Kölner Stadtdechant fordert Bistumsleitung zum Handeln auf

"Die Namen kennt jeder"

"Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende", sagt Stadtdechant Kleine zur Missbrauchs-Aufarbeitung im Erzbistum Köln. Im Gespräch erläutert er diese Aussage und erklärt, warum er trotzdem weiter zum Erzbischof steht.

Msgr. Robert Kleine  (KNA)
Msgr. Robert Kleine / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das sind klare Worte, die Sie im Interview dem "Kölner Stadt-Anzeiger" wählen. Wie ist denn die Resonanz darauf? Gab es schon Feedback aus den Gemeinden, aus den Verbänden, von Ihren Mitbrüdern?

Msgr. Robert Kleine (Kölner Stadt- und Domdechant): Ja, es gab eine ganze Menge Rückmeldungen. Einige negative Stimmen, aber sehr viele beipflichtende Meldungen, E-Mails oder Anrufe. Weil man sich vor allem auf den Punkt bezieht, dass ich gesagt habe, dass die Gläubigen, die Mitbrüder, die pastoralen Dienste, die Haupt- und Ehrenamtlichen, alle, die sich engagieren, im Moment einer ungemeinen Belastung ausgesetzt sind, hin- und hergerissen sind, auch wegen der vielen Austritte. Und sie werden darauf angesprochen: "Was läuft denn da falsch bei euch? Warum bist du denn noch bei dem Verein?" Dass ich das dann angesprochen habe und gesagt habe: "Das muss ein Ende haben. Wir müssen nach vorne schauen, nach dem 18.3. - und dafür muss das ein guter 18.3. werden." Dafür habe ich sehr viel Unterstützung und auch Dank erfahren.

DOMRADIO.DE: Der 18. März. An dem Tag soll die Wahrheit auf den Tisch. Dann sollen die Gutachten zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Köln veröffentlicht werden. Wenn es überhaupt noch ein Stück Glaubwürdigkeit gebe, dann hängt sie am 18. März an einem seidenen Faden, sagen Sie. Wie meinen Sie das?

Kleine: Wenn ich zurückblicke, bin ich sehr dankbar und dürfen wir doch alle sehr dankbar sein, dass Kardinal Woelki, als er nach Köln kam, sagte: "Ich kläre ohne Rücksicht auf Personen auf." Und dazu hat er ein Gutachten in Auftrag gegeben. Und er hat betont, es würden auch Namen genannt. Und das ist bei mir sehr positiv aufgenommen worden, dass man sich der Verantwortung stellt. Nicht nur, was die Täter betrifft, sondern eben auch: Wo mag in der Behörde etwas falsch gelaufen sein? Wo hat man nicht richtig reagiert?

Vor einem Jahr sollte dieses Gutachten mit den Namen veröffentlicht werden und dann gab es unterschiedliche Gründe, wie sich jetzt herausstellt, warum man es nicht veröffentlicht hat. Das erste Gutachten, das in München erstellt worden ist. Ich bin der Meinung, hätte man damals dieses Gutachten - trotz seiner vielleicht Unzulänglichkeiten, trotz mancher strafrechtlicher Fragestellungen - damals veröffentlicht, hätte Kardinal Woelki sein Wort eingelöst. Man hätte über Konsequenzen gesprochen. Es wäre ein Schrecken gewesen. Jetzt haben wir einen Schrecken ohne Ende.

DOMRADIO.DE: Das heißt? Fordern Sie jetzt auch, dass das Gutachten der Münchner Kanzlei eigentlich jetzt sofort öffentlich gemacht werden sollte?

Kleine: Es soll ja jetzt veröffentlicht werden. Ich nehme noch einmal Bezug auf das, was in diesem Jahr geschehen ist. Also: Es sollte veröffentlicht werden. Es ist verschoben worden in den Herbst. Das hat man noch hingenommen. Aber dann im Herbst hat man gesagt, wir haben ein ganz neues Gutachten. Es gab Irritationen um die Einbindung des Betroffenenbeirates. Und jetzt heißt es: "Ja, am 18. März werden wir es veröffentlichen. Das wird ein hartes Gutachten und wir werden die Namen nennen." Und da greife ich ein und sage: "Die Namen kennt jeder".

DOMRADIO.DE: Aber warum warten denn alle so lange, bis sie nicht anders können, als Verantwortung zu übernehmen? Erst wenn es in verschiedenen juristischen Gutachten nicht mehr von der Hand zu weisen ist?

