Gott habe ihm die Anweisung gegeben, Bolsonaros Leben zu beenden, sagte Adelio Bispo de Oliveira am Donnerstag der brasilianischen Polizei. Kurz zuvor hatte der Mann dem Präsidentschaftskandidaten Jair Messias Bolsonaro bei einer Wahlkampfveranstaltung ein zwölf Zentimeter langes Küchenmesser in den Bauch gerammt. Sein Mandant sei religiös verwirrt und glaube an Verschwörungstheorien, so der Anwalt des Attentäters.
Dessen religiöse Verwirrung hat Brasiliens Präsidentschaftswahlkampf vor dem Urnengang am 7. Oktober kräftig aufgemischt. Überhaupt war Gott im Wahlkampf selten derart allgegenwärtig wie dieses Jahr. Das ist kein Zufall, hatten Brasiliens Politiker zuletzt doch durch Korruptionsskandale bei den Wählern viel an Glaubwürdigkeit verloren. Studien ergaben, dass 80 Prozent deswegen nun einem religiösen Kandidaten ihre Stimme geben wollen.
Mischmasch aus Religion und Gewalt
Die Politiker haben ihren Diskurs darauf abgestimmt. Allen voran der Ex-Militär Bolsonaro, der nach eigenen Angaben streng katholisch ist. Im Jahr 2016 ließ er sich jedoch medienwirksam von einem evangelikalen Pastor im Jordan taufen. Rund ein Drittel der Wähler gehört evangelikalen Pfingstkirchen an, die im Parlament unterrepräsentiert sind. Das soll sich bei diesen Wahlen ändern, wofür die großen Pfingstkirchen tief in die Tasche greifen.
Seit seiner Taufe in Israel lobpreist Bolsonaro nun stets Gott in seinen Diskursen, in denen er zugleich Polizisten für jeden getöteten Banditen Extraprämien verspricht. Zudem ist er dafür bekannt, Frauen, Homosexuelle und dunkelhäutige Menschen zu beleidigen und Folterer der Diktatur (1964-85) hochleben zu lassen. Trotzdem zieht der Mischmasch aus Religion und Gewalt bei den Wählern. Im Internet findet man viele Fans von ihm, die sich als Soldaten oder Waffennarren zu erkennen geben und den politischen Gegnern gleichzeitig in Form von abgewandelten Bibelzitaten drohen. Dem Attentäter drohen sie "im Namen Gottes" mit schlimmster Tortur.
Folterknecht der Diktatur
Auch der evangelikale Pastor Silas Malafaia, ein Unterstützer Bolsonaros, schaltete sich ein und beschuldigte die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff, die Tat aus Rache in Auftrag gegeben zu haben. Bolsonaro hatte ihr 2015 gewünscht, dass sie "per Herzinfarkt oder Krebs" aus dem Amt scheide. Vor zwei Jahren widmete er sein Votum für Rousseffs Amtsenthebung dann einem Folterknecht der Diktatur, der rund 40 Oppositionelle zu Tode folterte. Rousseff kündigte an, gegen Malafaia Anzeige zu erstatten. Bolsonaro wünschte sie hingegen eine gute Besserung.
Zwar spielen auch andere Kandidaten die religiöse Karte aus, nur wesentlich diskreter. So hält sich vor allem die katholische Kirche Brasiliens weitestgehend aus der Tagespolitik heraus. Ihr auffallendster Kandidat ist der Mitte-Rechts-Kandidat Geraldo Alckmin, der seine Religiosität jedoch eher im Privatbereich lebt. Genau wie die ehemalige Umweltministerin Marina Silva, die offen über ihre Mitgliedschaft in einer evangelikalen Kirche spricht, jedoch auf religiöse Diskurse in der Öffentlichkeit verzichtet. Sie könne da sauber trennen, so Silva.
Volk und Gott
Am auffallendsten ist der chancenlose Ex-Feuerwehrmann Cabo Daciolo. Brasiliens Verfassung will er ändern, statt "Alle Macht geht vom Volk aus" soll es demnächst "Alle Macht geht von Gott aus" heißen. Statt im Parlament eine eigene Rede zu halten, liest er den Abgeordneten lieber aus der Bibel vor. Während die anderen Kandidaten gerade auf Wahlkampftour durch Brasilien sind, hat sich Daciolo zum Fasten auf einen Berg zurückgezogen. Von dort aus sendet er religiöse Videobotschaften an seine Wähler.
Auch der in Umfragen führende Bolsonaro wird die nächsten Wochen nur per Videos von seinem Krankenbett aus Wahlkampf machen können. Wenige Stunden nach dem Angriff veröffentlichte der evangelikale Pastor und Senator Magno Malta bereits das erste dieser Videos. Darin wird ein gemeinsames Gebet an Bolsonaros Krankenbett gezeigt. Gott habe Bolsonaros Leben verschont, weil dieser von Gott beauftragt sei, das Land zu retten, so Malta. Mit brüchiger Stimme fügt der frisch operierte Bolsonaro ein "Brasilien über alles, und Gott über allen" hinzu.