DOMRADIO.DE: Im Johannesevangelium ist im ersten Kapitel die Rede vom "Wort", das Fleisch wird. Diese Menschwerdung feiern wir an Weihnachten, dann wird auch dieser Text am 25. Dezember verlesen, im Griechischen steht dafür das Wort "Logos". Das kennen wir von "logisch". Wie ist das jetzt auf Jesus zu beziehen?
Pfarrer Dr. Axel Hammes (Dozent für Neues Testament, Seelsorger in Bensberg und Geistlicher Berater für die Thomas-Morus-Akademie): Schon Johann Wolfgang Goethe hat ja im "Faust" darüber viel philosophiert, was alles in diesem Wort "Logos" steckt. Für mich ist ein wichtiger Punkt, dass es den Gott ins Wort bringt, der zu uns spricht und der sich selbst mitteilt, der sich ausspricht. Dieser Gott ist eben nicht eine Monade, (eine in sich geschlossene Einheit, die nicht mit der Umwelt kommuniziert, Anmerk. d. Redaktion) die in sich selber ruht, sondern Gott ist einer, der von seinem Wesen her sich auf ein Du hin überschreitet und sich ausspricht. Der Gott, der im Anfang das Wort bei sich hat, steht in Beziehung, lebt aus dieser Bezogenheit. Es ist ja kein Zufall, dass ausgerechnet der erste Johannesbrief das Wesen Gottes als die Liebe definiert. Die Liebe findet schon immer ihren Ausdruck in dem Wort, das sich mitteilt.
DOMRADIO.DE: Dann wird es aber in der Bibel nicht unbedingt einfacher zu verstehen, weil es nämlich dann heißt: "Das Wort ist Fleisch geworden." Wie kann man denn Fleisch in diesem Zusammenhang verstehen?
Hammes: Diese Verse stehen ja im Prolog, also in der Vorrede zum Johannesevangelium. Der Text will da vor der eigentlichen Erzählung einen richtigen Paukenschlag loswerden.
Das hat die Ausleger aller Zeiten irritiert und die haben auch zu ganz unterschiedlichen Deutungen gefunden, weil letztlich mit diesem griechischen Begriff "sarx", Fleisch zu deutsch, eigentlich der größtmögliche Gegensatz zu diesem göttlichen "Logos", der seinen ewigen Ursprung in Gott selber hat, ausgedrückt werden soll. Das Vergängliche und das Ewige, Schöpfer und Geschöpf finden in Jesus zusammen.
Eigentlich will der Prolog in der Tat zuerst einmal dieses Staunen beim Zuhörer, beim Leser, erzeugen, dass Gott so etwas zuwege gebracht hat, dass wir in diesem Jesus von Nazareth tatsächlich als einem puren Menschen Gott ungeschmälert begegnen.
DOMRADIO.DE: Aber dann noch mal ganz schlicht gefragt: Warum wird Gott denn überhaupt Fleisch, überhaupt Mensch?
Hammes: Erlösen kann man niemanden von außen, sondern Erlösung geschieht von innen. Oder wie die Kirchenväter das ausgedrückt haben: Erlöst werden kann nur das, was angenommen wurde. Gott hat den Menschen als sein Geschöpf sich so zu eigen gemacht, so zu Herzen gehen lassen, dass er eben selber einer von uns wurde, um uns von innen her zu befreien.
Das bedeutet: Aus dem Menschsein heraus geschieht die Befreiung des Menschen und öffnet sich so das Tor zum Leben.
DOMRADIO.DE: Und im weiteren Verlauf des Johannesevangeliums sagt Jesus: "Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm." Da wir gerade beim Thema Fleisch sind, das klingt ja fast kannibalistisch, das ist natürlich nicht so gemeint, aber wie bekommt man denn da das richtige Verständnis mit Blick auf Weihnachten?
Hammes: Im Grunde genommen genügt es nicht, sich nur von paar schönen Szenen oder Liedern und der Atmosphäre berühren zu lassen, sondern Menschwerdung geschieht da, wo mir Gott - metaphorisch ausgedrückt - unter die Haut geht, wo er wirklich mein Innerstes berührt – vielleicht sogar erschüttert – auf dass ich das, was auch in manchen Weihnachtsliedern zum Ausdruck kommt, tatsächlich erfahre: ich werde eins mit ihm. Dieser Gott mit menschlichem Angesicht teilt mein Leben, ich finde Eingang in seines.
Letztlich geschieht in jeder Kommunion dieses Geheimnis. Ich nehme den Gottessohn mit Leib und Seele in mich auf. Und der Johannesevangelist benutzt diesen starken Ausdruck Fleisch, um auch klar zu machen, dass es etwas sehr Konkretes ist. Es ist nicht nur etwas, was sich im Kopf abspielt, sondern etwas, das den ganzen Menschen berühren und betreffen soll.
DOMRADIO.DE: Der besagte Johannesprolog, von dem Sie eben gesprochen haben, wird immer im Weihnachtsgottesdienst am 25. Dezember verlesen. An Weihnachten kommen ja immer mehr Menschen in die Gottesdienste. Und dann sind da sicherlich auch Menschen mit eher wenig Glaubenswissen dabei. Wie kann man denn da im Rahmen der Messe ein so kompliziertes Glaubensgeheimnis den Menschen vermitteln?
