Sichtbar ist die Berliner Mauer nur noch an wenigen Stellen, vielerorts ist sie aber weiterhin spürbar - selbst 25 Jahre nach der Wiedervereinigung. Das gilt auch für die Kirchen. Die über Nacht scharf abgeriegelte Grenze teilte Gemeinden und kappte Beziehungen. Pfarreien verloren von heute auf morgen ihren Seelsorger, Gemeindemitglieder oder ihr Gotteshaus. Sie mussten sich nach provisorischen Zwischenlösungen neu formieren. Auch wenn die Kontakte zum «anderen Teil» in den meisten Fällen nie ganz abbrachen: Viele der geteilten Gemeinden entwickelten eine eigene Identität.
Mauern in den Köpfen
So war es auch in der katholischen Michaelsgemeinde, die in den damaligen Berliner Bezirken Kreuzberg und Mitte lag. Nach dem Mauerfall fanden ihre wiedervereinten Mitglieder trotzdem nicht zusammen. Zu unterschiedlich hatte sich ihr Leben in den 28 Jahren der Trennung entwickelt. Auf der Westseite in Kreuzberg waren die meisten Mitglieder verblieben - allerdings zunächst ohne Pfarrer und Kirche. Als in den 1960er und 1970er Jahren immer mehr Alteingesessene aus dem Bezirk wegzogen, Studenten und Migranten kamen und in den 1980er Jahren die ersten «Wagenburgen» von linksalternativen Aussteigern entstanden, blieb dies nicht ohne Einfluss auf das Selbstverständnis des West-Berliner Gemeindeteils. Er versuchte, sich auf die neuen Nachbarn einzustellen, egal, ob Punker, Hausbesetzer oder Stadtstreicher.
Eine Heimat fanden die Kreuzberger Katholiken in einem neuen Gebäudekomplex, der Mitte der 1960er Jahre nur wenige hundert Meter von ihrem alten Gotteshaus entfernt errichtet wurde. Die nach Plänen von Hans Schaefers entstandene Betonkirche sollte nach einer Wiedervereinigung Deutschlands als Gemeindezentrum genutzt werden, so die Überlegungen damals.
Zerstörte Kirchen
In dem in Ost-Berlin verbliebenen kleineren Gemeindeteil hatten die Gläubigen unterdessen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen: Ihre im 19. Jahrhundert gebaute Kirche war teilweise kriegszerstört, in die neuen Plattenbauten ihres Umfeldes zogen - wie in Mauer-Nähe üblich - vor allem staatstreue DDR-Bürger. Hier überlebte die Gemeinde als kleine Insel mit einem mehr provisorisch hergerichteten Gotteshaus und nur geduldet vom SED-Staat. Als im November 1989 die Mauer fiel, prallten beide Welten aufeinander. Die Wiedervereinigung der geteilten Pfarrei gelang nicht, obwohl auch die Bistumsleitung sie anstrebte. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen eines Gemeindelebens geworden. Daran scheiterte auch der anfangs gemeinsame Unterricht zur Vorbereitung auf die Erstkommunion, wie sich Gemeindemitglieder erinnern.
"Ostmichaeliten" und "Westmichaeliten"
Pfarreifusionen im Erzbistum Berlin schufen schließlich Fakten: Die «Ostmichaeliten» feiern zwar noch Gottesdienste in ihrer angestammten Kirche, gehören aber kirchenrechtlich zur Kathedralgemeinde Sankt Hedwig. Als Jugendkirche SaM (für Sankt Michael) bietet das Gotteshaus der «Westmichaeliten» vor allem Angebote für diese Altersgruppe, der westliche Teil der Michaelsgemeinde ging in der Kreuzberger Pfarrei Sankt Marien auf.
Ein anderes Schicksal erlebte die evangelische Versöhnungsgemeinde. 1985 wurde sie schlagartig über Berlin hinaus bekannt: Damals ließ das SED-Regime ihre Kirche sprengen, die im sogenannten Todesstreifen der Mauer stand. Für die geschockte Westgemeinde im Bezirk Wedding war damit ein Zustand unwiderruflich, den sie vorher als Provisorium wahrgenommen hatte, berichtete der 2013 verstorbene Pfarrer Manfred Fischer.
Nach der Wende beschloss die Versöhnungsgemeinde, im ehemaligen Grenzstreifen ein Zeichen zu setzen: Sie kämpfte dafür, dass ein Stück der alten Mauer erhalten blieb, und setzte sich für eine Dokumentationsstätte ein. Auf Fundamenten der alten Versöhnungskirche entstand ein neues Gotteshaus, die «Kapelle der Versöhnung». Seit ihrer Einweihung im Herbst 2000 ist sie ein besonderes Zeugnis der deutsch-deutschen Geschichte.