Kleine: Das ist meine Frage. Die, die Verantwortung hatten, sind befragt worden, wegen ihres Tuns oder Unterlassens. Prälat Kümpel als Personalverantwortlicher hat sich in einem Interview einmal geäußert und ich hätte mich gefreut, wenn der ein oder andere gesagt hätte: "Ich habe nicht bewusst etwas falsch gemacht. Ich habe nicht Täter geschützt. Aber im Nachhinein muss ich erkennen, dass ich das ein oder andere Mal so entschieden habe, wie ich es heute nicht mehr tun würde. Ich habe erkannt, dass ich damals vielleicht falsch gehandelt habe. Oberflächlich. Das tut mir leid." Und dann auch in Kontakt zu treten mit den Betroffenen. Das hätte man alles in diesem Jahr tun können. Aber viele von denen, die jetzt in dem Gutachten begutachtet werden, in ihrem Tun und Unterlassen, sagen: "Wir warten auf den 18. März". Meine Frage ist jetzt, und das ist die Frage so vieler, die mit mir reden: Was passiert am 18. März? Es kann nicht alleine sein, dass Namen genannt werden, denn die kennen wir seit einem Jahr. Was passiert am 18. März? Folgt danach eine Konsequenz, dass Betroffene von dem Gutachten sagen: "Jetzt ist erwiesen, steht hier schwarz auf weiß, ich habe da falsch oder ich habe fahrlässig oder wie auch immer gehandelt. Das tut mir leid." Gibt es weitergehende Konsequenzen, dass man sich entschuldigt oder dass es vielleicht sogar noch weitergehende Rücktritte gibt? Das alles liegt ja in der Verantwortung der Personen, die dann benannt sind. Aber das muss am 18. März alles erfolgen. Dann erst hat das Gutachten einen Sinn. Und nicht, wenn dann eine monatelange Debatte darüber beginnt, wie mit den Ergebnissen umgegangen werden kann.

DOMRADIO.DE: Ist aber noch ein bisschen Zeit bis zum 18. März. Was sagen Sie denn den Menschen, die jetzt die Nase voll haben und kein Vertrauen mehr haben? Die jetzt austreten wollen?

Kleine: Mir geht es ja genauso, wenn ich daran denke, wie damals die ersten Missbrauchsfälle bekannt wurden. Da war ich fassungslos und bin weiter noch fassungslos. Kann ich verstehen, wie Priester, die denselben Weg gegangen sind, wie ich, jemanden missbrauchen und dann auch noch in Ruhe weiter Priester sind? Also diese Verbrechen kann ich nicht verstehen.

Mir tun die Betroffenen furchtbar leid und, dass sie jetzt auch durch diese ganzen Aktionen mit den Gutachtern, mit dem Verschieben, mit Gesprächen, mit dem Betroffenenbeirat auch das Ganze nochmal durchleben, das tut mir auch sehr leid. Und sehr leid tun mir auf andere Weise die Menschen, die sagen: "Eigentlich möchte ich doch meinen Glauben leben." Das Evangelium sagt: "Strahlt etwas aus! Ihr seid Salz der Erde, ihr seid Licht der Welt! Im Augenblick ist alles fad und es ist verdunkelt." Da muss es auch einen Abschluss geben und es muss Konsequenzen wie auch immer geben. Und dann hoffe ich, dass die Menschen sagen: "Wir treten doch nicht aus oder vielleicht kehren sie auch wieder zur Kirche zurück." Aber das wird wirklich sehr, sehr schwer werden, weil sich im Laufe der Jahre sehr viele entfernt haben, die sagen: "Ich vertraue euch nicht mehr, ich glaube euch nicht mehr. Ich glaube noch an Gott, aber ich glaube nicht mehr dem, was ihr sagt".

DOMRADIO.DE: Man merkt Ihrem Interview und Ihnen jetzt an, dass Sie über die Situation des Erzbistums Köln tief betroffen sind. Wie sehr schmerzt Sie das, was da gerade abläuft?

Kleine: Ich bin damals Priester geworden, weil ich Vorbilder hatte als Priester in der Gemeinde. Und das war eine sehr schöne Zeit in Neuss, die ich hatte. Und dann habe ich voller Freude studiert und bin Priester geworden, war Kaplan und dann in der Domsingschule und habe das erlebt, wie wir die frohe Botschaft verkünden können. Wie, wenn ich authentisch bin, wenn ich glaubwürdig bin, wenn ich fröhlich bin, wenn ich meinen Glauben lebe, ich andere anstecken kann. So hat es doch Jesus auch gemacht. Andere begeistern, anstecken, sensibel sein, ein offenes Ohr haben. Das - muss ich gestehen - ist bei mir jetzt auch etwas getrübt von einer Lähmung, wo ich denke, es darf nicht wahr sein. Das Eigentliche, worum es geht, kommt viel zu kurz, weil ich morgens die Zeitung aufschlage oder das Radio höre und immer wieder neue Nachrichten über die Aufarbeitung des Missbrauchs lese oder höre, die mich dann auch frustrieren. Und ich sage es mal ganz offen: Vor 27 Jahren war mein Primizspruch "Dient dem Herrn mit Freude", aber die Freude vergeht mir manchmal.

