Die "Mystikerin des Münsterlands" fasziniert bis heute

Stoff für Film und Fantasie

Clemens Brentano wich ihr jahrelang nicht von der Seite. Für den Dichter war Anna Katharina Emmerick mit ihren Wundmalen mehr als eine Art schaurige Attraktion. Seliggesprochen wurde die Ordensfrau aber aus anderen Gründen.

Autor/in:
Niklas Hesselmann und Sabine Kleyboldt
Blick durch ein Fenster in das Zimmer der seligen Anna Katharina Emmerick am 27. Dezember 2023 in der Gedenkstätte unterhalb der Kirche Heilig Kreuz in Dülmen. / © Niklas Hesselmann (KNA)
Blick durch ein Fenster in das Zimmer der seligen Anna Katharina Emmerick am 27. Dezember 2023 in der Gedenkstätte unterhalb der Kirche Heilig Kreuz in Dülmen. / © Niklas Hesselmann ( KNA )

Nicht jede fromme Seherin hat einen berühmten Dichter an ihrer Seite. Die Visionen von Anna Katharina Emmerick schrieb sogar kein Geringerer als Clemens Brentano auf. Ohne seine vier Bücher wäre die "Mystikerin des Münsterlands" vermutlich nicht weltweit bekannt geworden. 

Doch das Verhältnis des einstigen Lebemanns und der Ordensfrau, die am 8. September vor 250 Jahren geboren wurde, ist bis heute Stoff für Film und Fantasie.

Anna Katharina Emmerick kam 1774 in Flamschen bei Coesfeld in ärmlichen Verhältnissen zur Welt. Schon früh erlebte sie erste Visionen zu biblischen Erzählungen. Sie arbeitete als Magd und Näherin, hegte zugleich den Wunsch, Nonne zu werden. Dieser ging 1802 mit dem Eintritt ins Augustinerinnenkloster Agnetenberg in Dülmen für die bereits schwächliche junge Frau in Erfüllung.

Tuch mit Abdrücken der Stigmata von der Stirn der seligen Anna Katharina Emmerick am 27. Dezember 2023 in der Gedenkstätte unterhalb der Kirche Heilig Kreuz in Dülmen / © Niklas Hesselmann (KNA)
Tuch mit Abdrücken der Stigmata von der Stirn der seligen Anna Katharina Emmerick am 27. Dezember 2023 in der Gedenkstätte unterhalb der Kirche Heilig Kreuz in Dülmen / © Niklas Hesselmann ( KNA )

Zehn Jahre später musste Emmerick als Letzte das im Zuge der Säkularisierung aufgelöste Kloster verlassen. Zeitgleich traten die ersten äußeren Stigmata an Händen, Füßen, Stirn und Brust auf: blutende Stellen, die den Wundmalen des gekreuzigten Christus ähnelten. Von 1813 bis zu ihrem Tod am 9. Februar 1824 war sie bettlägerig.

Lebemann Brentano entdeckt seinen Glauben

Im fernen Berlin hatte Clemens Brentano von der ungewöhnlichen Nonne gehört. Im September 1818 reiste er nach Dülmen - kurz nachdem sich der einst berüchtigte Frauenheld auf seinen katholischen Glauben besonnen und die Generalbeichte abgelegt hatte. 

In Dülmen wollte er Emmericks Visionen aufschreiben und für ihre Verbreitung sorgen - wohl auch, um die von ihm verehrte Luise Hensel, Dichterin von "Müde bin ich, geh zur Ruh'", doch noch für sich zu gewinnen. Sie pflegte die Nonne zeitweise.

Die Frömmigkeit und Leidensfähigkeit der Kranken faszinierten den rastlosen Sinnsucher: "Viele Nächte hab' ich geweint und Gott gebeten, mir doch wieder etwas zu geben, woran ich mich halten könne.

Dann kam die närrische Fügung, dass ich die Emmerich (sic!) kennen lernte." Insgesamt verbrachte er Jahre an ihrem Bett und füllte 16.000 Seiten mit den mystisch-religiösen Gedanken der kaum Nahrung zu sich nehmenden Frau.

