"Eine verschleierte Frau ist wie eine Perle in ihrer Muschel", sagt ein islamisches Sprichwort. In vielen westlichen Staaten sieht man in dieser Haltung eher ein Integrationshindernis und warnt vor einer Entrechtung der Frau. Die jüngsten Terroranschläge sowie die Angst vor einem immer aggressiveren islamischen Fundamentalismus haben ihr Übriges beigetragen, um die Debatte anzuheizen.
Frankreich untersagt Badetag für verschleierte Frauen
In Frankreich verhinderten rechtsextreme und konservative Politiker jüngst einen Badetag für verhüllte muslimische Frauen und deren Kinder in einem Spaßbad in der Nähe von Marseille. Die Stadtverwaltung im südfranzösischen Cannes untersagte derweil das Tragen des Burkini am Strand. Begründung für das Verbot des Ganzkörperbadeanzugs: Eine derartige Strandbekleidung könne in der jetzigen Lage zu einer Störung der öffentlichen Ordnung führen.
Auch in Deutschland wird der Ton rauer. Mehrere prominente Vertreter von CDU und CSU fordern ein Burka-Verbot. SPD-Vize Ralf Stegner indes sieht darin einen Angriff auf die Religionsfreiheit.
Verhüllung gestützt auf drei Koranstellen
Doch wie kam es überhaupt zu den islamischen Bekleidungsvorschriften für Frauen? Alle Rechtsschulen des Islam zählten die Verhüllung zu den Glaubenspflichten der Frau, betonen islamische Gelehrte. Sie stützen sich vor allem auf drei Koranstellen - die jedoch verschieden interpretiert werden können.
In Sure 24, Vers 31 ergeht die Aufforderung, dass Frauen "ihren Schleier (Chimar) über ihren Busen ziehen" sollen. Zur Zeit Mohammeds waren die Kleider arabischer Frauen so weit ausgeschnitten, dass ihre Brüste zu sehen waren. Der Vers propagiert keine Pflicht zur Verschleierung des Gesichts. Die Verhüllung des Busens in der Öffentlichkeit ist überdies auch nach westlicher Kleidersitte selbstverständlich. Mancher übersetzt Chimar im Übrigen nicht mit "Schleier", sondern mit "Schal".
Sure 33, Vers 53 bestimmt, dass die männlichen Gäste Mohammeds nur getrennt durch einen Hidschab, einen Vorhang, zu den Frauen des Propheten sprechen dürfen. Die Vorschrift, die womöglich nur Mohammeds Wunsch nach Privatsphäre für seine Gattinnen betraf, deuteten viele Koranexegeten später als Befehl für eine strikte Geschlechtertrennung und Isolierung der Frau. Heute bezeichnet der arabische Begriff Hidschab alles, was Blicke fernhält, besonders weite Kleidung zur Verdeckung weiblicher Körper.
Sure 33, Vers 59 fordert gläubige Frauen auf, "dass sie etwas von ihrem Gewand über sich ziehen. So ist gewährleistet, dass sie (als anständige Frauen) erkannt und nicht belästigt werden". Im arabischen Original ist nicht explizit von der Bedeckung des Kopfes die Rede.
Überlieferte Aussprüche Mohammeds
Der überlieferte Anlass der Offenbarung zeigt zudem, wie sehr er an seine Zeit gebunden ist: Denn zuvor hätten Männer irrtümlich eine Gruppe Musliminnen für Sklavinnen gehalten und sexuell belästigt. Heute, so islamische Feministinnen, sollten aber nicht Bekleidungsvorschriften, sondern Strafgesetze vor sexueller Gewalt schützen.
Keinen Zweifel an der Pflicht zur Verhüllung lässt die Sunna durch überlieferte Aussprüche Mohammeds: Nicht mehr solle von einer Frau zu sehen sein als Gesicht und Hände, soll er gesagt haben. Laut anderen Überlieferungen ist die Frau für Mohammed ein sündiges, verführerisches Wesen, das mit seinen Reizen den Mann vom rechten Weg abbringt. Einer Frau, die ihr Haus verlässt, komme der Teufel entgegen, heißt es.
Viel spricht dafür, dass solche Äußerungen dem Religionsgründer von einer frauenfeindlichen Gelehrtenschaft nachträglich in den Mund gelegt wurden. Verschleierung und Verbannung der Frau aus der Öffentlichkeit wurden so vermeintlicher Wille Gottes. Neben dem Kopftuch, der verbreitetsten Verschleierung, gibt es verschiedene Gesichtsschleier und Ganzkörperbedeckungen, vom Tschador bis zur Burka. Seit der Reislamisierung in den 1970er und 80er Jahren beherrscht der Schleier wieder das Straßenbild islamischer Städte. In vielen Ländern ist er de facto Vorschrift, im Iran und Saudi-Arabien auch per Gesetz.
Liberale Rechtslage in Deutschland
Die aktuelle Rechtslage in Deutschland ist dagegen weitgehend liberal: Grundsätzlich kann sich in der Öffentlichkeit jeder so kleiden, wie er will. Das gilt auch für das Tragen des Gesichtsschleiers Niqab oder des Ganzkörperschleiers Burka.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam 2012 in einem Gutachten zu dem Schluss, dass ein generelles Burka-Verbot verfassungswidrig sei. Es verstoße gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes gegenüber religiösen Bekenntnissen. Ein Verbot sei nur im Einzelfall zulässig - "als Ergebnis einer Abwägung mit kollidierenden Verfassungsgütern". So können Burkas etwa an Schulen bereits jetzt verboten werden.
Deutlich strenger sind die Gesetze im Nachbarland Frankreich, wo es seit 2011 verboten ist, sich in der Öffentlichkeit zu vermummen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte 2014 die Rechtmäßigkeit der Regelung, die auch Burka und Niqab betrifft. Ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit sei nicht gegeben, hieß es.
Vielmehr sei es ein legitimes Ziel, mit dem Verschleierungsverbot das offene zwischenmenschliche Zusammenleben in der Gesellschaft zu erhalten.