotz zahlreicher von ihm zu verantwortender Menschenrechtsverletzungen und staatlicher Gewalt gegen Demonstranten mit Toten und Verletzten".
Die Situation drohe außer Kontrolle zu geraten, warnt Spiegel. "In Haiti wächst die Gefahr eines Bürgerkriegs."