DOMRADIO.DE: Wie lange haben Sie denn gebraucht, bis sich das Spielen auf der Kirchenorgel wirklich gut angehört hat? Was würden Sie sagen?
Niklas Piel (Kirchenmusiker im Bistum Münster): Das dauert ein Leben lang. Ich studiere jetzt im Master Kirchenmusik. Ich habe 2015 mein Studium in Detmold begonnen und meinen ersten Gottesdienst habe ich Weihnachten vor zehn Jahren gespielt. Da rief morgens der Pastor an und sagte: Niklas, wir haben jetzt Schneesturm und wissen nicht, ob unser Organist kommt. Könntest du nicht einspringen? Da war dann Weihnachten für meine Familie gelaufen und ich hatte erst kurz vorher mit dem Unterricht angefangen.
Man kann relativ früh schon in Gottesdiensten spielen. Allerdings ist das bei mir mit dem genauen Punkt, wo ich angefangen habe, Orgel zu spielen, nicht so klar. Ich habe vor dem Unterricht schon immer zu Hause am Klavier geklimpert Also: kann ich nicht genau sagen. Aber ich würde sagen, man lernt nie aus.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie sagen, Ihren ersten richtigen Auftritt in einem Gottesdienst als Organist hatten Sie dann gleich bei einem Weihnachtsfest. Das ist ja auch nicht unaufregend, würde ich mal vermuten. Wie fühlt sich das an, eine Gemeinde begleiten zu dürfen auf der Orgel?
Piel: Es ist für mich jetzt als hauptamtlichen Kirchenmusiker das Schönste, was ich mache. Eine gescheite Messe, wo ich einen Lied-Plan mache, wo ich überlege, was passt zu den Lesungen und wo die Leute dann aus voller Kehle mitsingen können - momentan geht es leider nicht so gut - aber das ist einfach ein tolles Gefühl, wenn man da oben sitzt und die Leute zum Singen animiert und die mitmachen. Das kann man nicht beschreiben, das muss man einfach mal erlebt haben. Aber auch meine Schüler, die immer relativ früh von mir auf die Orgelbank in die Messen reingesetzt werden, empfinden das Gleiche. Es ist schön, dass man in der Gruppe etwas macht.
DOMRADIO.DE: Aber können Sie auch verstehen, wenn junge Leute vielleicht ein bisschen vor diesem Instrument zurückschrecken und sagen: Das ist mir zu kompliziert, zu sperrig, da kann ich irgendwie nicht viel mit anfangen?
Piel: Eigentlich kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen. Ich sage immer: Die Orgel beißt nicht. Und man muss ja nicht von null auf hundert starten. Es gibt auch jetzt nach abgeschlossenem Bachelor-Studium bei mir noch Stücke, wo ich versuche, einen Bogen darum zu machen, weil ich Angst vor ihnen habe. Aber im Großen und Ganzen ist es kein Hexenwerk.
DOMRADIO.DE: In Ihren Videos kann man sich angucken, wie Sie in der Orgel herumklettern, drum herum, wie Sie Einzelheiten erklären. Das ist so ein bisschen wie bei der Sendung mit der Maus. Man erfährt zum Beispiel, dass die Orgel einen Motor hat und ein Gebläse. Warum genau machen Sie sich diese Arbeit der Videos?
Piel: Das ist tatsächlich auch aus der Not heraus entstanden. Bei uns im Bistum Münster gibt es drei Stellen mit Nachwuchsarbeitsschwerpunkt. Einmal in Kevelaer, wo der Kollege einen Knabenchor aufbaut. In Metzingen geht ein Kollege in die Schulen, und dann gibt es mich. Ich bin quasi für den Kontakt zur Orgel zuständig. Das ist definitiv keine neue Idee. Orgel-Vorstellungen gibt es schon Ewigkeiten auf YouTube. Aber es ist jetzt, glaube ich, das erste Mal, dass ein Bistum das vorantreibt. Es soll auch in dem C-Kurs, also der Ausbildung zum nebenamtlichen Kirchenmusiker, verwendet werden, im Fach Orgelbaukunde.
Das ist eine Neuheit und vor allem: Auch die Kürze der Videos. Die Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer. Man hetzt von einem Termin zum anderen, und ich glaube, wenn man Zwei-Minuten-Video sieht, guckt man sich das eher an, als eins mit vierzig Minuten. Es kam eben da aus der Not heraus: Ich mache das eigentlich live mit Schulklassen. Ich stand jetzt in den Startlöchern. Ende März hatte die Kirche den ganzen Vormittag geblockt. Warum das nicht ging, muss ich wohl keinem Menschen erklären. Und dann hatten wir überlegt: Was könnte man stattdessen machen? Und dann ist diese Reihe entstanden.
DOMRADIO.DE: Was ist denn Ihre Argumentation für die Schülerinnen und Schülern? Also denen wirklich zu erklären: Das ist ein tolles Instrument - versucht es doch mal!
Piel: Oh, wo fängt man da an? Auf jeden Fall erst einmal die Vielfalt. Es ist ein Instrument, das Nicht nur leise und laut und hoch und tief spielen kann. Das gesamte Frequenzspektrum von zu tief zum Hören bis zu hoch zum Hören wird abgedeckt. Und auch die Vielfalt in den Musikstücken. Wir schöpfen aus einem Fundus - das erste Stück wurde im 13. Jahrhundert aufgeschrieben - das sind mehrere Jahrhunderte, wo komponiert und aufgeschrieben wurde.
Man kann improvisieren aus dem Moment heraus in den Messen. Aber vor allem auch die Vielfalt in den Instrumenten. Jedes Instrument ist anders, auch wenn es auch gleich gebaut ist. Allein der Kirchenraum macht einen Unterschied von über 70 Prozent bestimmt aus.
DOMRADIO.DE: Ich bin auch ein paar Jahre in den Genuss des Orgel-Unterrichts gekommen und fand das immer so toll, schon alleine einen Kirchenschlüssel zum Üben zu bekommen. Man durfte alleine in die Kirche. Das hat auch was, oder?
Piel: Ja, auf jeden Fall. Ich gehe am liebsten entweder frühmorgens oder spätabends üben. Wenn man diese Ruhe in der Kirche hat. Es ist einfach eine ganz andere Atmosphäre. Das kann ich nicht beschreiben. Es ist einfach herrlich. Wir können leider nicht meine leuchtenden Augen sehen, aber ich liebe es.
Das Interview führte Verena Tröster