DOMRADIO.DE: Wie war die Stimmungslage bei der Anhörung?
Prälat Karl Jüsten (Leiter des katholischen Büros in Berlin): Bei Anhörungen ist das ja ein sehr formalisiertes Verfahren. Es ist so, dass jede Seite ihre eigenen Sachverständigen einlädt und nach der Stärke derjenigen, die diesen Antrag unterstützen, wird dann auch die Stärke der betreffenden Fachleute zu Wort genommen.
Folglich war das, was die Teilnehmer betrifft, eine relativ ausgewogene Angelegenheit, weil die Zahlen der Unterstützer der jeweiligen Gesetze ungefähr gleich sind. Da sind ja auch Professoren, von daher ist das immer eher eine sachliche Angelegenheit, als eine, wie man sie sonst im Parlament kennt.
DOMRADIO.DE: Das heißt, es gab keine wirkliche Diskussion?
Jüsten: Doch. Es wurde zwischen den Angehörigen munter diskutiert. Aber es wurden eher die Sachargumente ausgetauscht, sodass es insgesamt eine sehr niveauvolle Anhörung war. Wer sich als Zuhörer oder Zuschauer kundig machen wollte, hat, glaube ich, einen sehr guten Einblick in die Breite der Debatte bekommen.
Es kamen Menschen zu Wort, die Organspenden empfangen haben und es kamen Leute zu Wort, die als Mediziner Organtransplationen machen. Und es kamen auch Ethiker zu Wort: Philosophen, Theologen und Juristen - die ganze Bandbreite.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche lehnt die Wiederspruchslösung ab. Erklären Sie mal, warum.
Jüsten: Zunächst einmal ist es eine Frage des Menschenbildes. Wir gehen immer davon aus, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden muss. Insbesondere wenn es um Fragen von Leben und Tod geht. So sind wir auch fest davon überzeugt, dass der Mensch selber entscheiden muss, ob er denn - wenn er hirntot werden sollte - bereit ist, seine Organe zu spenden.
Das ist für uns ein Akt der Nächstenliebe, also eine altruistische Tat. Wir sind dagegen, dass der Staat dem Bürger vorschreibt, eine solche Tat vollziehen zu müssen oder, dass der Bürger - wie es beim Spahn-Vorschlag impliziert wäre - aktiv dem widersprechen muss.
DOMRADIO.DE: Aber man kann ja widersprechen.
Jüsten: Ja, aber das ist ein sehr schwieriges Verfahren, das dabei gewählt wird. Der Betreffende muss das dann bei der Personalausweisstelle oder sonst wo hinterlegen, dass er Organspender ist oder nicht. Die Möglichkeit, sich nicht zu entscheiden, sieht der Gesetzentwurf im Grunde genommen auch nicht vor, sodass der Mensch in der Situation, in der er sich vielleicht gar nicht wirklich mit Organtransplantation auseinandersetzt, zu einer Entscheidung gezwungen wird.
Wir sagen: Die Menschen sollen aktiv zustimmen, sie sollen mit dem Arzt, mit Fachleuten sprechen, sich selber kundig machen und danach aktiv der Sache zustimmen und dann einen Organspendeausweis ausfüllen. Da kann man noch einiges verbessern. Und das sieht der alternative Gesetzesentwurf vor.
DOMRADIO.DE: Die meisten Menschen haben keinen Organspendeausweis. Meist liegt es daran, dass man das irgendwie immer auf die lange Bank schiebt, weil man sich mit dem Thema nicht so gerne auseinandersetzen möchte. Muss man die Menschen da nicht ein bisschen anschieben?
Jüsten: Ja, da bin ich sehr dafür. Ich bin sehr dafür, dass die Menschen sich aktiver mit dem Thema auseinandersetzen und dann auch mehr entscheiden. Es gibt natürlich auch andere Gründe, weshalb die Menschen das nicht wollen. Das Vertrauen in das System ist ja erschüttert, weil es ja in diesem Bereich auch einige sehr fragwürdige, korrupte Handlungen gab. Dann fragen die Menschen sich: Sollen wir da unsere Organe zur Verfügung stellen?
Darüber hinaus gibt es sicher auch Menschen, die dem Hirntod-Kriterium nicht trauen. Wir sagen, dass das Hirntod-Kriterium der Grund ist, eine Organtransplantation vorzunehmen. Beim Hirntod sind die wesentlichen Funktionen des Menschen gestorben, aber er atmet noch und kann mit Hilfe von Geräten am Leben erhalten werden, damit die Organe entnommen werden können. Und da scheuen viele Menschen vor zurück. Und deshalb glaube ich, dass viele Menschen sich deshalb nicht entscheiden.
DOMRADIO.DE: Was befürchten Sie im Falle des Wechsels zu dieser Widerspruchsregelung?
Jüsten: Wir befürchten, dass der Staat zum ersten Mal in einem Gesetz festlegt, dass ein Mensch aktiv etwas verhindern muss, um sein Leben zu schützen. Oder um eine bestimmte Tat nicht vollziehen zu müssen, von der der Gesetzgeber sagt, dass es eine gute Tat ist - nämlich die Organtransplantation. Wir plädieren dafür, dass es in einem so sensiblen Bereich, bei dem es um Leben und Tod geht, immer die individuelle Entscheidung Vorrang haben muss.
DOMRADIO.DE: In anderen Ländern klappt es aber ganz gut - zum Beispiel in Spanien. Da liegen die Spenderzahlen höher. Die Spanier haben diese Widerspruchslösung. Wie reagieren Sie auf dieses Argument?
Jüsten: Einmal ist in Spanien das ganze Organtransplantations-System erheblich besser als bei uns. Wir plädieren dafür, dass wir in Deutschland überhaupt erst einmal auf das System kommen, wie das in Spanien auch ist. Da wird viel mehr in den Krankenhäusern für die Transplantationsmedizin getan.
Das ist, glaube ich, der Hauptgrund, weshalb die Zahlen da so viel höher sind. Ein zweiter Grund ist, dass in Spanien nicht nur das Hirntod-Kriterium gilt, sondern auch das Herztod-Kriterium. Und wenn man Herztote zu Organspendern dazunehmen würde, was wir aus gutem Grunde in Deutschland ablehnen, dann kommt man natürlich auf die höheren Zahlen.
DOMRADIO.DE: Bei uns muss man natürlich auch erst mal an diesen Organspendeausweis ran. Haben Sie denn persönlich auch einen?
Jüsten: Ich habe vor Jahren schon einen solchen Ausweis ausgefüllt.
DOMRADIO.DE: Und Sie würden auch alle dazu ermuntern?
Jüsten: Ich würde sagen: Jeder Mensch soll sich damit auseinandersetzen. Und jeder Mensch sollte sich dazu befähigen, eine reife Entscheidung zu treffen. Es ist für jeden Menschen eine individuelle Entscheidung. Ich kann nur sagen: Ich mache es, aber jeder muss es für sich selbst entscheiden.