"Weihnachten low-profile" erwarte das Heilige Land, bedauerte Erzbischof Pierbattista Pizzaballa in seiner ersten Weihnachtsbotschaft als Lateinischer Patriarch von Jerusalem. Auch sonst hatte der italienische Franziskaner an der Spitze der Katholiken im Heiligen Land wenig Gutes zu sagen über das Jahr 2020: Die Coronavirus-Pandemie und aus ihr erwachsende Ängste dominierten das Jahr. Das öffentliche wie das religiöse Leben waren und sind durch ein "kleines, aber mächtiges Virus" geprägt.
Zwar ist das Heiligland-Bistum bei weitem nicht alleine im Kampf gegen Covid-19 und seine Auswirkungen. Jedoch traf es die Menschen in der Region, und unter ihnen die Christen, besonders hart. Viele im Heiligen Land leben vom Tourismus. Von einem Boom-Jahr 2019 mit neuen Rekorden von 4,5 Millionen Touristen in Israel und 3,5 Millionen Touristen in Bethlehem fiel die wichtige Wirtschaftsbranche mit der Schließung der Grenzen für Ausländer im März quasi über Nacht auf Null – und mit ihm das Ein- und Auskommen vieler Christen, insbesondere in der Region Bethlehem.
Nicht zu wissen, wann das Virus eine Rückkehr in die Normalität erlauben wird, macht den Menschen im Heiligen Land zu schaffen. Diese Unsicherheit sei das schmerzhafteste, weil sie "jede Planung unmöglich" mache, formulierte es Pizzaballa in einem KNA-Interview zu seinem Amtsantritt.
"Die Region brennt weiter"
Doch auch unabhängig von Corona sind die Aussichten für die Region für 2021 ungewiss, sagte der Regionalminister der Franziskaner für die Region Sankt Paul (Jordanien, Libanon, Syrien) Firas Lutfi gegenüber KNA. Eine "komplexe regionale und globale Situation" sowie "widersprüchliche politische und wirtschaftliche Interessen und Ambitionen einiger ausländischer Länder" stünden einem Mangel an Entscheidung zur Beendigung der zahlreichen Krisen gegenüber. Das Resultat: "Die Region brennt weiter, vom Irak über Syrien, bis hin zum Libanon und anderen Ländern."
Andererseits hat sich zwischen manchen Nachbarn in der Region das Klima zuletzt erheblich verbessert. Unter den sogenannten Abraham-Abkommen haben sich die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel angenähert, Bahrain und Marokko zogen nach in der Normalisierung der Beziehungen mit Israel. Die neue Bewegung in der Region stärkt sunnitische Interessen gegen den sogenannten schiitischen Halbmond und zunehmende iranische Kontrolle in den drei Krisengebieten Syrien, Jemen und Irak sowie im durch die Wirtschafts- und Regierungskrise arg labilen Libanon - eine Entwicklung, die auch Saudi-Arabien gutheißen dürfte.
Obwohl die Lage bislang wenig konkrete Auswirkungen auf die Kirche im Heiligen Land habe, so lasse sich doch feststellen, dass sich "das Gleichgewicht in Nahost verändert", sagt Pizzaballa, doch sei es zu früh, die eingeschlagene Richtung zu beurteilen. Klar scheint für den Italiener, dessen Gläubige überwiegend einheimische arabische Christen sind, eines: Die jüngsten Ereignisse haben sichtbarer gemacht, wie isoliert die Palästinenser inzwischen sind. Aus den jüngsten Ereignissen einen neuen Anstoß für eine Lösung des Nahostkonflikts zu erhoffen, scheint dem Kirchenmann unrealistisch, zu tief ist der Vertrauensverlust zwischen Israelis und Palästinensern.
Kirchen und Gemeinden sind krisenerprobt
Während der israelisch-palästinensische Konflikt 2020 mehr oder weniger unverändert sein Dasein fristete, verschärfte sich im Libanon die dramatische Krise durch die Ereignisse vom 4. August noch zusätzlich: Die Explosion von rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat in einer Lagerhalle im Hafen von Beirut forderte mehr als 200 Menschenleben, weite Teile der Innenstadt wurden verwüstet.
Covid-19 tat das Übrige, die prekäre Situation in Nahost zu verschärfen. Flüchtlinge der diversen Konflikte, aber auch die Menschen im dichtbevölkerten und abgeriegelten Gazastreifen trafen die Folgen besonders hart. Hygienemaßnahmen scheitern an fehlender Infrastruktur, Abstandsregeln an Überfüllung. Fehlende Arbeit und steigende Lebensmittelpreisen treiben Armut und Hunger voran.
In einem Punkt jedoch waren die Kirchen und Gemeinden im Nahen Osten wohl vielen anderen Regionen voraus: Krisenerprobt aktivierten sie auch während der Pandemie die bestehenden pastoralen und sozialen Netzwerke, um in schwierigsten Zeiten an der Seite der Schwachen zu stehen – in Aleppo nicht weniger als in Beirut, Jerusalem oder Bethlehem.