Die Oberammergauer Passionsspiele enden

Pannen und Pläne

Die 41. Passionsspiele in Oberammergau sind vorüber. In 109 Vorstellungen brachten einem Pestgelübde von 1633 folgend mehr als 2.400 Laiendarsteller aus dem Ort das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu auf die Bühne. Spielleiter Christian Stückl über Verlauf, kleinere Pannen und Pläne für die nächsten zehn Jahre.

 (DR)

KNA: Herr Stückl, wie ist es gelaufen?

Stückl: Mit dem Ergebnis bin ich total zufrieden. Ich habe noch nie so ein gutes Team gehabt. Dennoch sehe ich es als einen Zwischenschritt. Diese Geschichte ist so groß, mit der wirst du nie fertig, vor allem, was die Figur Jesus angeht. Zwei Mal hatten wir bereits reformiert und doch war für 2010 klar, es muss noch einmal etwas passieren.



KNA: Spielt da auch das eigene Alter eine Rolle?

Stückl: Wie ich mit 24 Jahren Passionsspielleiter wurde, habe ich noch in Wackersdorf gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage demonstriert. Man hat sich damals gedacht, Jesus wäre auch am Bauzaun dabei. 20 Jahre später ist die Perspektive eine andere. So war ich mir irgendwann sicher, Frederik Mayet spielt den Jesus. Der ist ein viel ruhigerer Typ als ich. Aber mir war ein Jesuswort im Matthäus-Evangelium aufgefallen: "Ich werde nicht streiten, noch schreien und man wird meine Stimme nicht hören in den Gassen." Es ist nicht wichtig, wie laut jemand ist, sondern mit welcher Konsequenz er an die Sache herangeht.



KNA: Gab es Zwischenfälle?

Stückl: Da plagt sich Jesus in der Bethanien-Szene mit seinem Monolog und die Apostel ratschen hinten. Da habe ich geschimpft: "So geht es nicht, ich besetze euch um." Manchmal musste auch ich lachen. Wenn es im Text für Jesus heißt: "Ich war nackt und ihr habt mich nicht gekleidet, ich war krank und lag im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht." Und dann rutscht Jesus aus Versehen heraus: "Ich war nackt und ihr habt mich nicht besucht."



KNA: Wie schaut in so einem Fall die Buße aus?

Stückl: In jedem Theater gibt es Strafkassen für kleine Sünden. Lachen auf der Bühne kostet drei Euro. Wenn ich sie erwische, sind es auch mal sechs Euro. Wenn Sie zuletzt ein Kind gefragt hätten, was ist das häufigste Wort vom Stückl, dann hätte es gesagt: "Pscht". Ich bin halt einfach für die Ruhe hinter der Bühne verantwortlich.



KNA: Wie haben Sie Ihre Leute bei Laune gehalten?

Stückl: Das war nicht schwer. Das Passionsspiel verbindet die Generationen. Da sitzen 17-jährige Aposteldarsteller mit 80-Jährigen hinter der Bühne zusammen und spielen Karten. Wir haben ein Halbzeitfest für alle Darsteller gemacht. In den letzten Wochen ist abends immer noch gefeiert worden. Alles wurde aus den Strafkassen finanziert.



KNA: Wie war der Besuch?

Stückl: Wir haben im Mai rund 80.000 Karten vom amerikanischen Markt zurückgekriegt. Da hatten wir schon Sorge, dass pro Vorstellung bis zu 1.000 Sitze leer bleiben. Doch an jedem Tag war das Theater voll. Wir hatten eine Auslastung von 99,8 Prozent und haben noch zwei Zusatzvorstellungen gemacht. Vor allem aber ist es gelungen, jüngere Besucher zu gewinnen und auch mehr Publikum aus dem deutschen Sprachraum. Die Gäste aus den USA sind eher zwischen 70 und 80 Jahre alt. Manchmal war es auch ein bisschen wie in Lourdes, wenn plötzlich unsere Rollstuhlplätze alle voll waren.



KNA: Die Premiere fand statt, als die katholische Kirche schwer in der Kritik stand. Kam Ihre Inszenierung zur rechten Zeit?

Stückl: Ich glaube wirklich, dass die Kirche eine Rückbesinnung auf das braucht, was Jesus wollte, und nicht was Dogmen sagen. Natürlich müssen Traditionen weitergegeben werden, es gibt aber auch unsinnige, die aufhören müssen. Wenn nur noch über den Ritus geredet wird und in der Karfreitagsliturgie wieder für die Juden gebetet werden soll, dann geht mir das gegen den Strich. Als Katholik empfinde ich mich als Teil dieser Kirche. Manchmal ist diese eine schreckliche Familie, aber sie ist halt auch meine. Mich nervt, wenn Theologen schreiben, mit dem, was Jesus wollte, kann man die Welt nicht regieren. Man sollte vielleicht mal anfangen, es zu probieren.



KNA: Ihre Inszenierung hat auch Leute angesprochen, die mit Religion weniger am Hut haben.

Stückl: Mei, ich wollte als Bub eigentlich Pfarrer werden. Eine Journalistin sagte mir nach der Vorstellung: Vor 20 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten und dachte, ich hätte mit der Geschichte abgeschlossen, aber du hast mich jetzt erwischt. Ein Bischof wiederum meinte, man hätte die Geschichte auch in eineinhalb Stunden erzählen können. Da freue ich mich dann über die Frau.



KNA: Es gibt Stimmen, die sagen, der Stückl und sein Team sind "Missionare der Neuzeit" und haben es nur noch nicht bemerkt.

Stückl: Ich will kein Missionar sein, sondern sehe mich eher als Suchender. Mit meinen Leuten sind wir auf einem Weg, auf dem wir etwas über Jesus herausfinden wollen. Wenn das auf andere Leute überspringt - wunderbar. Ich habe unter meinen Freunden viele Muslime und Hindus, aber auch Juden, die alle auf der Suche nach Gott sind.



KNA: Wollen Sie 2020 die Passion wieder machen?

Stückl: Worüber lacht Gott? Über Pläne. Also plane ich nicht, zumindest nicht so weit. Aber in den Jahren dazwischen müssen wir mit einem musikalischen Leiter die Musik weiter pflegen und eigene Theaterproduktionen machen, um Jüngere an die Bühne heranzuführen. Wir sind unsere eigene Marke und an der müssen wir arbeiten.



KNA: Was schwebt Ihnen vor?

Stückl: Ich möchte Thomas Manns "Josef und seine Brüder" in einer Textübertragung von John von Düffel machen. Aber ich kann mir auch vorstellen, aus anderen Religionen etwas auf die Bühne zu bringen, vielleicht die "Mahabharata" aus der indischen Mythologie.



Das Gespräch führte Barbara Just.