Hammes: Zum einen glaube ich, muss man sich auf einen Punkt, der einen selber sehr berührt hat und der einem ja so nahegekommen ist, beschränken. Mein Thema wird vermutlich sein: "Eine Stimme haben". Was ich immer feststelle, wenn ich dieses Evangelium vorlese: Es ist unglaublich still in der Kirche.
Also bringt der Text eine ganz tiefe Schicht zum Klingen, die tatsächlich die Menschen, auch wenn sie das nicht begründen oder beim Namen nennen können, anrührt. Und genau darauf, glaube ich, zielt der Text ab, dass man hinter die Oberfläche guckt, was da so an Elementarem, am Wesentlichen, an Existenziellem zur Sprache kommt.
Wir haben eben einen Gott, der uns zuspricht, anspricht, der mit seinem Wort etwas erschafft und damit eine neue Wirklichkeit in Kraft setzt. Das wäre für mich immer so der erste Zugang zu diesem ja sehr dichten und erhabenen Text.
DOMRADIO.DE: Sie sind Priester und predigen regelmäßig. Und da die Menschwerdung ein Glaubensgeheimnis ist und doch schwer zu erklären ist: Hand aufs Herz, wie groß ist die Gefahr, dass man sich dann in den Predigten hinter religiösen Floskeln zu verstecken droht, anstatt so zu sprechen, dass die Menschen es vielleicht doch ein bisschen verstehen können?
Hammes: Die Gefahr besteht immer. Denn jede Religion hat auch ihre eigene Sprache, um eben die Erfahrung des Außerordentlichen, des Heiligen, dessen, was sich letztlich unserem Zugriff entzieht, irgendwie doch ins Wort zu bringen. Dieses Dilemma ist unhintergehbar, dem muss man sich immer stellen.
Ich finde es wichtig, dass man von seinen eigenen Erfahrungen im Glauben ausgeht und versucht, von ihnen aus das zu entfalten. Und vielleicht noch ein anderer Punkt: Wir möchten immer gerne alles erklären, aber wir kommen auch an den Punkt, an dem man wirklich demütig stehen bleibt, wo der Glaube tatsächlich ein Geheimnis ist. Nicht, um sich damit herauszureden, aber eben den Punkt anerkennen, wo Erklärungen die Botschaft eher kleinreden, statt sie aufleuchten zu lassen. Wo der Punkt erreicht ist, da stehen wir letztlich vor dem Geheimnis Gottes selbst.
DOMRADIO.DE: Auf der einen Seite gibt es Stimmen, die alles rund um Weihnachten, die Geschenke, den Konsum verdammen und ganz asketisch eine Konzentrierung auf das rein Geistliche fordern. Dann gibt es Menschen, die sich im Konsum zu Weihnachten verlieren. Wie kann man denn da als Kirche, als Priester, konkret versuchen, den Menschen an Weihnachten etwas von der Botschaft mitzugeben, was auf der einen Seite eben nicht oberflächlich ist, aber auf der anderen Seite auch nicht auf eine billige moralische Erhebung über das "böse" Konsumverhalten hinausläuft?
Hammes: Konsum bedeutet ja eigentlich immer, dass ich die Welt extrem vergegenständlicht habe und dass ich mich über das, was ich beziffern und vergleichen kann, definiere. Ich denke, es kommt auch hier auf die Haltung an.
Alles, worin Liebe steckt und worin sie zum Ausdruck kommt, wo sie sich greifbar macht, das ist authentisch. Das darf und soll seinen Platz haben. Und da Liebe eben mehr ist als ein Gedanke, sondern tatsächlich auch sichtbar werden will, finde ich das Schenken unverzichtbar. Es ist zwar nicht immer fest mit Weihnachten verbunden gewesen, aber hat eigentlich gerade an diesem Tag einen besonders guten und tiefen Sinn.
Wir sollten uns mehr in den Haltungen einüben. Dann finden wir auch für jeden unserer Lieben das richtige Geschenk. Denn wenn die Haltungen stimmen, dann lenken sie auch unsere Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, und wir können all unsere guten Bräuche dann darin auch wieder problemlos hineinlegen.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet Weihnachten für Sie ganz persönlich?
Hammes: Einmal ist es für mich ein Fest mit vielen Kindheitserinnerungen. Ich darf mich als ein Kind Gottes erleben. Und der andere Punkt ist: Es weckt und hält diese Sehnsucht nach einer Welt, die wirklich geheilt ist und in der alles seinen Platz hat und alles stimmt, wach.
Und gleichzeitig weckt es auch die Hoffnung, dass das ja Wirklichkeit werden kann, dass das nicht nur ein ferner Traum ist, sondern dass der auf dieser Erde tatsächlich Platz nimmt, wie es eben einst in diesem kleinen Winkel zu Bethlehem geschehen ist.
Das Interview führte Mathias Peter.