Anfang August bewahrheitete sich, wovor Hilfsorganisationen schon Monate vorher gewarnt hatten. Der schnelle Fall Kabuls in die Hände der Taliban und der Abzug der US-Streitkräfte schuf eine lebensbedrohliche Situation für Zehntausende Afghanen. Deren Evakuierung geriet zum Wettlauf gegen die Zeit.
Bisher ist nur ein Teil der 120.000 per Luftbrücke ausgeflogenen Flüchtlinge in den USA angekommen. Der Rest der insgesamt rund 300.000 afghanischen US-Army-Helfer und Angehörigen wartet noch außerhalb des Landes auf die Einreise. Als Drehscheibe für die Neuankömmlinge fungiert der Militärstützpunkt von Fort Lee in Virginia. Und die "Catholic Charities" der Diözese Arlington haben hier eine Schlüsselrolle übernommen.
Tausende Menschen müssen versorgt werden
Sie helfen den etwa 31.000 afghanische Flüchtlingen mit dem Nötigsten. "Die Dringlichkeit der Situation hat für uns alle oberste Priorität", brachte die Leiterin für Neuankömmlinge von "Catholic Charities" der Diözese Arlington, Jessica Estrada, die Notwendigkeit zur engen Kooperation mit der Regierung und anderen Organisationen auf den Punkt.
Nach Jahren des weitgehenden Einreisestopps für Flüchtlinge während der Trump-Ära stünden alle vor einer logistischen Herausforderung. Aus dem Stand müssen Tausende Menschen versorgt werden. "Für viele von uns ist das der wichtigste Job unserer beruflichen Laufbahn", so die Präsidentin des Lutherischen Flüchtlingsdienstes (LIRS), Krish O'Mara Vignarajah.
Hilfsbereitschaft ist groß
Für die afghanischen Flüchtlinge suchen die Hilfsdienste nahezu alles. Besonders dringend sind Unterkünfte, vor allem für die Familien. Aber auch Möbel, Haushaltsgeräte, Kleidung und Geld werden benötigt. Auf der Amazon-Wunschliste der Diözese Arlington können Spender Artikel für die Flüchtlinge ordern.
Das Bistum hat die Katholiken aufgerufen, "Freiwilligen-Netzwerke" zu gründen, um die Flüchtlinge schneller in die US-Gesellschaft zu integrieren. Es gehe um die Betreuung bei Arztterminen, Vorstellungsgesprächen bei der Jobsuche, um Englisch-Unterricht für die Kinder oder bürokratische Hilfen.
Und die Hilfsbereitschaft ist groß. "Selbst die rechten Isolationisten erkennen an, dass sich die Afghanen für die USA aufgeopfert haben", so der evangelikale Pastor Caleb Campbell über den Zuspruch aus allen Teilen der Gesellschaft. Fast sieben von zehn US-Bürgern sind laut einer aktuellen Umfrage der "Washington Post" und ABC-News für die Aufnahme der Afghanen.
Kirchliche Hilfsdienste warnten vor dramatischen Veränderungen
Gefordert ist auch der Flüchtlingsdienst der katholischen US-Bischöfe. Dieser soll demnächst in Fort Bliss in Texas und Fort McCoy in Wisconsin für die vorübergehende Versorgung von rund 22.000 Afghanen sorgen. Die Regierung habe sie gebeten, neben ihrem Engagement in Fort Lee auch dort mitzuhelfen, erklärte die Bischofskonferenz.
Hingegen gibt es seitens der christlichen Hilfsorganisationen auch deutliche Vorwürfe in Richtung der Regierung, wegen der chaotischen Evakuierungen aus Kabul. Schon im Mai hatten mehrere kirchliche Hilfsdienste in einem Brief an die Regierung vor den dramatischen Veränderungen in Afghanistan gewarnt. Ihre Forderung: Alle Afghanen, die mit den US-Streitkräften zusammengearbeitet haben, samt ihren Familien vor dem Truppenabzug der USA aus dem Land zu holen.
Stattdessen habe man das langwierige und komplizierte "Special Immigrant Visa"-Verfahren (SIV) für die Afghanen als "bürokratisches Labyrinth" angewandt, kritisierte LIRS-Chefin Vignarajah. Dabei sei bekannt gewesen, dass die Visa-Stelle des US-Außenministeriums mit dem Bedarf an Evakuierungen nicht Schritt halten werde.
Etwas zurückgeben
Tatsächlich startete die US-Regierung erst im Juli mit der "Operation Allies Refuge", um dann wenig später weitere Flüge aus Kabul aus Sicherheitsgründen abzusagen und teilweise sogar komplett einzustellen, kritisiert die Vize-Präsidentin des evangelikalen Flüchtlingshilfswerk "World Relief", Jenny Yang.
Die "Catholic Charities" sehen ihre Aufgabe dementsprechend auch als Form der Sühne für das Versagen in Afghanistan. "Die Menschen kommen mit nichts", so der Präsident der Organisation in der Diözese Arlington, Stephen Carattini. "Sie haben unserem Land in gutem Glauben geholfen, jetzt können wir ihnen etwas zurückgeben."