"Es ist offenbar etwas in Bewegung geraten", sagt Matthias Katsch. Der Sprecher der Initiative "Eckiger Tisch" gehört zu denen, die den Betroffenen von sexuellem Missbrauch eine Stimme verleihen.
Wie die Kirchen mit dem Thema umgehen, beobachtet er besonders aufmerksam. In den 1970er-Jahren wurde er selbst Opfer von Missbrauch: am Berliner Canisius-Kolleg, einer Jesuitenschule. Dort machte der damalige Leiter Klaus Mertes 2010 die ersten Fälle publik. Dieser Schritt markiert den Beginn einer bis heute dauernden Debatte.
Spürbare Fortschritte bei der Aufarbeitung
Acht Jahre später konstatiert Katsch spürbare Fortschritte bei der Aufarbeitung. Der Umgang mit Betroffenen sei selbstverständlicher geworden. "Unsere Forderung nach unabhängigen staatlichen Ermittlungen und wissenschaftliche Aufarbeitung finden auch in den Kirchen Widerhall." Am vergangenen Sonntag beging die katholische Kirche erstmals einen bundesweiten Gedenktag für Missbrauchsopfer. In der Woche davor beschloss die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein Elf-Punkte-Programm gegen Missbrauch und die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle.
Am Freitag wollen die katholischen Bischöfe im Rahmen einer Fachkonferenz in Köln zusammen mit der Deutschen Ordensobernkonferenz und dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, eine Zwischenbilanz ihrer Präventionsarbeit ziehen. Am gleichen Tag trifft sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) in Bonn zu seiner Vollversammlung. Auch dort wird das Thema eine Rolle spielen: auf der Tagesordnung steht ein Vortrag von Jesuitenpater Mertes.
Ein Gespräch mit Manuela Röttgen, der Präventionsbeauftragten des Erzbistums Köln, macht Hoffnung, dass die in der Kirche entwickelten Ideen und Maßnahmen auch auf andere Teile der Gesellschaft ausstrahlen. Missbrauch, darauf weist Röttgen beispielsweise hin, gibt es nicht nur in Schulen oder Kitas, sondern auch in Altersheimen. Und: Die besten Regeln nützen wenig, wenn sie nicht auch von ganz oben mitgetragen werden.
Ständiger Rat der Bischofskonferenz
Genau dieser neuralgische Punkt wird mit entscheiden über die Zukunft von Kirche. Immer noch, das zumindest ließ Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, in einem "Spiegel"-Interview anklingen, scheinen manche seiner Mitbrüder den vollen Ernst der Lage nicht begriffen zu haben. Beim Ständigen Rat zu Wochenbeginn in Würzburg wollte Ackermann deswegen einen möglichst konkreten Fahrplan vorlegen.
Die Bischöfe einigten sich unter anderem auf die Einführung gemeinsamer Standards bei der Personalaktenverwaltung. Zusätzlich zu diözesanen Ansprechpartnern sind künftig externe unabhängige Anlaufstellen geplant. Durch eine unabhängige Aufarbeitung soll geklärt werden, wer über die Täter hinaus institutionell verantwortlich für Missbrauchsgeschehen in der Kirche war. Auf den Prüfstand kommt auch das Verfahren zur Anerkennung erlittenen Leids und damit die finanzielle Unterstützung für Opfer.
Vertrauensschwund laut Umfrage
Die Zeit drängt. So leidet laut einer am Mittwoch veröffentlichten SWR-Umfrage die katholische Kirche weiter unter massivem Vertrauensschwund. Auch zeigte sich eine Mehrheit der Befragten unzufrieden mit der bisherigen Aufarbeitung. Bei den katholischen Laien wird unterdessen der Ruf nach Reformen im Innern der Kirche lauter. ZdK-Präsident Thomas Sternberg umschrieb es in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" so: mehr Beteiligung für Frauen, ein "Aufbrechen klerikaler Führungs- und Leitungsstrukturen" und eine Neuausrichtung der Sexualmoral.
Da geht der Blick zwangsläufig auf den Vatikan und die Weltkirche, wo allerdings ein "tiefer Dissens über die Frage nach den Ursachen für Missbrauch" herrscht, wie Klaus Mertes bei DOMRADIO.DE betonte.
Für Februar hat Papst Franziskus zu einer Bischofssynode nach Rom eingeladen. Die evangelische Kirche ist aufgrund ihrer Verfasstheit bei diesen Dingen leicht im Vorteil. Davon unabhängig sind jetzt vorzeigbare Ergebnisse gefragt, betont Matthias Katsch. Etwa die Schaffung einer Gerechtigkeits- und Wahrheitskommission, die konkrete Aufarbeitungsprojekte koordiniert. Damit die Bewegung nicht ins Leere läuft.