Keine Protokolle von Emmericks Visionen

Von den vier Büchern erschien nur das erste zu Brentanos Lebzeiten:

Skulptureninstallation: Anna Katharina Emmerick – Zwischen Himmel und Erde, Coesfeld. / © Günter Seggebäing (privat)
Skulptureninstallation: Anna Katharina Emmerick – Zwischen Himmel und Erde, Coesfeld. / © Günter Seggebäing ( privat )

"Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi", gefolgt von "Leben der heiligen Jungfrau Maria", "Lehrjahre Jesu" sowie einer unvollendeten Biografie der Emmerick. Doch sollten sie nicht als Protokolle ihrer Visionen, sondern als literarische Texte gesehen werden.

Für ihren 1891 eingeleiteten Seligsprechungsprozess gerieten Brentanos genaue Schilderungen sogar fast zum Hindernis. 1928 wurde das Verfahren vorläufig eingestellt und erst 1973 auf Initiative des damaligen Bischofs von Münster, Heinrich Tenhumberg, erneut aufgerollt. 

Am 4. Oktober 2004 sprach Papst Johannes Paul II. die "Mystikerin des Münsterlands" selig und erhob sie damit offiziell zu einem Vorbild für Christen.

Spielfilme "Das Gelübde" und "Passion Christi"

Emmerick ist gerade nicht wegen ihrer Visionen und Wundmale, die laut einer umstrittenen staatlichen preußischen Untersuchung keinen übernatürlichen Ursprung hatten, seliggesprochen worden, betonen Experten. 

Vielmehr waren ihre Visionen eines liebenden Gottes und ihr Zeugnis für diesen die Gründe dafür. Sie war nicht die fromme "Dulderin", sondern eine glaubensstarke, selbstbewusste Frau.

Doch ihre Geschichte erregte schon immer die Fantasie. Der Spielfilm "Das Gelübde" (2007) von Regisseur Dominik Graf nach dem Roman von Kai Meyer verleiht dem Verhältnis zwischen Brentano (Misel Maticevic) und Emmerick (Tanja Schleiff) eine erotische Seite. Auch Mel Gibsons umstrittener Jesus-Film "Die Passion Christi" soll durch ihre Visionen inspiriert sein.

Mumifizierte Hand in einer Kiste

2011 tauchte in einer Dülmener Kirche eine Kiste mit einer mumifizierten Hand auf. Schnell wurde die Vermutung laut, sie könne von Emmerick stammen. Laut einer Untersuchung ist dies möglich - aber nicht zweifelsfrei nachzuweisen.

Grab der seligen Anna Katharina Emmerick in der Kirche Heilig Kreuz in Dülmen / © Niklas Hesselmann (KNA)
Grab der seligen Anna Katharina Emmerick in der Kirche Heilig Kreuz in Dülmen / © Niklas Hesselmann ( KNA )

Münsters Bischof Felix Genn übergab zu Beginn des Jubiläumsjahres, das schon zu Emmericks 200. Todestag im Februar begann, zwei Reliquien der Ordensfrau an einen Priester, der diese in seine indische Heimat brachte. Auch dort ist die Mystikerin des Münsterlands bekannt: Brentanos Bestseller "Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi" wurde in viele Sprachen übersetzt, auch in Malayalam, das in Indien gesprochen wird.

Seligsprechung

Bei einer Seligsprechung stellt die katholische Kirche durch Urteil des Papstes fest, dass ein gestorbener Mensch vorbildlich aus dem Glauben gelebt hat und Christus in besonderer Weise nachgefolgt ist. Daraus ergibt sich die offizielle Empfehlung, diese Person als Vorbild und Fürsprecher bei Gott anzunehmen. Selige werden im Gegensatz zu Heiligen nur regional verehrt. Der Seligsprechung kann aber eine Heiligsprechung und damit die weltweite Verehrung der betreffenden Person folgen.

Unterlagen zum Seligsprechungsverfahren / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Unterlagen zum Seligsprechungsverfahren / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA