Menschenrechtler ordnet Proteste in Kuba ein

"Die Situation ist einfach deprimierend"

Dass die Menschen in Kuba keine Perspektiven mehr sehen, treibt sie auf die Straße, sagt Martin Lessenthin. Menschenrechtsoragnisationen und die Kirchen versuchen, die Menschen zu unterstützen und zu vermitteln.

Proteste in Kuba / © Ramon Espinosa/AP (dpa)
Proteste in Kuba / © Ramon Espinosa/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was ist denn da los in Kuba? Was treibt die Menschen auf die Straße?

Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte): Es gibt unterschiedliche Motive, aber eins haben alle gemeinsam: Sie sehen keine Zukunft in Kuba. Die junge Generation sieht keine Zukunft auf der Insel und diejenigen, die sich schon lange in Regimekritik geübt haben oder die, die in der Nische waren, möchten jetzt mehr tun, einen Beitrag leisten und ihren Protest auch öffentlich artikulieren. 61 Jahre KP-Herrschaft in Kuba (Kommunistische Partei Kuba, Anm. d. Red.) haben ihre Spuren hinterlassen. Die Menschen leiden unter anhaltender Mangelversorgung, das gilt nicht nur für Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs, sondern das gilt auch für alle Dinge der medizinischen Versorgung. Es fehlen sogar die Ärzte selbst, die Kuba ins Ausland geschickt hat. Die Situation ist einfach deprimierend.

DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen haben Sie ja jetzt einen Appell gestartet. Was fordern Sie genau?

Lessenthin: Wir fordern gemeinsam mit Organisationen wie zum Beispiel dem internationalen Institut für religiöse Freiheit oder auch Christian Solidarity International, dass alle Teilnehmer der Demonstrationen, die gewaltfrei und friedlich protestiert haben, sofort freigelassen werden. Das Schicksal derjenigen, die in Geheimverstecke verschleppt worden sind, soll sofort aufgeklärt werden. Wir fordern auch, dass die Führer der Demokratiebewegung wie zum Beispiel Daniel Ferrer wieder in Freiheit gebracht werden. Und wir fordern Kuba und alle internationalen Institutionen, in denen Kuba mitwirkt, auf, dass Kuba sich bereit erklärt, humanitäre Hilfe ins Land zu lassen. Und zwar humanitäre Hilfe, die die Menschen direkt erreicht und nicht vor Ort von der KP verteilt wird. Und eine besondere Forderung haben wir als internationale Gesellschaft für Menschenrechte auch jetzt wieder erhoben: Wir möchten, dass das Internationale Rote Kreuz die Möglichkeit bekommt, die politischen Gefangenen in den Gefängnissen und die Gefängnisse selbst aufzusuchen, um sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen.

DOMRADIO.DE: In diese äußerst angespannte Lage hat sich jetzt auch die katholische Kirche als Vermittlerin eingeschaltet. Wie genau will sie denn vermitteln?

Lessenthin: Die Kirche versucht, was sie in der Vergangenheit auch schon getan hat: sich für die Freiheit derjenigen einzusetzen, die gewaltlos für etwas Besseres, für das Gute und für Pluralität auf Kuba eintreten. Sie hat ja in der Vergangenheit schon eine bedeutende Rolle gespielt bei der Schlichtung von Konflikten, auch bei der Rettung von Menschenleben, als es um Hungerstreiks ging. Als es um die Freilassung von 75 politischen Gefangenen, des sogenannten "schwarzen Frühlings" auf Kuba gegangen ist, war es immer wieder die Kirche, die Hilfestellung gegeben hat.

Jetzt aktuell ist es so, dass sich auch der Klerus an den Protesten beteiligt hat. Jedenfalls waren es Priester, die dabei waren und natürlich sind auch Priester verhaftet worden. Für deren Freilassung haben sich die kubanischen Bischöfe bereits erfolgreich engagiert und wir hoffen, dass die kubanische Kirche erkennt, dass sie, auch wegen ihrer intellektuellen Kraft, eine besondere Verantwortung hat. Als landesweit vertretene Organisation muss sie Alternativen mit aufbauen und diesen Totalitarismus der KP zurückdrängen. Die Kirche steht hier in der gleichen Verantwortung wie zum Beispiel zu früheren Zeiten die katholische Kirche in Polen, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass Solidarnosc erfolgreich sein und den polnischen Einparteienstaat zu Grabe tragen konnte. Diese Aufgabe stellt sich aktuell in Kuba.

DOMRADIO.DE: Jetzt beobachten Sie die Menschenrechtslage in Kuba ja schon seit langem. Haben die aktuellen Proteste in Ihren Augen das Potenzial tatsächlich etwas zu bewegen?

Lessenthin: Auf jeden Fall ist jetzt etwas auf Kuba in Bewegung geraten. Wir sehen, dass sich unterschiedliche Interessen vereinen, weil für alle die Not und die Bedrückung jetzt zu groß ist. Wir haben über lange Zeit nur die Bürgerrechtsbewegung gehabt, deren Führer sehr schnell politische Gefangene, Langzeitgefangene, waren. Aus diesem Bereich vertreten wir im Moment 152 politische Gefangene, die uns bekannt sind und das sind noch nicht alle, die aus politischen Gründen in Kuba im Gefängnis sitzen. Aber hinzugekommen ist, neben dieser Demokratiebewegung, die sich über ganz Kuba ausgebreitet hat mit Gruppen, die überall präsent sind, zum Beispiel die Bürgerrechtsbewegung Un Paku: Es hat sich ergeben, dass Studenten von den Universitäten, dass Künstlerkollektiv,e die bisher sozusagen als Hausmacht der KP galten und andere freie Intellektuelle mit auf die Straße gehen und protestieren.

Sie versuchen, alternative Angebote zu machen und die Menschen vorbei an den gegängelten zwei Staatsmedien, kubanisches Fernsehen Un TV und die Staatszeitung Gramma der Kommunistischen Partei, tatsächlich darüber zu informieren was im Land vorgeht. Was die Menschen interessiert, sind die Versorgungsmängel und das nicht funktionierende Gesundheitssystem, der amateurhafte Umgang mit der Coronapandemie. All das hat die Menschen auf den Plan gebracht und wir sehen, dass jetzt auch die Kirchen insbesondere die katholische Kirche, aber auch die vielen evangelischen und evangelikalen Gruppen auf Kuba sich der Opposition anschließen und versuchen eine gemeinsame Plattform zu errichten die da heißt: Pluralität, religiöse Selbstbestimmung und eine neue Chance auf die Zukunft vor allem für die junge Generation. Da besteht die Hoffnung, dass nun etwas in Bewegung kommt.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Quelle:
DR