DOMRADIO.DE: Sie haben in einer Predigt beim Chorgebet am letzten Sonntag im Januar das Thema Macht, Vollmacht behandelt. Wie ist das denn mit der Macht in der Kirche? Mit dem Missbrauch der Macht, mit der Vollmacht, die wir ja alle als Getaufte von Jesus Christus empfangen haben?

Kleine: Ich glaube, dass der Machtmissbrauch der Grund auch für Missbrauch war. Wir sind eine Kirche, die nach den Worten Jesu eine dienende Kirche sein soll. Und Jesus sagt: "Ich bin nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen." Das müssen wir uns vielleicht als Kirche noch einmal mehr vor Augen führen, dass alle, egal in welcher Funktion sie sind, eine dienende Funktion haben. Wir dienen dem einen Herren und wir dienen der Verkündigung, der Ausbreitung des Evangeliums, und wir dienen dem Aufbau des Reiches Gottes. Und vielleicht müssen wir auch nach dem Missbrauch in unserem Land und in vielen anderen Teilen der Welt noch einmal mehr gucken, dass wir diesen dienenden Aspekt der Kirche noch mehr herausstellen. Dann werden wir auch wieder glaubwürdiger. Und es geht da nicht um Herrschaft und ein Oben und Unten, sondern Jesus ist den Menschen, neudeutsch gesprochen, auf Augenhöhe begegnet, gerade den Menschen am Rand. Er hat einen Anspruch: Das Christentum ist nichts, was es für lau gibt. Das erfordert auch Einsatz, aber es erfordert einen Einsatz in Liebe, in Barmherzigkeit. Und da glaube ich, müssen wir, nachdem wir die Krise hoffentlich irgendwann überwunden haben, nach dem 18. März, uns auch an die eigene Nase packen, auch als Priester, als Bischöfe, um zu fragen: "Wie können wir diesen dienenden Charakter der Kirche deutlicher machen?"

DOMRADIO.DE: Der 18. März, dieses Datum ist nun häufiger gefallen. Wie geht es nun weiter bis zum 18. März? Wie sehen Sie - jetzt mal etwas größer gedacht - die Zukunft der katholischen Kirche im Erzbistum Köln?

Kleine: Also ich sehe, dass dann ein Weg zu Ende geht, den der Erzbischof damals begonnen hat, mit seiner Zusage, aufzuklären. Aus meinem Interview wurde dann in einigen Schlagzeilen gemacht, dass ich auf Distanz gehe zum Erzbischof. Das tue ich natürlich nicht. Der Erzbischof ist mein Erzbischof, aber ich möchte die Bistumsleitung, den Erzbischof und auch den Generalvikar einladen, ganz genau hinzuschauen. Wie kann dieser 18. März so gelingen, dass er nicht zu einem Desaster führt, nicht zu noch mehr Enttäuschung, sondern wirklich ein Tag wird, wo man sagen kann: "Es ist ein Tag der Entscheidung, ein Tag der Bekanntmachung." Und dann können wir miteinander gut auf dem Weg weitergehen, auch auf dem Weg des Pastoralen Zukunftsweges, um zu sagen: "Wie können wir als Bistum ausstrahlen, wie können wir mit weniger Personal, mit weniger Finanzen, Kirche von Köln positiv leben und dann auch ansteckend und ausstrahlend sein und vielleicht auch wieder Menschen neu gewinnen?"

DOMRADIO.DE: Aber einfach wird das am 18. März nicht. Was wird passieren? Was kann passieren? Wir wissen es alle nicht. Wir wissen nur, dass etwas passieren muss.

Kleine: Das erste Gutachten sollte vorgestellt werden im Rahmen einer Sitzung des Priesterrates. Da waren noch viele andere mit dazu eingeladen. Ich glaube, jetzt wird das ein wenig heruntergefahren, weil ich damals schon dachte: Wie mag das sein? Da gibt's ein Gutachten, das noch keiner kennt. Und die Betroffenen, über die da geschrieben wird, sitzen mit im Raum. Also ich glaube, man muss eine sensible Form finden. Und ich bin auch der Meinung, wenn der Erzbischof das Gutachten bekommt, muss er es ziemlich schnell kennen oder vielleicht doch schon einige Stunden vorher erhalten haben, um direkt reagieren zu können. Was nützt es, wenn er das vor der Presse überreicht bekommt? Und dann sagt man: "Jetzt müssen wir erst einmal in Ruhe lesen." Die Menschen warten, glaube ich, in dem Moment der Übergabe auf eine Reaktion. Was bedeutet das jetzt für uns im Erzbistum Köln?

Das Gespräch führte Johannes Schröer.

 

Stadtdechant Robert Kleine / © Jörg Loeffke (KNA)
Stadtdechant Robert Kleine / © Jörg Loeffke ( KNA )
Quelle:
DR